Der Traum vom Eigentlichen. Zum Tod der Dichterin und Musikwissenschaftlerin Ingeborg Stein – Von Jens Kirsten

Personen

Ingeborg Stein

Jens Kirsten

Orte

Bad Köstritz

Tiefurt

Weimar

Thema

Nachrufe & Gedenken

Autor

Jens Kirsten

Thüringer Literaturrat e.V.

Ein Nach­ruf von Jens Kirsten

 

Ich werde lie­gen dort / wie Holz am Strand / den Wind nur spü­ren und den Sand / und Ruhe atmen / heißt es in Inge­borg Steins Gedicht „Die Insel“ aus ihrem Band »Hid­den­see oder Der Traum vom Eigent­li­chen«, der 2001 im Buchaer quar­tus-Ver­lag von Det­lef Igna­siak erschien. Am 28. Okto­ber 2020 ist Inge­borg Stein im Alter von 86 Jah­ren in Tie­furt gestorben.

Die Brü­che in der Bio­gra­phie der 1934 im säch­si­schen Mei­ßen Gebo­re­nen zeu­gen von einem nicht ein­fa­chen Weg – sie stu­dierte Musik­wis­sen­schaft und Ger­ma­nis­tik in Ber­lin, Jena und Leip­zig – und von einer lebens­prä­gen­den Hal­tung. Nach dem Stu­dium arbei­tete sie zunächst als Dra­ma­tur­gin in Greifs­wald, Qued­lin­burg und Wei­mar. Mitte der 1960er Jahre ent­schied sie sich nolens volens für den Weg der frei­be­ruf­lich täti­gen Musik­wis­sen­schaft­le­rin und Jour­na­lis­tin. Erst nach zehn Jah­ren gelang es ihr, als Assis­ten­tin an der Fried­rich-Schil­ler-Uni­ver­sti­tät Jena Fuß zu fas­sen, wo sie 1982 pro­mo­viert wurde.

Ihr akri­bi­sches For­schungs­ver­mö­gen und ihre Unan­ge­passt­heit im DDR-Wis­sen­schafts­be­trieb gaben 1984 ver­mut­lich den Aus­schlag, sie mit einer nahezu unlös­ba­ren Auf­gabe zu betrauen. Bis zum Okto­ber 1985 sollte sie im Geburts­haus des Kom­po­nis­ten Hein­rich Schütz in Bad Kös­tritz aus Anlass von des­sen 400. Geburts­tag eine Gedenk­stätte ein­rich­ten. Aus der Ruine von Schütz’ Geburts­haus mit Was­ser­ein­fall, in dem kei­ner­lei aus­stel­lens­werte Objekte mehr vor­han­den waren, ent­wi­ckelte sie bin­nen Jah­res­frist die For­schungs- und Gedenk­stätte Hein­rich-Schütz-Haus Bad Kös­tritz, die für die Muse­ums­land­schaft der DDR und dar­über hin­aus bei­spiel­ge­bend war.

Bis zu ihrem Ruhe­stand im Jahr 1999 lei­tete sie dann das Haus. Wel­che Leis­tung sie dabei voll­brachte, lässt sich in ihrem 2015 erschie­ne­nen Buch »Hein­rich Schütz im Wen­de­licht« nach­le­sen, das ihr zu einem lite­ra­ri­schen Glanz­stück geriet, aus dem vor allem der Besuch Kurt Hagers auf­scheint, den Stein vier Wochen vor der Eröff­nung durch das leere Haus führte. Die »leere Fülle«, die sie dem SED-Chef­ideo­lo­gen ima­gi­nierte – eine höchst amü­sante Para­bel auf die Kar­kasse des im freien Ver­fall begrif­fe­nen DDR-Staa­tes. Als Direk­to­rin des Hein­rich-Schütz-Hau­ses war sie 1994 Anre­ge­rin und Mit­be­grün­de­rin des Ver­eins Mit­tel­deut­sche Barock­mu­sik in Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Thü­rin­gen e.V. (MBM).

Ihre Mehr­fach­be­ga­bung sollte Inge­borg Stein vor allem nach dem Ende der DDR unter Beweis stel­len, als sie begann, neben musik­wis­sen­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen, ihre Gedichte zu ver­öf­fent­li­chen. »Leben sam­meln« heißt ein ers­ter Band, der 1992 erschien und 2005 in einem 2. Buch fort­ge­schrie­ben wurde. »Leben sam­meln« umreißt Steins Poe­to­lo­gie, der es zeit­le­bens um die Suche nach dem Eigent­li­chen ging: den genauen Blick auf ihre Lebens­um­welt, auf ihre Mit­men­schen. Dabei suchte sie poe­tisch und im eige­nen Leben weni­ger nach welt­um­span­nen­den The­men, son­dern sie inter­es­sierte sich für die Welt, die sie unmit­tel­bar erlebte, für Lebens­wege – wie den der Male­rin Erika John – und vie­ler anderer.

In den Jah­ren, in denen Inge­borg Stein in Tie­furt bei Wei­mar lebte, prägte sie die Arbeit des Ver­eins »Woh­nen im Ruhe­stand« ent­schei­dend mit; sie orga­ni­sierte zahl­rei­che kul­tu­relle Ver­an­stal­tun­gen, die weit über Tie­furt Beach­tung fan­den. Wir / in der ver­wal­te­ten Welt / erah­nen das Licht / das durch die Fens­ter / der Ewig­keit bricht / und manch­mal / sel­ten / wis­sen wir / So / sollte es sein.

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