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Gerhard Tänzer
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Wiedergelesen von Gerhard Tänzer
»Geh zum Fegefeuer mit deinen Predigten, Wahnwitziger!« rief die schöne Akante…und warf den erstaunten, halb sinnlosen Belphegor nach zween wohlabgezielten Stößen mit dem rechten Fuße zur Tür hinaus. – Mit diesen Worten beginnt der Autor seinen 1776 in Leipzig erschienenen Roman, in dem er nach dem Grund allen menschlichen Handelns fragt und die Antwort an den vier Hauptpersonen des Romans demonstriert.
Da ist zunächst Akante. Ihr Name weist auf die schön blühende, aber stachelblättrige Staude Akanthus hin. Akanthe ist erfüllt von einem gedankenlos animalischen Lebenswillen und dem Drang, aus dem Geld ihrer Liebhaber Nutzen zu ziehen. Ihr mit Fußtritten verabschiedeter Verehrer Belphegor erscheint als ein heißblütiger, impulsiv handelnder Mann, unaufhaltsam getrieben vom immer wieder hervorbrechenden Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit in der Welt, dessen ungeachtet ein Verfechter des freien Willens. Mit seinem Namen spielt Wezel auf einen mythischen Dämon an, der, um zu beweisen, dass alles Übel von den Frauen kommt, eine irdische Frau ehelicht und von ihr um sein Vermögen gebracht wird. Die dritte Hauptfigur, Fromal (ein Anagramm?), ist beherrscht von der Idee, dass der Lauf der Welt nichts als eine unendliche Reihe von Ursachen und Wirkungen sei und die Natur, alle Lebewesen und selbst die Seele des Menschen darin eingekettet seien. Es gibt keinen freien Willen und somit für Fromal auch kein Gut und Böse, sondern nur Erfolg oder Niederlage. Dagegen glaubt Medardus, ein Landpfarrer mit dem Namen des Schutzpatrons der Bauern und Winzer, an eine übernatürliche Vorsehung allen Geschehens, und im Vertrauen darauf besteht er alles Unglück und alles Leid, am Ende sogar den Tod mit der Devise: Wer weiß, wozu es gut ist.
Die Fußtritte, die Belphegor von Akante erhalten hat, sind die Erste Ursache aller weiteren Handlung. Sie katapultiert Belphegor in unzählige Abenteuer, und nach ihm die drei anderen Personen. Sie fallen unter die Räuber, geraten in Aufstände und Kriege, mehr als einmal geht es ihnen beinahe ans Leben, sie werden als Sklaven verkauft, und sie werden selbst zu Sklavenbesitzern, Akante im Osmanischen Reich zur Ersten Haremsfrau und zur Straßenhure. Es ist, ob in Europa, Asien, Afrika oder Amerika, eine Welt des Gemetzels, überall werden Menschen geköpft, gehängt, verstümmelt, verbrannt, Dörfer wie Schlösser verwüstet. Neid und Überlegenheitsstreben, so Wezel, sind die Triebfedern allen menschlichen Handelns. Am Ende finden die drei Männer auf einer Insel zu einem kleinen Landgut und der Aussicht auf ein friedliches Leben. Aber Medardus stirbt, und Belphegor lässt sich von der Freiheitsparole der aufständischen amerikanischen Kolonisten fort in den Krieg locken.
Für die Personen gibt es keine Entwicklung, ihr Wesen ist determiniert. Wezel bringt sie dem maschinenhaft handelnden Menschen des Philosophen Lamettrie sehr nahe. Leider hat Wezel seine Beweisführung mit unzähligen, in ihren Abläufen sich ähnelnden, mitunter monströsen Begebenheiten im Übermaß illustriert. Der heutige Leser sollte Episoden, deren Lektüre ihn ermüdet, einfach überblättern, denn das Buch ist in seinen besseren Partien durchaus unterhaltsam, und es fehlt ihm nicht an bissiger Gesellschaftskritik, an Witz und Ironie.
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