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Thüringen im Nationalsozialismus
Romina Nikolić / Jan Volker Röhnert
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Naheliegend, dass in Friedrichroda keine Tafel, kein Hinweisschild, keine Faltblattnotiz an Gottfried Benn erinnern – im Gegensatz zum Dichtersohn des Städtchens Rudolf Otto Wiemer, dessen Verse die Wege zieren. Wir durchstreifen es am letzten Oktobertag nach Spuren von ihm. Reformationstagsmittwoch, goldene Laubreste in den Bäumen, weiße Flecken an den Wegrändern nach erstem Schneefall, von Schnepfenthal kommend Leute gedrängt bei einem Bratwurststand. Das Laub, der Himmel, die Hügel in schönsten Herbstfarben, goldgelb, rostbraun, herbe Pilz- und Beerendünste bei der Ortsdurchquerung. Wir treten über die Absperrung von Schloss Reinhardsbrunn, einer 1945 enteigneten und dann bis heute verfallenen Enklave des Hauses von Sachsen-Coburg: Neugotische Rosetten und Spitzgiebel. Die großen Löcher im Putz und an den Erkern notdürftig mit Holzplanken vernagelt, mit Planen überdacht. Umgestürzte Königsstatuetten im schneefeuchten Gras – als hätte ein Bildersturm hier stattgefunden. Oben im Ort eine Klinik – dort muss Benns Sanatorium gewesen sein – und das obligate Wellnesshotel mit ortseigenem Quellbrunnen, der Karies und Magenleiden reduzieren soll; schwach basischer Geschmack, eiskalt. Baumlehrpfade, gigantendicke Kiefern- und Buchenstämme, die Benn hier schon gesehen haben dürfte. Logopädiepraxis. Dialysezentrum. Bahnhof Reinhardsbrunn, graffitiübersprühtes Fachwerk (ein Vorbeigehender: »eine Schande ist das…«), das die Sommerfrischler schon vor hundert Jahren ›echt thüringisch‹ willkommen hieß – schwarze Antiqualettern ohne Graffiti, versteht sich. Kurpark mit Freilichtbühne über den Dächern der Gemeinde. Holzstreben, Wintergärten, schnörkelverzierte Veranden – Thüringer-Wald-Architektur, an der sich seit Benns Tagen wenig geändert haben dürfte. Die schwarzen Schieferverkleidungen an Dächern und Fassaden, in der DDR oft durch das billigere graue Asbest ersetzt. »Hotel Pension Deutscher Hof«. »Café Busch«. Die Speisenkarte sagt: »seit 1908« – darinnen holzgedielte provinzielle Wiener Kaffeehausgemütlichkeit, blaugeflieste Toiletten und Kaltwasserhähne, die Handtrocknergebläse derart angebracht, dass sie gleich aufheulen, wenn man die Hände unters Wasser streckt. Mohnstrudel und Pflaumentorte. Russische Schokolade. Monströse Registrierkasse, Museumsstück, von der Größe und Form einer Wäschemangel. Häkeldecken. Bestattungshäuser. Chinarestaurant mit rotem Lampenschirm. Gegen fünf die grünen Bergkuppen bereits im Dunkeln. Keine Seele auf dem »Lutherweg«, 300jährige Eichen, feuchtes Gras, die stillen Schlossfischteiche. Großer runder kürbisfarbener Caspar-David-Friedrich-Mond über der Autobahn bei den Drei Gleichen.
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