Johannes Daniel Falk – »Die Prinzessin mit dem Schweinerüssel«

Personen

Johannes Daniel Falk

Christoph Schmitz-Scholemann

Orte

Weimar

Johannes-Daniel-Falk-Gedenkstätte

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Christoph Schmitz-Scholemann

Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Wie­der­ge­le­sen von Chris­toph Schmitz-Scholemann

Aus dem Hinterhof des klassischen Weimar

 

Am 28. Okto­ber 1768 als Sohn einer feu­ri­gen fran­zö­si­schen Cal­vi­nis­tin und eines armen, aber from­men Perü­cken­ma­chers in Dan­zig gebo­ren, kam Johan­nes Daniel Falk nach einer etwas unor­dent­lich ver­lau­fe­nen Stu­di­en­zeit in Halle nach Wei­mar: Das war 1797. Falk hatte sich (anstatt, wie die Eltern hoff­ten, Theo­lo­gie zu stu­die­ren) einen Namen als Sati­ri­ker gemacht. Berühmt ist die »Ode an das Nichts«. Darin heißt es:

Erhabne Mut­ter uns­rer Erde,
O Nichts, du Urquell alles Lichts,
Dir tönt mein Lied. Gott sprach: Es werde!
Da ward die ganze Welt aus Nichts.

Ver­spre­chun­gen der Großwesire,
April­len­gunst des Hofgezüchts,
Prä­la­ten­de­mut, Mädchenschwüre,
Baut nim­mer drauf! Ihr baut auf – Nichts.

Ha, was stol­zierst denn du auf Ahnen,
O hoch­ge­bor­ner Taugenichts!
Du pflegst des Weid­werks, hegst Fasanen,
Und was ver­dankt dir Deutsch­land? – Nichts.

Was füllt, wenn eine Schlacht verloren,
Den Aus­zug man­ches Hofberichts?
Was das Gehirn der Senatoren
In man­cher deut­schen Reichs­stadt? – Nichts.

.….

Was bin ich selbst? – Ein Kind der Erde,
Der Schat­ten eines Traumgesichts,
Der halbe Weg von Gott zum Werde,
Ein Engel heut, und mor­gen – Nichts.

Chris­toph Mar­tin Wie­land, der Falk mit den gro­ßen römi­schen Sati­ri­kern ver­glich, hatte ihm in Wei­mar den gesell­schaft­li­chen Boden berei­tet und so fand der wit­zige und recht gut aus­se­hende junge Mann schnell Anschluss. Er war lite­ra­risch pro­duk­tiv, schrieb Gedichte und Lust­spiele, von denen er eines vom Fens­ter sei­ner Woh­nung am Markt­platz in Wei­mar auf­führte: »Die Prin­zes­sin mit dem Schwei­ne­rüs­sel«, ein Pup­pen­spiel, mit dem er das Wei­ma­rer Thea­ter­le­ben und mit­hin auch den Thea­ter­di­rek­tor Goe­the auf die Schippe nimmt. Ansons­ten lebte Falk vor­erst glück­lich im Kreise sei­ner wach­sen­den Fami­lie: Er sieht die Sonne um Mit­ter­nacht, pflegte seine Frau zu sagen. Für Goe­the war Falk ein »Narr«, dem er aber inter­es­san­ter­weise bis zu des­sen Lebens­ende in distan­zier­ter Sym­pa­thie ver­bun­den blieb.

1806, als die Fran­zo­sen Wei­mar besetz­ten, erwies sich Falk, auch dank sei­ner guten Fran­zö­sisch-Kennt­nisse, als ein muti­ger und durch­aus schlitz­oh­ri­ger Ver­mitt­ler zwi­schen den Wei­ma­rer Bür­gern und den napo­leo­ni­schen Besat­zern. Das brachte ihm das Amt eines Lega­ti­ons­ra­tes ein. Sie­ben Jahre spä­ter kam wie­der der Krieg nach Thü­rin­gen und mit dem Krieg kamen Krank­hei­ten. Falk musste schreck­li­che Schick­sals­schläge in rascher Folge erdul­den: Von Mai bis Sep­tem­ber 1813 star­ben ihm vier Kin­der. Dies und der Anblick der vie­len jun­gen Men­schen, die infolge der Kriegs­wir­ren krank und ver­wahr­lost durch Thü­rin­gen zogen, lie­ßen Falk füh­len: Er musste sein Leben ändern. Spä­ter schrieb er:

»Ich war ein Lump mit tau­send andern Lum­pen in der deut­schen Lite­ra­tur, die dach­ten, wenn sie nur an ihrem Schreib­tisch säßen, so sei der Welt gehol­fen. Es war noch eine große Gnade Got­tes, dass er, statt wie die andern mich zu Schreib­pa­pier zu ver­ar­bei­ten, mich als Ver­band benutzte und in die offe­nen Wun­den der Zeit legte.«

