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Walter Petry
In: Atlantis. Länder, Völker, Reisen, Nr. 8, Freiburg im Breisgau 1930.
»Weimar«, sagte eine ausländische Besucherin, als man sie nach ihrem Eindruck fragte, »ein deutsches Memorial, von Goethe gestiftet.« Indessen machen sich bei näherem Hinsehen einige Zusätze notwendig. Die Stadt ist älter, als man glaubt – und sie ist gegenwärtig. Diese thüringische Landeshauptstadt aber, aus deren Fenstern, wenn es sich so gibt, die Hakenkreuzsymbole bestimmter eigenständiger Verbände hängen, wo hat sie ihre Wurzeln? Sie ist langsam aus einer Schloßherrschaft zu einem Ort von 48.000 Seelen gewachsen, ehrenwerte bodenständige Leute, die zwischen dem Geist der Verfassung von Weimar und einem ehemaligen Hoflieferantentum die Mitte halten. Sie pflegen die Tradition auf eine Weise, die sie verstehen. Daß sie an der Schwelle der sorgsam gefegten Totenhäuser die Steuer kassieren, alljährlich eine aus allen Gauen herbeigeschaffte »Schillerjugend« mit Fackeltänzen und bezüglichen Gesängen in die Geheimnisse klassischer Kultur einweihen, ist ihre Art, Gedächtnis und Erwerb zu mischen. Sie haben den Ruhm ihres Städtchens auf zweiunddreißig Gedenktafeln gebracht. Dieses Weimar der Gegenwart steht nur noch auf der Plakatsäule in dem bequem gemachten Fußstapf der großen Vergangenheit: »Der weiße Schwan begrüßt dich jederzeit mit offenen Flügeln«, ein Goethebriefwort an Zelter, das Gäste auf den renommierten Ausschank heimatlicher Biere verweist. Diese klassische Reklame, mit der sich der ehrfürchtige Nachkomme treffend vorstellt, gibt für die Suche nach Überbleibseln der Heroen Fingerzeige. Wir haben, ein paar Schritte weiter, in Papier- und Bijouterieläden, die ganze denkwürdige Zeit zu Andenken frisiert zusammen. Ein Zitaten- und Bilderchenschatz, in unterschiedliche Serien geteilt, in Kupfertiefdruck mit diversen Leitsätzen fürs Leben für eine Mark die Kollektion: das sind die Populärausgaben der Meister, entsiegelt, ans Licht gebracht in Formaten, die dem Bedürfnis der Enkel gerecht werden. Jeder Besucher findet das Weimar, das er suchte. Für Eilige ist die Vergangenheit zu einem Rundgang zusammengerückt worden, der keine großen Anforderungen macht und dennoch in knapp zwei Stunden eine »denkwürdige Erinnerung gewährleistet«.
Für die anderen aber ist dieses moderne Weimar, wie es rings um seinen Kulturfriedhof daliegt, eine durchschnittlich belebte hübsche Gartenstadt, die um ihren mittelalterlichen Kern nach Norden und Westen öde und abschreckende neuzeitliche Vororte anschließt. Sein Baumbestand ist hundert und mehr Jahre üppig fortgewachsen; die Ilm geht im alten geschnörkelten Bett; in den Straßen stehen die alten schönen Brunnen. Ein Blick vorn Schloß über die Dächer zeigt in den Winkellagen der Dachschrägen, den Giebelfeldern, dem Wuchs der Gassen die älteste Struktur. Die Häuser sind schmal, auf- und absteigend in der Höhe, mit geblichenen schönen Schindellagen gedeckt; die Stadtkirche überragt sie, das weite, kaum bewegte Land, mit sanften Hebungen und Waldsäumen, umzieht sie im Hintergrund.
Letztmalig wurde diese Stadt, schon prangend im Schmuck der Neuzeit, für Europa durch Nietzsche bedeutsam, der auf der Luisenstraßenhöhe, 1900, vom Bett in die Gruft wechselte; seither war man fleißig, die Kunst in Gesellschaften zu präparieren und in staatlichen Anstalten auf »moderne Form« umzubauen. Wir glauben einige kleine Beispiele dieses neuen Lebens nicht entbehren zu können.
Das Treppenhaus des früheren Bauhauses muß erwähnt werden, in welchem Professor Schlemmer sich contra Winckelmann einschrieb: eine heitere Verwandlung des Praxiteles in die Walzen- und Zylinderpuppen letzter mechanisch gelöster Formenspiele. Der Park, den Goethe entwarf, der Herzog pflanzte, kommt in Aquarellen Paul Klees als »Garten für Orpheus«, »Klassischer Garten«, (zarteste Strichlagen musikalischer Phantasie) zur Darstellung; die umliegenden thüringischen Altdörfer sind, von Feininger aufgenommen, als kubistisch saubere Tafeln für die Malerei der Gegenwart erhalten. Mögen damit einige Punkte des neuen Ortes angedeutet sein […]
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