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Lothar Brieger
Ludwig Bäte und Kurt Meyer-Rothemund (Hg.): Johannes Schlaf. Leben und Werk, Querfurt 1932.
Der siebzigste Geburtstag ist immerhin ein Datum, an dem es gestattet ist, sich zurückzuerinnern. Das vielleicht um so mehr, wenn diese Rückerinnerung für den Menschen bedeutungsvoll ist, den man feiern will.
Ich kannte Johannes Schlaf noch nicht. Seine Bücher hatten mir viel bedeutet, gesehen hatte ich ihn nie. Aber als ich eines Abends – das ist nun Jahrzehnte her – in das alte Café des Westens kam, saß dort ein bärtiger Mann an einem Tisch allein, den Kopf auf die Arme gelegt, und weinte bitterlich. Von Zeit zu Zeit ging von den anderen Stammtischen jemand an ihn heran und versuchte, ihn zu trösten. Vergeblich.
Das war Johannes Schlaf, er weinte so fassungslos und war so bis in das Tiefste seiner Seele erschüttert, weil am gleichen Tage sein Hund gestorben war. Ein Hund, mit all den Vorzügen, die dieser vierfüßige Kamerad vor den zweifüßigen hat. Damals begriff ich zuerst, wie weich Johannes Schlaf in seiner Seele ist, ich begriff aber auch, wie furchtbar einsam er sein mußte. Denn nur die einsamsten aller Menschen, die Philosophen und die Künstler, können so am Leben verzweifeln, wenn ein Tier stirbt.
Lange sah ich Schlaf nicht wieder, ich hörte nur, daß er nach Weimar übergesiedelt sei. Und als ich selber, um dem Verlag Diederichs näher zu sein, dann nach Weimar übersiedelte, gab mir der Präsident unseres Stammtischs im Café, Samuel Lublinski, heute halb vergessen, damals ein Vorkämpfer und Herold der ganzen geistigen Bewegung, Empfehlungen an die großen Leute des neuen Weimar mit. So suchte ich denn Paul Ernst auf, war bei der Förster-Nietzsche mit einigem Mißvergnügen immer wieder Zeuge, wie allen Fremden mit den gleichen Worten der Balkonplatz gezeigt wurde, auf dem der wahnsinnige Nietzsche immer gesessen hatte. Und hier, im Nietzsche-Archiv, traf ich Johannes Schlaf zum zweiten Mal. Wir feierten Nietzsches 60. Geburtstag. Der Saal des Archivs war in zwei Hälften mit Sitzreihen geteilt. In der einen Hälfte waren wir Gäste alle untergebracht, in der anderen Hälfte saß allein mit seiner Familie – er hatte sich das zur Bedingung gemacht – S. M. Gerhart Hauptmann. In der Türe aber stand ein Mann mit mildem Gesicht und Bart und sah immer wehmütig auf Gerhart Hauptmann. Und als die Feier zu Ende war, ging Gerhart der Erste hinaus, ohne ihn zu grüßen.
Diese meine zweite Begegnung mit Johannes Schlaf ist mir so unvergeßlich geblieben wie meine erste. Wir haben uns wohl noch ein paar Mal gesehen, wir haben wohl auch noch einige Briefe gewechselt. Aber die Augenblicke, in denen uns ein bedeutender Mensch erinnerungswert bleibt, sind doch wohl die, in denen man glaubt, seine Seele nackt zu sehen.
Ich habe Gerhart Hauptmann nie geliebt, er hat mir immer in tiefster Seele widerstanden. Doch ich verstehe vielleicht zu wenig von Literatur, und was ein Mensch wie ich hierüber zu sagen hat, mag immer ein bißchen naiv klingen. Aber damals schien es mir, als hätte Hauptmann Schlaf doch grüßen sollen, so mit einem ganz kleinen Nicken des Kopfes, ein bißchen gnädig meinethalben, so wie ein König den Ritter grüßt, der ihm in einer Revolution immerhin mit zum Throne verholfen hat, auch wenn man sich nicht immer gerne deutlich dazu bekennt. Mir Literaturdilettanten will es scheinen, als sei der »Meister Oelze« doch eine große Sache gewesen, und meine Dilettantennase wittert noch heute an den Blüten des lieblichen Buches »Aus Dingsda« den Duft einer gefühlvollen Ewigkeit.
Kein Mensch kommt ganz aus seiner Jugend heraus, und mein Liebling Johannes Schlaf ist eben der Liebling meiner Jugend geblieben. Ich habe ja gehört, er hat sich seitdem immer wieder gewandelt und entwickelt, er soll viel stärkere Bücher geschrieben haben, und er soll für eine spätere Generation, für eine Generation noch nach mir, ein maßgebender Denker und Weltanschauler geworden sein. Das berührt mich tief. Es beweist mir, daß ich als junger Mensch nicht Unrecht gehabt haben kann, wenn ich den Mann Johannes Schlaf liebte. Vielleicht gibt es keinen besseren Prüfstein für die große und bleibende Bedeutung eines Menschen, als wenn er sich mit mehreren Generationen zu wandeln und für jede Generation immer wieder ein Neuer zu sein vermag.
Aber heute, zum siebzigsten Geburtstag, möchte ich wieder Student sein wie damals und glücklich darüber, den verehrten Dichter zum ersten Male sehen zu können. Ich grüße Johannes Schlaf von Herzen. Ich will hoffen und wünschen, daß er einen herrlichen Hund hat, noch viel schöner und lieber als der, den er damals verlor. Und ich will ihm vor allem die gesunde Meinung wünschen, daß ihn nichts mehr schmerzt, daß ihm nichts mehr weh tut, und daß er mit fröhlichem Lächeln der Ansicht ist, wer ihn nicht grüßen will, der soll es eben in Gottes Namen bleiben lassen.
Abb. 1: unbekannter Fotograf / Abb. 2: Foto: Nicola Perscheid, 1914.
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