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Literaturmuseum „Theodor Storm“
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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2018.
Im Zentrum des Eichsfeld liegend, ist das anerkannte Solebad Heiligenstadt nicht nur Hauptstadt des nach der Landschaft benannten Landkreises, sondern auch dessen kulturelles Zentrum. In der heute knapp 16.000 Einwohner zählenden Stadt befand sich im Mittelalter eine Königspfalz, die von den Ottonen Otto II. (973) und Otto III. (990) und 200 Jahre später, 1153 bis 1169, auch von Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa besucht wurde. 1227 erhielt Heiligenstadt durch den Mainzer Erzbischof Siegfried II. das Stadtrecht verliehen und 1335 auch ein eigenes Gesetzbuch mit dem sprechenden Namen »Willkür«. Diese aus 160 Artikeln bestehende Sammlung wurde von Gildemeistern in Mundart verfasst (»Wyr, di ratmanne disses iares, so men czelit noch Christi gebort millesimo CCC in deme XXXV. iare, syn eyntrechtig worden (…) umme der stat wilkor (…)«) und musste jährlich öffentlich im Rathaus verlesen werden. Erst mit der Säkularisation 1802 endete die Landesherrschaft der Mainzer Erzbischöfe über das Eichsfeld. Nach kurzer Zugehörigkeit zum Königreich Westphalen wurde die Heiligenstadt 1815 preußische Kreisstadt. Bis heute wirkt das katholische Milieu nach und sorgte dafür, dass weder der Nationalsozialismus, noch das SED-Regime hier erfolgreich Fuß fassen konnten.
Auch im Stadtbild hat die katholische Tradition ihre Spuren hinterlassen. Die Kirchbauten St. Marien am Osthang des Stiftshügels und St. Aegidien dominieren das Stadtbild. Darüber hinaus unterhalten die Redemptoristen und die Schwestern der Hl. Maria Magdalena Postel Klöster in der Stadt. Auch im Brauchtum wird mit Wallfahrten und der Palmsonntagsprozession als jährlichem Höhepunkt, die Theodor Storm in seiner Novelle »Veronika« (1861) beschreibt, die katholische Tradition gepflegt.
Wernher von Elmendorf dichtete in Heiligenstadt in der Zeit von 1170–1180 eine ›Tugendlehre‹ für ein adliges Publikum. Er nutzte die Form eines Lehrgedichtes, in dem immer wieder Zitate von antiken Autoren wie Cicero, Ovid oder Seneca verarbeitet werden. Sein Text, der in der Klosterneuburger Handschrift aus dem 14. Jahrhundert mit 1200 Versen nicht vollständig überliefert ist, nennt ihn als Kaplan am Stiftskapitel zu St. Martin.
Vom 2. bis 4. Mai 1525 lagerte ein Bauernhaufen, angeführt von Thomas Müntzer (1489–1525) und Heinrich Pfeiffer (vor 1500–1525), vor der Stadt. Am 3. Mai predigte Müntzer in der Marienkirche und forderte dabei den Rat auf, sich dem Aufstand anzuschließen. Ein Anliegen, das der Stadtrat ablehnte, jedoch wurde die Reformation vollzogen und evangelische Prediger in Aussicht gestellt. Beim Eintreffen der Jesuiten soll Heiligenstadt noch ganzen 12 Katholiken Heimat gewesen sein. Mit den Jesuiten erstarkte die Gegenreformation im Eichsfeld. Während sie in Erfurt kaum Erfolg hatten, konnten sie in Heiligenstadt 1575 ein Kolleg gründen, das zu einem geistlichen und geistigen Zentrum für die Rekatholisierung des Eichsfeldes wurde. Mit dem Kolleg verbunden sind die Namen von Athanasius Kircher (1602–1680) und Johannes Müller (1604–1676). Kircher, der von Heiligenstadt aus seine Universalgelehrtenkarriere begann, beeindruckte bei einem Empfang des Abgesandten des Erzbistums Mainz mit aufsehenerregenden physikalischen Vorführungen, zu denen eine Vorform der »Laterna Magica« gehörte. Von Heiligenstadt wurde er an die Aschaffenburger Residenz berufen. Johannes Müller sorgte dafür, dass das Eichsfeld auf dem Gebiet der Kirchenmusik nicht hinter den protestantischen Gebieten zurückblieb. Während seiner Visitationsreisen studierte er neue Lieder ein und gab 1668 das erste Eichsfelder Gesangsbuch heraus.