Falk grün­dete die »Gesell­schaft der Freunde in der Not«. Er öff­nete sein Wohn­haus für die erbärm­lichs­ten der Armen, näm­lich für streu­nende Kin­der und Jugend­li­che. Der Grund­satz lau­tete: Jeder, der anklopft, wird auf­ge­nom­men, kei­ner, der flie­hen will, wird fest­ge­hal­ten. Alle bekom­men zu essen, sau­bere Klei­dung, Arbeit und Unter­richt. Wir sehen Falk in die­sen Jah­ren von Pon­tius zu Pila­tus lau­fen, das erwor­bene und das ererbte Ver­mö­gen stück­weise auf­brau­chen, alte Manu­skripte, die Kut­sche und den Schmuck sei­ner Frau ver­hö­kern, drei­ßig, vier­zig Kin­der im Haus­halt, immer wie­der anste­ckende Krank­hei­ten, mit Pro­zes­sen über­zo­gen von Ver­mie­tern, Lie­fe­ran­ten, die er nicht bezah­len kann, sich um ein paar Taler für Krät­ze­s­albe mit dem Apo­the­ker strei­ten, aus dem Haus an der Espla­nade ver­trie­ben in eine alte, her­un­ter­ge­kom­mene Fabrik (heute Luther­gasse 1 a in Wei­mar), wir sehen, wie er diese Not zur Tugend macht, indem er die Reno­vie­rung und den Wie­der­auf­bau des Hau­ses zum Jugend­pro­jekt aus­ruft, auch die quä­len­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Behör­den, die ihm die staat­li­che Bei­hilfe strei­chen, mit der Begrün­dung, er dürfe nur Lan­des­kin­der auf­neh­men. Man­che emp­find­same Trä­ger der Hoch­kul­tur rümp­fen die Nase. Falk notierte damals:

»Vor Ärger sterbe ich in Wei­mar nicht; aber vor Ekel, wie er jeman­den befällt, wenn er zwi­schen den Äsern von toten Hun­den und Kat­zen wandelt.…O mein Gott, gib mir Geduld! Indes­sen schi­ka­niert mich die Poli­zei …wegen ein biß­chen Dreck, den die Jun­gen aus dem Fens­ter werfen…«

Auch in der Zeit nach 1813 war Falk als Schrift­stel­ler prä­sent. Aber sein Schrei­ben hatte sich geän­dert. Es zielte direkt ins Leben. Falk zeigte sich als begab­ter Pam­phle­tist, zB in sei­nem »Auf­ruf an die bie­de­ren Land­be­woh­ner des Groß­her­zog­tums Wei­mar« von 1816. Zu Erzie­hungs­zwe­cken schrieb Falk Lie­der für die Kin­der in sei­nem Wai­sen­haus, dar­un­ter das bis heute meist­ge­sun­gene Lied aus dem klas­si­schen Wei­mar: »O du fröh­li­che…«. Und um Geld für die Kin­der und seine Fami­lie zu ver­die­nen, schrieb er ein von Hein­rich Heine spä­ter hoch­ge­lob­tes Goe­the-Por­trait, der Form nach in etwa das, was man heute eine lite­ra­ri­sche Repor­tage nen­nen würde. Den 1824 abge­schlos­se­nen Text ver­kaufte er 1825 an sei­nen Ver­le­ger mit der Maß­gabe, das Buch erst nach Goe­thes Tod auf den Markt zu brin­gen. So geschah es auch.

Im Herbst 1825 beging der Groß­her­zog sein 50jähriges Regie­rungs­ju­bi­läum. Die Stadt fei­erte mit. Falk hat oft berech­net, wie viele Kin­der er von dem Geld hätte spei­sen und ein­klei­den kön­nen, das für die Fackeln und Feu­er­werke einer ein­zi­gen Prunk­nacht auf­ge­wandt wurde. Aber anstatt zu rebel­lie­ren, schmückte der »Narr« sein Kin­der­heim. Danach wurde er krank und starb wenige Wochen spä­ter, am 14. Februar 1826. Seine Frau Caro­line Falk schrieb:

»Ich kann sagen, er hat mich nur ein­mal in sei­nem Leben belei­digt, und das war durch sei­nen Tod…Sein letz­ter Kampf war herzzerreißend…wir plag­ten ihn wohl ein wenig, indem wir ihm meh­rere Spei­sen vor­schlu­gen und auf­tru­gen… Lebe recht wohl, alter Freund und komm bald wie­der! Deine Caro­line bis ans Ende mei­ner Tage.«

Leben und Werk des Johann Daniel Falk sind, wie wir sehen, aufs Engste mit­ein­an­der ver­wo­ben. Am schöns­ten tritt das her­vor in der von Paul Sauppe besorg­ten und mit Nach­wort und einem tabel­la­ri­schen Lebens­lauf ver­se­he­nen Werk­aus­gabe. Sie trägt den Titel  »Die Prin­zes­sin mit dem Schwei­ne­rüs­sel«, erschie­nen  1988 im Ver­lag Rüt­ten & Loe­ning (Ber­lin). Ein wun­der­ba­res Buch! Paul Sauppe hat hier Falks wich­tigste Werke ver­sam­melt und kom­men­tiert – einer­seits mit gro­ßer Ken­ner­schaft, ande­rer­seits aber auch mit genau dem Fin­ger­spit­zen­ge­fühl, das nötig ist, um den Leser mit dem nöti­gen Wis­sen zu ver­sor­gen und vor unnö­ti­gem Bal­last zu ver­scho­nen. Das Bild, das Paul Sauppe von Johan­nes Falk malt, ist das Bild eines hoch­be­gab­ten, wenn auch irgend­wie nie ganz fer­tig gewor­de­nen Dich­ters. Es ist ein Bild mit Ris­sen, aus denen es noch zu blu­ten scheint. Und doch: Voilá – un homme! »Ein Mensch behaup­tet sich und hat Bestand.«

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