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Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution
Ulrike Merkel
Erstdruck: Ostthüringer Zeitung, 8.7.2012. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Hanau, Kassel und Göttingen sind klassische Grimm-Städte. Doch auch in Thüringen haben die Brüder Spuren hinterlassen. Im Heilbad Heiligenstadt im Eichsfeld etwa treffen sich die Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm 1838 mit Freunden und Familienangehörigen. Gemeinsam diskutiert die Gruppe das Projekt »Deutsches Wörterbuch« das zweite große Hauptwerk der Brüder Grimm.
Da es sich die beiden Demokraten mit ihrem Hannoverschen Landesherren verscherzen, als sie dessen Verfassungsbruch kritisieren, verlieren sie 1837 ihre Professuren in Göttingen. Drei Jahre ohne Anstellung nehmen sie schließlich das Angebot zweier Leipziger Verleger an, das Mammut-Projekt »Deutsches Wörterbuch« in Angriff zu nehmen. Im thüringischen Heiligenstadt, quasi auf neutralem Boden, findet die abschließende Besprechung dazu statt. Vor allem wegen dieses Besuches der Brüder Grimm wird Heiligenstadt 1993 als einzige Stadt in Thüringen in die Touristenroute »Deutsche Märchenstraße« aufgenommen.
Doch auch nach Jena, Weimar, Erfurt, Gotha und Eisenach kommen die Grimms. Wobei Jena vor allem wegen seiner Universitätsbibliothek ihr Interesse weckt. Ende 1809 möchte Wilhelm Grimm dort die berühmte Jenaer Liederhandschrift kopieren, sie dazu mit etwas Glück sogar ausleihen. Doch als er die Bücherei aufsucht, muss er feststellen, dass man »nur 2mal in der Woche eine Stunde lang hingehen« kann, »…wie verdrießlich ward ich, das Ms. (Jenaer Liederhandschrift) lag an einer Kette, ward abgeschnallt und mir aufgeschlagen«. Um die unersetzliche Handschrift tatsächlich ausleihen zu dürfen, hätte es eines Senatsbeschlusses bedurft. So verläuft der Plan im Sande.
Diesen alleinigen Jena-Besuch verbindet Wilhelm Grimm, der gerade eine neumodische Magnet-Kur in Halle abgeschlossen hat, mit einer Stippvisite bei Goethe in Weimar. Der Geheimrat empfängt ihn »ganz schwarz angezogen mit den beiden Orden und ein wenig gepudert«. »Ich hatte nun sein Bild oft gesehen und wußte es auswendig, und dennoch, wie wurde ich überrascht über die Hoheit, Vollendung, Einfachheit und Güte dieses Angesichts«, berichtet Wilhelm seinem Bruder Jacob.
Tags darauf wird er von Goethe noch einmal zum Mittagstisch eingeladen. Der Weimarer Dichter sei dabei »ungemein splendid« gewesen: Es gab »Gänseleberpasteten, Hasen dergl. Gerichte. Er (…) invitirte mich immer zum Trinken, indem er an die Bouteille zeigte und leis brummte, was er überhaupt viel thut; es war sehr guter Rothwein und er trank fleißig, besser noch die Frau.« Gemeint ist Goethes Gattin Christiane Vulpius, die laut Wilhelm Grimms gar nicht schmeichelhafter Beschreibung »sehr gemein aussieht«.
Die persönlichste Beziehungen haben die Grimms zu Gotha. Ihre geschätzte Tante Henriette Philippine Zimmer muss dort notgedrungen einige Jahre verbringen. Sie ist Kammerfrau und enge Vertraute der Kurfürstin Wilhelmine Karoline von Hessen-Kassel. Durch Napoleons Eroberungszüge gen Osten genötigt, gehen große Teile des Kasseler Hofes 1806 ins Exil nach Gotha zur Tochter der Kurfürstin. Hier besucht zunächst Wilhelm 1807 die heimwehkranke Tante. Neben dem seelischen Beistand ist für den jungen Gelehrten der Besuch der Schlossbibliothek Pflicht. Doch die empfindet er als ungeordnet. Und auch hier klagt Wilhelm über die Öffnungszeiten: »die Bibliothek ist kaum 2 Stunden offen.«
Über die Qualität der Thüringer Städte sind sich die Brüder uneins. Während Wilhelm 1807 Eisenach »ungleich beßer« als Gotha empfindet, resümiert Jacob 1811 nach seinem Thüringen-Besuch: »Eisenach hat mir schlecht gefallen, ist eng und kleinlich, so auch das Meiste in Gotha; Erfurt weit beßer und die alte Reichsstadt nicht zu verkennen, es verdiente wieder etwas zu werden. Weimar finde ich schöner wie Gotha (…)«.
Noch einige Male mehr haben die Grimms Thüringen besucht, so zum Beispiel Freunde in Jena nach ihrer Göttinger Entlassung. Und auch in ihrer Sammlung »Deutsche Sagen« finden sich Legenden zu hiesigen Orten, etwa »Der Wartburger Krieg« und »Friedrich Rotbart auf dem Kyffhäuser«. Lesenswert, wenn auch nicht so bekannt ist die Sage »Der Riesenfinger« über den Jenaer Fuchsturm.
Am Strand der Saale, besonders in der Nähe von Jena, lebte ein wilder und böser Riese; auf den Bergen hielt er seine Mahlzeit, und auf dem Landgrafenberg heißt noch ein Stück der Löffel, weil er da seinen Löffel fallen ließ. Er war auch gegen seine Mutter gottlos, und wenn sie ihm Vorwürfe über sein wüstes Leben machte, so schalt er sie und schmähte und ging nur noch ärger mit den Menschen um, die er Zwerge hieß. Einmal, als sie ihn wieder ermahnte, ward er so wütend, daß er mit den Fäusten nach ihr schlug. Aber bei diesem Greuel verfinsterte sich der Tag zu schwarzer Nacht, ein Sturm zog daher, und der Donner krachte so fürchterlich, daß der Riese niederstürzte. Alsbald fielen die Berge über ihn her und bedeckten ihn, aber zur Strafe wuchs der kleine Finger ihm aus dem Grabe heraus. Dieser Finger aber ist ein langer schmaler Turm auf dem Hausberg, den man jetzt den Fuchsturm heißt.
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