Einen Kurzbesuch stattete Johann Wolfgang von Goethe der Stadt am 6. Juni 1801 ab und empfand sie »im Ganzen sehr reinlich und nach einem Brande, den sie 1739 erlitten hat, ziemlich regelmäßig erbauet«. Als sich am 20. April 1838 die Brüder Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) in Heiligenstadt traffen, waren sie bereits durch ihre Arbeit an den »Kinder- und Hausmärchen« (1812) berühmt. Sie kamen in der Stadt zusammen, um über Einzelheiten der Herausgabe ihres »Deutschen Wörterbuches«, welches ab 1838 erschien, zu sprechen. Am 18. Juni 1825 kam Heinrich Heine (1797–1856) nach Heiligenstadt. Im Pfarrhaus der St. Martins Gemeinde wurde aus Harry Heine Christian Johann Heinrich Heine. Mit dem Erhalt des Taufscheins, den er »Entreebillet zur europäischen Kultur« bezeichnete, hoffte er auf eine diplomatische oder universitäre Laufbahn.Seit 1956 trägt der Kurpark in Heiligenstadt seinen Namen. Mit dem Gedicht »Heine im Eichsfeld« nahm Harald Gerlach (1940–2001) 1984 poetisch Bezug auf Heines Übertritt vom Judentum zum Christentum.
Von August 1856 bis März 1864 wirkte Theodor Storm (1817–1888) als Kreisrichter in Heiligenstadt. In seiner Wohnung in der heutigen Wilhelmstraße 73 entstanden die Novellen »Auf dem Staatshof« (1858), »Im Schloss« (1861) und »Auf der Universität« (1862), sowie Spukgeschichten (Sammlung »Am Kamin« von 1861) und das Weihnachtsgedicht »Knecht Ruprecht«. Mit einem Augenzwinkern betrachtet Theodor Fontane (1819–1898) die Verbindung seines Freundes Storm zu Heiligenstadt. Am 02. Februar 1857 schrieb er ihm aus London:
O Heil’genstadt, du heil’ge Stadt,
Die Dichter in den Mauern hat,
Nicht bändereiche, nicht enorme,
Doch Storm und seine kleinen Storme,
O Heil’genstadt, beschütz den Mann,
Dass er noch vieles dichten kann.
Maria Wrede (1890–1969) war die erste Forscherin, die sich mit Storms Wirken in Heiligenstadt befasste. Noch vor dem I. Weltkrieg befragte sie Storms Töchter. In ihrem Buch »Heiligenstadt in Theodor Storms Leben und Entwicklung« (1915) beschreibt sie Storms Heiligenstädter Zeit als glücklichste Zeit seines Lebens. Dass Storm in Heiligenstadt eine besondere Stellung einnimmt, zeigen u.a. die beiden Skulpturen von Werner Löwe und das Literaturmuseum »Theodor Storm« im Mainzer Haus, Am Berge 2, mit Storm-Bibliothek und einer umfangreichen Sammlung von Originalgrafiken zum Werk. Als jährlichen Höhepunkt seiner Arbeit organisiert das Museum, unterstützt vom Theodor-Storm-Verein, die Stormtage in Heiligenstadt.
Die Mundart des Eichsfeldes pflegte der Dichter Martin Weinrich (1865–1925). Von Beruf Lehrer, schrieb er eine Reihe von Bänden, wie den 1924 erschienen »Därre Hozel und driege Quitschen«. Einen Eindruck vermittelt die letzte Strophe des Gedichtes » D’ Mehrenken’ge«
Waer därch Schaden kimmt ins Storgen,
Bruch nit färr d’n Spott z’ sorgen.
Haelfen ditt känn Weh un Ach.
Freien dodden sich nit wen’ge,
Nannten se nu Mehrenken’ge,
Un so äs das hidde nach.
Eine so interessante wie schillernde Persönlichkeit war die Offizierstochter Helene von Mombert (1870–1957), die literarisch unter dem Pseudonym Hans von Kahlenberg in Erscheinung trat. Aufsehen erregte sie mit den Werken »Nixchen. Ein Beitrag zur Psychologie der höheren Töchter« von 1899 und »Der Fremde« von 1901, die wegen ihrer erotischen Thematik für Gesprächsstoff in der Gesellschaft sorgten. Ihren größten Erfolg feierte sie 1910 mit dem Bestseller »Ahasvera«.
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