Johann Karl Wezel – »Belphegor oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne«

Personen

Johann Karl Wezel

Gerhard Tänzer

Ort

Sondershausen

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Gerhard Tänzer

Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Wie­der­ge­le­sen von Ger­hard Tänzer

 

»Geh zum Fege­feuer mit dei­nen Pre­dig­ten, Wahn­wit­zi­ger!« rief die schöne Akante…und warf den erstaun­ten, halb sinn­lo­sen Bel­phe­gor nach zween wohl­ab­ge­ziel­ten Stö­ßen mit dem rech­ten Fuße zur Tür hin­aus. – Mit die­sen Wor­ten beginnt der Autor sei­nen 1776 in Leip­zig erschie­ne­nen Roman, in dem er nach dem Grund allen mensch­li­chen Han­delns fragt und die Ant­wort an den vier Haupt­per­so­nen des Romans demonstriert.

Da ist zunächst Akante. Ihr Name weist auf die schön blü­hende, aber sta­chel­blätt­rige Staude Akan­thus hin. Akan­the ist erfüllt von einem gedan­ken­los ani­ma­li­schen Lebens­wil­len und dem Drang, aus dem Geld ihrer Lieb­ha­ber Nut­zen zu zie­hen. Ihr mit Fuß­trit­ten ver­ab­schie­de­ter Ver­eh­rer Bel­phe­gor erscheint als ein heiß­blü­ti­ger, impul­siv han­deln­der Mann, unauf­halt­sam getrie­ben vom immer wie­der her­vor­bre­chen­den Auf­be­geh­ren gegen die Unge­rech­tig­keit in der Welt, des­sen unge­ach­tet ein Ver­fech­ter des freien Wil­lens. Mit sei­nem Namen spielt Wezel auf einen mythi­schen Dämon an, der, um zu bewei­sen, dass alles Übel von den Frauen kommt, eine irdi­sche Frau ehe­licht und von ihr um sein Ver­mö­gen gebracht wird. Die dritte Haupt­fi­gur, Fromal (ein Ana­gramm?), ist beherrscht von der Idee, dass der Lauf der Welt nichts als eine unend­li­che Reihe von Ursa­chen und Wir­kun­gen sei und die Natur, alle Lebe­we­sen und selbst die Seele des Men­schen darin ein­ge­ket­tet seien. Es gibt kei­nen freien Wil­len und somit für Fromal auch kein Gut und Böse, son­dern nur Erfolg oder Nie­der­lage. Dage­gen glaubt Medar­dus, ein Land­pfar­rer mit dem Namen des Schutz­pa­trons der Bau­ern und Win­zer, an eine über­na­tür­li­che Vor­se­hung allen Gesche­hens, und im Ver­trauen dar­auf besteht er alles Unglück und alles Leid, am Ende sogar den Tod mit der Devise: Wer weiß, wozu es gut ist.

Die Fuß­tritte, die Bel­phe­gor von Akante erhal­ten hat, sind die Erste Ursa­che aller wei­te­ren Hand­lung. Sie kata­pul­tiert Bel­phe­gor in unzäh­lige Aben­teuer, und nach ihm die drei ande­ren Per­so­nen. Sie fal­len unter die Räu­ber, gera­ten in Auf­stände und Kriege, mehr als ein­mal geht es ihnen bei­nahe ans Leben, sie wer­den als Skla­ven ver­kauft, und sie wer­den selbst zu Skla­ven­be­sit­zern, Akante im Osma­ni­schen Reich zur Ers­ten Harems­frau und zur Stra­ßen­hure. Es ist, ob in Europa, Asien, Afrika oder Ame­rika, eine Welt des Gemet­zels, über­all wer­den Men­schen geköpft, gehängt, ver­stüm­melt, ver­brannt, Dör­fer wie Schlös­ser ver­wüs­tet. Neid und Über­le­gen­heits­stre­ben, so Wezel, sind die Trieb­fe­dern allen mensch­li­chen Han­delns. Am Ende fin­den die drei Män­ner auf einer Insel zu einem klei­nen Land­gut und der Aus­sicht auf ein fried­li­ches Leben. Aber Medar­dus stirbt, und Bel­phe­gor lässt sich von der Frei­heits­pa­role der auf­stän­di­schen ame­ri­ka­ni­schen Kolo­nis­ten fort in den Krieg locken.

Für die Per­so­nen gibt es keine Ent­wick­lung, ihr Wesen ist deter­mi­niert. Wezel bringt sie dem maschi­nen­haft han­deln­den Men­schen des Phi­lo­so­phen Lamet­t­rie sehr nahe. Lei­der hat Wezel seine Beweis­füh­rung mit unzäh­li­gen, in ihren Abläu­fen sich ähneln­den, mit­un­ter mons­trö­sen Bege­ben­hei­ten im Über­maß illus­triert. Der heu­tige Leser sollte Epi­so­den, deren Lek­türe ihn ermü­det, ein­fach über­blät­tern, denn das Buch ist in sei­nen bes­se­ren Par­tien durch­aus unter­halt­sam, und es fehlt ihm nicht an bis­si­ger Gesell­schafts­kri­tik, an Witz und Ironie.

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