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Von Goethes Tod bis zur Novemberrevolution
Cornelia Hobohm
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projektes der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
An dieser Stelle beginnt das Verschwimmen von Realem und Fiktionalem, dem wir auf unserem Spaziergang noch mehrfach begegnen werden.
Unmittelbar neben der heute katholischen Himmelfahrtskirche, einer schönen Barockkirche in Form eines Oktogons, befindet sich ein zunächst unscheinbarer Grabstein. Er erinnert an eine Frau von Linsky, die in dieser Stadt auf tragische Weise zu Tode kam. Man schrieb das Jahr 1822. Fahrende Künstler traten auf dem hiesigen Rathaussaal auf. Die Hauptattraktion war ein Kunststück, das eben jene Frau von Linsky aufführte: Als »Schildjungfrau« wehrte sie Flintenkugeln ab, die auf sie gefeuert werden sollten. Natürlich war das Gewehr präpariert, der Schütze, der aus dem Publikum gewählt wurde, konnte gemeinhin unbesorgt sein. An jenem Abend jedoch wurde die Frau von einem jungen Mann aus einem Nachbardorf Arnstadts erschossen. Der kam innerhalb der nächsten Tage frei, ein Urteil hatte er nicht zu erwarten, da ihn keinerlei Schuld traf, denn das Gewehr war von der Frau so vorbereitet worden, dass sie getötet werden musste. Ein Selbstmord auf offener Bühne. Erst wenige Tage zuvor war ihr Sohn verstorben, vermutlich hatte der Schmerz über den Verlust sie zu dieser Verzweiflungstat getrieben. Bei Marlitt wird dieser Vorfall, über den die Kleinstädter ganz sicher jahrelang geredet haben, zur Initialphase ihres 1867 erschienenen Romans »Das Geheimnis der alten Mamsell«. Meta d’Orlowska heißt die Bedauernswerte im Roman, in dem sie keinen Sohn hat, sondern eine Tochter mit Namen Felicitas. Diese wird als Halbwaise einem wohlhabenden Bürger der Stadt in Obhut gegeben – und sie entwickelt sich zur Hauptfigur in Marlitts wohl berühmtesten Roman.
Auf der zur Straße liegenden Seite der Himmelfahrtskirche steht das 1992 wieder errichtete Denkmal für die berühmteste Tochter der Stadt. Das alte Denkmal wurde zu Beginn der 1950er Jahre auf Geheiß der FDJ-Kreisleitung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zerstört. Nichts sollte mehr an die Bürgerliche, die Produzentin von Schund und Schmutz erinnern. Doch einem beherzten Bürger der Stadt gelang es, das Bronzerelief zu retten, es über Jahrzehnte zu verbergen und somit nach 1989 wieder zugänglich zu machen. Nach diesem Bronzerelief mit dem Porträt von Eugenie Marlitt wurde für das neue Denkmal eine Replik aus einem speziellen Porzellan gefertigt.
Leicht bergan bewegen wir uns an der Bachkirche – eigentlich der Neuen Kirche – vorbei, dem Wirkungsort des jungen Johann Sebastian in den Jahren 1703 bis 1707, weiter.
Abb. 1: Foto: Jens Kirsten. Abb. 2 Foto: Jens-Fietje Dwars. Abb. 3: Ansichtskarte um 1915. Abb. 4,5: Fotos: Daniel Förster
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