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Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution
Katrin Lemke
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Im Jahre 1904 zieht der Verleger Eugen Diederichs (1867–1930), der seit 1898 unter dem Signet des Löwen einen prosperierenden Verlag führt, von Leipzig nach Jena. Eine ungewöhnliche Entscheidung. Da verlässt ein Verleger bewusst die berühmte Verlags- und Bücherstadt, um in der Provinz zu landen? Eugen Diederichs sieht den Umzug aus einem anderen Blickwinkel: er findet sein verlegerisches Unternehmen jetzt mittelgroß geworden und [es] konnte sich nun auch in einer kleineren Stadt dank seiner Verbindungen weiterentwickeln. Seine Freunde bescheinigen Diederichs ein prophetisches Vorausschauen, das neuen Strebungen den Weg bahnte und wies, zumal sich der Verleger nicht lediglich als geschäftstüchtiger Buchverkäufer verstehen will, sondern als ein Mann, der kulturelle Ziele verfolgte. So erscheint der Umzug von Verlag und Familie als eine gewollte Veränderung, die die Verlagsentwicklung voranbringt. Zu den neoromantischen Themen kommen bald solche der Lebensreformbewegung hinzu, zu den als breite Volkslektüre angelegten Büchern solche mit philosophischen, historischen und religionsgeschichtlichen Themen, die dem Bedürfnis eines modernen Lesepublikums entsprechen, aber auch dem des Verlegers nach kultureller Wirksamkeit und Volkserziehung. Es ist heute nur noch schwer nachvollziehbar, dass in den 1920er Jahren der Diederichs Verlag in sich sehr Widersprüchliches vereinte, gab es doch in seinem Programm die Gleichzeitigkeit von reaktionärem wie progressivem Gedankengut, das Nebeneinander von völkischen und fortschrittlich-modernen Autoren.
Der Verlag strahlt auf die Stadt aus, er stärkt zusammen mit der Universität, den Zeiss- und Schottwerken und dem Jenaer Kunstverein das geistige Profil Jenas, das nach 1900 Weltgeltung erreicht – Moderne in der Provinz. Auf der Brüsseler Weltausstellung 1910 erhält Eugen Diederichs eine Goldmedaille, besonders auch für die künstlerisch durchdachte Ausgestaltung seiner Bücher und Buchreihen. Im Jahr 2017 liegt das 150. Geburtstagsjubiläum des Verlegers Eugen Diederichs, wozu es in Jena eine ganze Reihe Veranstaltungen geben wird.
Dass neben diesem berühmten Verleger auch eine junge Frau in Jena ansässig wird, die gerade dabei ist, sich als Erzählerin einen Namen zu machen, ist heute nahezu vergessen. Der Stadtspaziergang soll sich also nicht in erster Linie dem Verleger, sondern seiner schreibenden Ehefrau Helene Voigt-Diederichs (1875–1961) widmen. Die hatte im Jahr 1898, wenige Wochen bevor sie den Verleger in Leipzig kennenlernte, mit einem Erzählband debütiert, der unter dem Titel »Schleswig-Holsteiner Landleute« im Verlag Georg Heinrich Meier erschienen war. Obwohl ab 1904 nun also in Jena wohnhaft und der Mischung aus Stadtlandschaft im Talkessel, aus z.T. bewaldeten Muschelkalkbergen und Saaleaue durchaus zugetan, bleiben bis auf wenige Ausnahmen ihre Werke im norddeutschen Milieu angesiedelt, das sie aus ihrer Kindheit auf dem elterlichen Gut Marienhoff bei Siseby in Schleswig-Holstein gut kennt. Die zeitgenössische Literaturkritik urteilt über sie bereits 1906: In Helene Voigt-Diederichs entsteht uns allmählich eine Romanschriftstellerin, die man schon jetzt neben die allerbesten stellen darf. Dafür sprach auch der Preis für den besten Roman aus dem niedersächsischen Volksleben, den sie 1905 für ihren Roman »Dreiviertel Stund vor Tag« erhalten hatte. In ihm schildert sie mit fast naturalistischer Genauigkeit das ländliche Milieu und seine Auswirkungen auf die schwierige und oft widersprüchliche innere Entwicklung ihrer Hauptheldin. Warum die Entwicklung zur großen Erzählerin abbrach, bzw. warum sich diese Annahmen später nicht erfüllten, soll unter Einbeziehung ihrer Werke besprochen werden. Die junge Autorin jedenfalls berechtigte zu den besten Hoffnungen.
Da nach problematischen Erscheinungen und Eheschwierigkeiten im Jahre 1912 eine Scheidung erfolgte und eine für damalige Verhältnisse ungewöhnlich markante, sehr modern erscheinende Weiterentwicklung als »Patchworkfamilie«, muss es auch um diese persönlichen Entwicklungen gehen, zumal sie den Hintergrund für die Weiterentwicklung der Schriftstellerin Helene Voigt-Diederichs bilden. Im Jahre 1916 heiratet Eugen Diederichs ein zweites Mal. Seine Frau wird die ebenfalls schon bekannte Balladen- und Novellendichterin Lulu von Strauß und Torney (1873–1956), die sich der Familienstruktur einfügt und ebenso dem Verlagsleben – insofern gilt auch ihr ein Teil der Aufmerksamkeit bei unserem Diederichs-Spaziergang. Interessant ist, dass mit Ricarda Huch (1864–1947), die von 1936 bis 1947 in Jena lebte, sich nunmehr der Kreis dreier damals sehr bekannter Dichterinnen schließt, die eine Zeitlang gemeinsam in der Saalestadt ansässig waren. So soll auch von ihren Kontakten die Rede sein, die ein interessantes Bild von Distanz und Bekanntschaft liefern, von angepasster Nazinähe bei den Damen Diederichs bis hin zum deutlich kritischen Verhalten Ricarda Huchs in dieser Zeit.
Abb. 1: Foto Gustav Kerb, Jena / Abb. 2: Foto Alfred Bischoff, Jena / Abb. 3: unbekannter Künstler, um 1900.
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