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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak, Das literarische Thüringen, Bucha 2015.
In der frühen Neuzeit war Erfurt nicht nur Tummelplatz für humanistische Dichter und Anhänger der Reformation. Johannes Cochlaeus (1479–1552), Autor von geographischen Beschreibungen Deutschlands, nimmt in seiner »Breivus Germaniae description« von 1512 direkt Bezug auf die aktuelle, durch die Ereignisse des »Tollen Jahres« erschütterte, Lage Erfurts:
Die Hauptstadt ist Erfurt, eine große Stadt, die jetzt durch ein Unglück schwer zu leiden hat, einst eine herrliche und reiche Stadt, eine Zierde des ganzen Landes und noch jetzt Pflegestätte der Freien Künste. Wem sie gehorchen soll, ist ihr unklar, da der Bischof von Mainz und der Herzog von Sachsen darüber uneinig sind.
Erst Lehrer, später Gegner Luthers war der Philosoph und Theologe Bartholomäus Arnoldi (1465–1532). Mit seinem »Compendium der Logik« hatte er großen Einfluss beim Reformator. Die bis 1518 erhaltene Freundschaft zu seinem Schüler verkehrte sich in eine verbissene Gegnerschaft, die Arnoldi in heftigen Streitschriften gegen die Einführung der Reformation in Erfurt austrug.
Mit Valentin Ickelsamer (um 1500–1541) studierte in Erfurt von 1518–1520 der Verfasser der ersten deutschen Grammatik. Das in Erfurt erschiene Werk »Die rechte Weis, auffs kürzest lesen zu lernen« von 1520 ist als Vorläufer seiner » Teutsche[n] Grammatica« zu verstehen, in der er die deutsche Sprache neben die allgemein anerkannten, klassischen Sprachen – Latein, Griechisch und Hebräisch – stellte. Natürlich ist kein Porträt Erfurts vollständig ohne den Rechenmeister Adam Ries (1492–1559), der in der Stadt von 1518–1522 eine sehr produktive Phase verlebte. Er leitete hier eine Rechenschule, auch zwei seiner ersten Bücher wurden bei Mathes Maler in der Michaelisstraße 48 gedruckt. Hier befindet sich seit 2002 ein in das Straßenpflaster eingelassenes Rechenbrett von Dietmar Lenz.
Der bekannte Alchemist und Magier Johannes Faust (1480–1540) soll im heutigen Faustgässchen einen Karren mit vier Ochsen und einem Fuder Heu bewegt haben. Vor der damals noch wesentlichen schmaleren Gasse verwandelte er die Ochsen in Mäuse und den Wagen in einen Strohhalm, so dass die Durchquerung ein Leichtes war. In Erfurt fand er Herberge im »Haus zum goldenen Anker«, Schlösserstraße 21, auch hier zeigte er seine Künste. Nicht zu bestreiten ist die Rolle Fausts als Hauptfigur im ersten und vielleicht auch bekanntesten deutschen Volkssagenbuch.
Wegweisende Bücher gänzlich anderen Naturells waren die Werke des Botanikers Johannes Thal (1542–1583). Nach Schulbesuchen in Erfurt und Ilfeld machte sich der Pfarrersohn einen Namen als »Vater der Floristik«. In seiner » Sylva Hercynia: sive catalogus plantarum« von 1577 verzeichnete er alle vorkommenden Pflanzen in der Region des Harzes. Seine Leistung waren so bemerkenswert, dass der große Taxonom Carl von Linné (1170–1778) eine Gattung der Pflanzenfamilie der Pfeilwurzgewächse nach ihm benannte – »Thalia«.
Mit der Gründung eines späthumanistischen »wunderlichen« Poetenkreises sorgte Ludwig Helmbold (1532–1598) für den letzten Höhepunkt vorbarocker Dichtung in Erfurt. Helmbold selbst, 1566 durch Kaiser Maximilian II zum »poeta laureatus« gekrönt, ist heute vor allem durch Texte zu Liedern im Evangelischen Gesangbuch bekannt. Aufgrund seiner besonderen Prinzipientreue für die evangelische Sache musste er Erfurt verlassen. Sein Setzen auf die lateinische Sprache sichert ihm unter den Humanisten eine besondere Stellung. Zu seinem Kreis gehörten unter anderem der Hymnendichter Johannes Gallus (1525–1587) und Bruno Seidel (1530–1591).
