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Jens-Fietje Dwars
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Beim Abstieg von der Nietzsche-Bank kommen wir auf dem Weg zum Parkplatz am Haus Sommerberg Nr. 5 vorbei, an dem eine Tafel daran erinnert, dass hier Ricarda Huch Ende März 1945 mit ihrer Tochter und Antje Bultmann-Lemke vor der Bombardierung Jenas Zuflucht fand.
Wenig später sehen wir die 500jährige Dorflinde. Ihr gegenüber stand bis Anfang diesen Jahrhunderts der Gasthof »Zum Schenken«, in dem Lou und Nietzsche Mittag aßen. Was Lou tatsächlich 1882 bereits von Nietzsches Philosophie begriffen hat, wissen wir nicht. Manche werfen ihr vor, sie habe den Verliebten am Nasenring durch die Arena geführt. Doch was blieb der 21jährigen übrig? Sie konnte sich ihm nur unterwerfen – oder ganz verweigern. Denn eines sah sie klar: er sei eine »religiöse Natur«, einer, der als Freigeist selbst eine Art Glauben stiftet, der nicht, wie Paul Rée ruhig abwägen und Theorien entwickeln will, sondern sich bekennt und Bekenntnisse fordert.
Lou ging auf Distanz und zog mit Rée allein nach Berlin. Nietzsche fühlte sich betrogen und verdammte Lou in einem Briefentwurf als eine »übelriechende Äffin mit falschen Brüsten« – womit er sich in seiner männlich allzumännlichen Eifersucht und Gekränktheit zu erkennen gab.
In diesem Zustand schrieb er 1883 wie in einem Rausch den ersten Teil des »Zarathustra« nieder – seiner neuen Bibel mit dem berühmt berüchtigten Peitschenzitat. »Du gehst zu Frauen?« Lässt er ein »altes Weiblein« Zarathustra fragen und ihm den Rat geben, er möge die Peitsche nicht vergessen.
War das Nietzsches Rache an Lou? Die Umkehr des Luzerner Peitschebildes? Doch wer soll denn mit der Peitsche gezüchtigt werden – das Weib oder der Mann? Von Aristoteles gibt es die Anekdote, wonach einer seiner Schüler den alten Lehrer von einer jungen Schönheit beritten und gepeitscht antraf – als Mahnung, nicht den Verstand über die Lockungen der Sinne zu verlieren. Dem Antikekenner Nietzsche war dieses Gleichnis gewiss vertraut und so könnten wir die Stelle auch als Selbstzügelung nach dem fatalen Begehren der jungen Frau begreifen, mit der er ein neues Leben beginnen wollte.
Wie auch immer: Vergessen Sie das Zitat, das von menschlich allzumenschlicher Enttäuschung Nietzsches spricht und entdecken Sie den Reichtum seines Denkens und seiner Sprache jenseits dieses peinlichen Bildes.
Und Lou? Genau mit ihrer Verweigerung blieb sie ihm treu – was der Gekränkte selbst später einsah, nachdem er nur kurze Zeit den Einflüsterungen seiner Schwester erlag. In Naumburg musste er sich von seiner Mutter sagen lassen, er habe sich durch seinen Umgang mit der Russin am Grab seines Vaters versündigt. Worauf Nietzsche schrieb, dass er nun die Naumburger Tugend gegen sich habe und eiligst in den Süden floh.
Lou hatte genau das getan, was Nietzsches Zarathustra von seinen Jüngern fordern wird: die nämlich sollten ihn zuletzt verleugnen, sollten eigene Wege gehen, um genau damit ihm treu zu sein. Lou von Salomé befreite sich von der allzu persönlichen Übermacht Nietzsches, um 1894 ein Buch über ihn zu veröffentlichen, das heute noch zu den anregendsten gehört: »Friedrich Nietzsche in seinen Werken«.
Elisabeth antwortet darauf ein Jahr später mit der Biografie ihres Bruders, »Das Leben Friedrich Nietzsches«, als dessen geschäftstüchtige Werkverwalterin sie sich im von ihr geschaffenen Nietzsche-Archiv die nächsten 40 Jahre etablieren wird. (In Klammern sei gesagt, dass auch sie eine durchaus tragische Figur war: 15 Jahre vor Lou geboren, hatte sie keine Chance zu studieren und so hat sie all ihre Energien auf den Bruder projiziert. Allein ihr haben wir es zu verdanken, dass Nietzsches Aufzeichnungen von frühester Kindheit bis zur Umnachtung in beispielloser Fülle erhalten sind – auch wenn sie wenige Briefe gefälscht hat, um sich selbst ins bessere Licht zu stellen. In einer reinen Männerdomäne hat sich als Powerfrau, nach dem Vorbild Cosima Wagners, behauptet – eine Beate Uhse der Philosophiegeschichte.)
Lou lebte bis 1885 mit Rée und heiratete 1887 den Orientalisten Friedrich Carl Andreas. 1897 wird die 36jährige zur Muse des 21jährigen Rainer Maria Rilke. Noch zu Nietzsches Lebzeiten lernte sie Sigmund Freud kennen, der grundlegende Anregungen von dem Dichterphilosophen übernahm, ohne dies je eingestanden oder reflektiert zu haben. Als eine der anregendsten Frauen des 20. Jahrhunderts starb Lou 1937 in Göttingen – zwei Jahre nach Elisabeth. Während die eine als »Priesterin Deutschlands« galt, zu deren Trauerfeier Hitler erschien, wurde der Nachlass der anderen von der Gestapo beschlagnahmt, weil sie als Psychoanalytikerin eine »jüdische Wissenschaft« betrieben habe.
In ein Album trug sie 1929 ihr Lebensmotto ein und erwies sich einmal mehr als Nietzsches wahre Erbin: »Alles dürfen – Nichts bedürfen / Lou Andreas-Salomé.«
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