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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak, Das literarische Thüringen, Bucha 2015 / Thüringer Literaturrat e.V.
Erfurt, gerade erst 1802 an die Preußen gefallen, wird 1806 in das Fürstentum Erfurt überführt. Nach der Niederlage der preußischen Truppen in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt wurde die Stadt direkt Napoleon unterstellt und war jetzt kaiserliche Staatsdomäne. Dieser Umstand und die zentrale Lage Erfurts sorgten für einen der Höhepunkte in der Stadtgeschichte. 1808 trafen sich Napoleon und der russische Zar Alexander I. um die Möglichkeiten einer friedlichen Koexistenz der Kaiserreiche Frankreich und Russland abzuwägen. Der »Erfurter Fürstenkongress« rückte in den Wochen vom 27. September bis zum 14. Oktober Erfurt in den Blickpunkt der europäischen Großmachtpolitik. Mit dem Einzug Napoleons, an einem »herrlichen Herbsttag«, wie Meyer verzeichnet, beginnt einen zweiwöchige Inszenierung, denn Napoleon wollte »Deutschland durch Pracht und Glanz in Erstaunen setzen«. Unser Bild des Großereignisses ist geprägt von den Berichten Theodor Ferdinand Kajetan Arnolds (1774–1812). Unter dem Titel »Erfurt in seinem höchsten Glanze« veröffentlichte er 24 in Tagebuchstil gehaltene Briefe, die von der Prachtentfaltung der Inszenierung berichten. Ein Blick auf Arnolds weitere Werke zeigt ein sehr vermischtes Oeuvre. Neben Schauer- und Räuberromanen, die eher der Trivialliteratur zu zählen sind, verfasste er mit der »Galerie der berühmtesten Tonkünstler des 18. und 19. Jahrhunderts« eine nicht uninteressante musikhistorische Schrift, die wichtige Komponisten mit Leben und Werk vorstellt. Vor allem über eine Episode wird im Zusammenhang mit dem Kongress gerne Berichtet: Das Aufeinandertreffen von Goethe und Napoleon am 2.10.1808 beflügelt die Phantasie der Berichterstatter. In den Räumen der Statthalterei traf der Dichter gegen 11 Uhr ein und traf auf einen Herrscher im Schlafrock. Das etwa einstündige Gespräch drehte sich um französisches Theater und Literatur, wobei Napoleon vor allem über den Werther sprach, den er, wie Goethe später bemerkt, »durch und durch mochte studiert haben.«. Ob Napoleon dabei wirklich das geflügelte Bonmot »Voila un homme!« (Sieh da, ein Mensch) aussprach muss offen bleiben. Wenn er den Dichter allerdings nach Paris einlädt, damit dieser dort ein Caesar-Drama schreiben könne, »besser als das von Voltaire«, so trägt dies unverkennbar Züge eines grotesken Selbststilisierungsbedürfnisses beim Franzosen, als dessen Werkzeug der stolze Weimarer hätte dienen sollen. Da verwundert es nicht, dass Goethe einen schnellen Ausgang aus dem Gespräch suchte und danach erst spät darüber berichtete. Erst am 15.2.1824 wird Goethe den Bericht über die »Unterredung mit Napoleon« zu Papier bringen. Auch mit Wieland traf sich Napoleon. Am 10.10. ließ er den Klassiker zu abendlichen Theatervorstellung einladen. Der Kaiser und Wieland, der dessen Aufstieg voraussah, sprachen rund 1,5 Stunden miteinander und trennten sich freundlich. Am 14.10.1808 überreicht Napoleon den beiden Dichtern das Großkreuz der Ehrenlegion.
Ein zentraler Aspekt der Inszenierung war neben der Fülle an Bällen und Paraden eine Reihe von Aufführungen klassischer französischer Tragödien durch die Comédie-Française allabendlich im Kaisersaal. Gespielt wurden Stücke von Cornaille, Racine oder Voltaire. Eigens von Napoleon nach Erfurt beordert gaben die Akteure um Francois Josephe Talma (1763–1828), dem bekanntesten Mimen seiner Zeit, ihre Vorstellungen vorrangig von gekrönten Häuptern. Constantin Beyer schrieb dazu:
Ein glänzenderes Parterre dürfte man übrigens wohl selten finden. Die Versammlung bestand fast ganz aus regierenden Fürsten, Erbprinzen, Marschällen von Frankreich, Staatsministern und Generalen. Wo man nur hinsah, schimmerten blitzende Sterne, Ordensbänder und Schärpen dem Auge entgegen.
Die Auswahl der Stücke übernahm Napoleon selbst, wobei auch hier die Größe des französischen Herrschers ein nicht zu unterschätzender Topos war. Im Rahmen einer Aufführung des »Ödipus« von Voltaire am 03. Oktober kam es zur innigsten Treuebekundung der beiden Kaiser. Alexander I. erhob sich und umarmte Napoleon unter tosendem Applaus.
Politisch gesehen war der Fürstenkongress ein Fehlschlag. Zwar wurde am 12. Oktober ein Bündnisvertrag geschlossen, dieser aber blieb eine folgenlose Fußnote der Geschichte. Schon 1812 brach Napoleon nach Russland auf um die Landkarte Europas neuzuordnen.
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