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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak, Das literarische Thüringen, Bucha 2015 / Thüringer Literaturrat e.V.
Karl Emil Franzos (1848–1904) erlebte Erfurt bei seinem Besuch 1901 als quicklebendige Stadt von großer wirtschaftlicher Prosperität. In dem Band »Aus Anhalt und Thüringen« von 1903 berichtet er im Erfurt-Kapitel von der Gartenbau-Tradition, man müsse sich die Stadt als ein »Meer von berauschend duftenden, in allen Farben leuchtenden Blüten: Rosen und Feilchen, Reseden, Levkojen und Tulpen, Balsamienen« vorstellen. Wer über Erfurt im 19 Jahrhundert schreibt, kommt am Namen Weber nicht vorbei. Geboren im heutigen Juri-Gagarin-Ring wirken Alfred Weber (1868–1958) und Max Weber (1864–1920) mit ihren Ideen bis in die Gegenwart auf die Geisteswissenschaften.
Alfred, der Jüngere, steht heute etwas im Schatten seines berühmten Bruders. Aber auch er hat auf dem Bereich der Ökonomie beachtliches geleistet. Bis heute gilt seine industrielle Standortlehre als Basismodell der Wirtschaftsgeografie. Seine soziologischen Schriften teilen eine Kultursphäre als autonomen Bereich gegenüber Zivilisation und Gesellschaft ab. Durch den Verlust der Bindungen zwischen Kultur und anderen Sphären empfindet sich der moderne Mensch als heimatlos. Nicht uninteressant ist sicher auch sein akademisches Wirken. So war er Doktorvater von Franz Kafka (1883–1924) und Erich Fromm (1900–1980). Zudem förderte er maßgeblich die Habilitation des Soziologen Norbert Elias (1897–1990). Max Weber gilt zurecht als Klassiker der Sozial- und Geisteswissenschaften. Als einer der Begründer der Soziologie definiert er sie als »Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will«. Seine zentralen Werke »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« von 1904 und »Wirtschaft und Gesellschaft«, das erst 1922 nach seinem Tod veröffentlich wurde, geben den Bereichen Politik und Wirtschaft zentrale Begriffsdefinitionen vor. So gehen Termini wie Idealtypus oder staatliches Gewaltmonopol oder die modernen Definitionen von Macht und Herrschaft auf Webers Arbeiten zurück. Johannes Biereye (1860–1949) war einer der Mitbegründer der Erfurter Volkshochschule und in den Jahren 1925–1945 Vorsitzender der Erfurter Akademie.
Für die Stadtgeschichtsschreibung lieferte er mit der »Geschichte der Stadt Erfurt« von 1935 und »Erfurt in seinen berühmten Persönlichkeiten« von 1937 maßgebliche Werke. Auch Alfred Overmann (1866–1946) beschäftigte sich mit der Historie der Stadt. Seit 1901 als Archivar in Erfurt tätig, legte er wichtige Grundsteine für die weitere Arbeit von Historikern im 20 Jahrhundert. Als Stadthistoriker machte er vor allem mit dem Klassiker »Erfurt in zwölf Jahrhunderten. Eine Stadtgeschichte in Bildern« aus dem Jahre 1929 von sich reden. Auch das von ihm erstmals als klar strukturiertes Heimatmuseum umgestaltete Stadtmuseum ist ein Werk bleibender Wirkung.
Ricarda Huch (1864–1947) nahm in den Zwanziger-Jahren umfangreiche Recherchen in Erfurt für ihre »Lebensbilder deutscher Städte« vor. Auch Samuel Beckett (1906–1989) kam in die Stadt. Der Literaturnobelpreisträger, dessen Theaterstück »Warten auf Godot« von 1953 ohne Zweifel eines der wichtigsten epischen Werke des 20. Jahrhunderts darstellt, besuchte am 23.1.1937 das Angermuseum, mit seiner Sammlung moderner Kunst, die vorrangig dem Schuhfabrikanten Alfred Hess (1879–1931) zu danken war, und folgte den Altstadtgassen bis zum Dom. Alfred Hess sammelte nicht nur wichtige Werke des Expressionismus für das Angermuseum, er versammelte auch Künstler verschiedenster Richtungen in seinem Haus.
Neben den expressionistischen Malern, wie dem Brücke-Mitglied Max Pechstein (1881–1955) oder Paul Klee (1879–1940), den Komponisten Paul Hindemith (1895–1963) und Kurt Weill (1900–1950), finden sich in seinem Gästebuch auch viele Autoren. Zu nennen sind unter anderem Theodor Däubler (1876–1934) und Else Lasker-Schüler (1869–1945). Willi Münzenberg (1889–1940) kam als Arbeiter einer Schuhfabrik nach Erfurt. Nachdem er hier in den Jahren 1904-10 auch als Mitglied eines Arbeiterbildungsvereines wirkte, geht er nach Zürich, wo er 1915 die Bekanntschaft von Lenin gemacht haben soll. Bereits seit 1912 in verschiedenen sozialistischen Vereinen und als Redakteur der Monatszeitschrift »Die freie Jugend« tätig, muss er 1918 die Schweiz verlassen.
Als Mitglied des Spartakusbundes und später der KPD wird Münzenberg ein Spezialist für die Medienarbeit. Er gründe die »Sowjetrussland im Bild» und übernimmt 1924 den »Neuen Deutschen Verlag«. Das war der Startschuss für den Aufbau eines Medienimperiums mit Filmgesellschaften und auflagenstarken Zeitungen, wie die »Welt am Abend« und die »Arbeiter Illustrierte Zeitung«. Sein »Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitlerterror« sammelte Materialien um die nationalsozialistischen Täter an den Pranger zu stellen. Münzenberg selber wurde 1937 nach einem Eklat wegen ungewünschter Stalin-Kritik aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen.
Eine der vielen tragischen Figuren der NS-Zeit war Theodor Neubauer (1890–1945). Als Schüler besuchte er das humanistische Ratsgymnasium und promovierte 1913 über »Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt Erfurt vor der Reformation«. Bereits direkt nach dem Ersten Weltkrieg begann er als Mitglied der USPD die Arbeit an einer echten demokratischen Volksbildung, was ihm 1920, als er gegen den Kapp-Putsch streikte, die Stelle am Lyzeum Erfurt kostete. Später konnte er als KPD Mitglied und Reichtstagsabgeordneter bis 1933 aktiv politisch arbeiten, dabei war er Chefredakteur der »Freiheit«, dem Publikationsorgan seiner Partei.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde er am 3.8.1933 verhaftet, wobei er im Oktober 1933 als Zeuge im Reichstagsbrandprozess aussagen musste. Erst im September 1939 wurde er entlassen, baute umgehend ein kommunistisches Widerstandsnetz in Thüringen auf und wurde schließlich am 14. Juli 1944 wieder verhaftet. Die Verurteilung wegen »Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung« durch den Volksgerichtshof wurde am 5.2.1945 vollstreckt.
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