Gallus, der als Pastor an der Reglerkirche wirkte, wurde 1569 zum Rektor der Universität Erfurt gewählt. Neben seinen Hymnen erschienen vom ihn zwei Bände mit Epigrammen und eine Grabschrift für Phillip Melanchton. Von großer Vielfalt sind die Werke des Physikers und Mediziners Seidel. Als Sammler von Sprichwörtern bekannt, vorrangig durch die »Sententiae proverbiales« von 1589, beschriebt er in seinen Dichtungen vor allem seine Erlebnisse. Aus seinen Wittenberger Erfahrungen formulierte er eine Carmina auf Martin Luther und Melanchton. Aber auch Werke aus dem medizinischen Fach, zu Themen wie Trunkenheit oder Harnabführung gehören zu seinem Werk.
Einen für die Entwicklung der deutschen Sprache sehr wichtigen, aber oftmals übersehenen Beitrag leistete Wolfgang Ratke (1571–1635). Von der Predigtlehre Luthers ausgehend und mit der »Meißnischen Art zu reden« formulierte er eine deutsche Rhetorik, die als Basis der muttersprachlichen Ausbildung an höheren Schulen genutzt wurde. Mit seinem Leitsatz »Omnia primum in Germanico« (Alles zuerst in Deutsch) gibt das »Memorial« von 1612 dem Elementarunterricht in der eigenen Sprache die zentrale Stellung in seiner Lehre. Die für die Verbreitung der Werke Ratkes eingerichtete Druckerei kann als erster deutscher Schulbuchverlag gesehen werden.
Lehrreich ist auch das Hauptwerk von Laurentius Niska (1590–1665). Obwohl die Waidverarbeitung schon lange ihren Hohepunkt überschritten hatte, lieferte er mit der Denkschrift »WeydBedenken« im Jahre 1661 eine Apologetik für den Anbau und Verkauf des eigenen lokalen Färbestoffes Waid gegenüber den Importen aus Amerika. So betont er in der mit zahlreichen Holzstichen versehenen Anleitung für das Gewinnen des blauen Farbstoffes die besondere Güte des eigenen Erzeugnisses. Eines der mutigsten Bücher aus der Zeit des 30 Jährigen Krieges verdanken wir Johann Matthäus Meyfart (1590–1642). 1633 als Professor an die Lutherisch-Theologische Fakultät der Erfurter Universität berufen, wußte er 1635 die konfessionelle Spaltung der Stadt zu nutzen, um seine Schrift »Christliche Erinnerung/ An gewaltige Regenten und Gewissenhafte Praedicanten/wie das abscheuliche Laster der Hexerey mit Ernst auszurotten […] sey« gegen den Hexenwahn zu publizieren.
Mit der dringlichen Frage: »Ist denn der Leib des Menschen so ein schlechtes Geschöpff/etwan wie ein Sau-Stall/oder ein Schaff-Hürde/oder Strohhütten? Daß er ohne Bedecken leichtlich zu verstöhren/und ihr darzu rathen dürffet?« wendet er sich gegen Folter und Denunziation. Der Versuch sich in das Opfer zu versetzen, »das in ihrem Gewissen der Unschuld versichert ist«, lässt ihn »erzitter[n] fast in meinen Gliedern«. Es ist also seine evangelische Pflicht, »als wenn Gott mir armen Diener saget: Errette die, so man töten will«. In seinen letzten Jahren war Meyfart Pfarrer an der Erfurter Predigerkirche, wo er sich für die Ausbildung neuer Pfarrer einsetzte. Heute am bekanntesten ist sein Lied »Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir«, welches noch immer in evangelischen Messen gesungen wird.
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