Friedrich Schiller – »Die Braut von Messina«

Personen

Friedrich von Schiller

Hansjörg Rothe

Ort

Weimar

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Hansjörg Rothe

Thüringer Literaturrat e.V.

Wie­der­ge­le­sen von Hans­jörg Rothe

 

Ange­sichts der viel­zi­tier­ten Alter­na­tiv­lo­sig­keit, mit der die Dinge hier­zu­lande seit eini­gen Jah­ren uner­bitt­lich fort­schrei­ten, kann man sich fra­gen, wel­cher antike Tra­gö­di­en­dich­ter eigent­lich dafür das Dreh­buch ent­wor­fen haben könnte. Oder sollte es sich gar in unse­rer eige­nen lite­ra­ri­schen Tra­di­tion fin­den las­sen? Von Fried­rich Schil­ler, des­sen Ambi­tio­nen als »deut­scher Shake­speare« zum Natio­nal­dich­ter zu wer­den wohl­be­kannt sind, käme mei­nes Erach­tens nur »Die Braut von Mes­sina« in Betracht.

Schil­ler hat es mit die­sem Stück unter­nom­men, eine antike Tra­gö­die in ihrer Rein­form anhand einer im Mit­tel­al­ter auf Sizi­lien ange­sie­del­ten, his­to­risch nicht beleg­ten Hand­lung zu ent­wi­ckeln. »Die Tra­gö­die der Grie­chen ist, wie man weiß, aus dem Chor ent­sprun­gen«, schreibt der Dich­ter in einem vor­an­ge­stell­ten Trak­tat, »der Chor ist selbst kein Indi­vi­duum, son­dern ein all­ge­mei­ner Begriff, aber die­ser Begriff reprä­sen­tirt sich durch eine sinn­lich mäch­tige Masse, wel­che durch ihre aus­fül­lende Gegen­wart den Sin­nen imponirt.«

Neben dem Chor als dem Gefolge der bei­den »feind­li­chen Brü­der«, die Schil­ler schon in den Räu­bern beschäf­tigt hat­ten, kommt das Stück mit nur vier wei­te­ren Per­so­nen aus: außer dem alten Diego und einem Boten sind das Donna Isa­bella, Fürs­tin von Mes­sina und Mut­ter der ver­fein­de­ten Erben Don Manual und Don Cesar, sowie die Titel­fi­gur sel­ber – Bea­trice, die unbe­kannte Schwes­ter, wel­che beide Brü­der als ihre ver­meint­li­che Braut der Öffent­lich­keit prä­sen­tie­ren wol­len. Gemäß dem anti­ken Ideal nimmt das tra­gi­sche Schick­sal uner­bitt­lich sei­nen Lauf. Der Chor, in sich gespal­ten nach Gefolg­schaft und doch auch als ein­heit­li­che ideale Per­son auf­tre­tend, greift nicht ein und kom­men­tiert ledig­lich fata­lis­tisch: »Ja, es hat nicht gut begon­nen, Glaubt mir, und es endet nicht gut.«

Trotz aller zwi­schen­zeit­li­chen Hoff­nungs­zei­chen einer Über­win­dung der Feind­schaft bringt der eine Bru­der es nicht über sich, dem andern wenigs­tens die gemein­same Liebe ihrer Schwes­ter zu gön­nen und bringt ihn um, nur um wenig spä­ter selbst im Sui­zid unterzugehen.

Dabei sind weder die Zer­ris­sen­heit im Innern noch die damit kor­re­spon­die­rende Hilf­lo­sig­keit nach außen durch einen mate­ri­el­len Man­gel bedingt, wie der Chor bekräftigt:

Wohl, wir bewoh­nen ein glück­li­ches Land,
Das die him­mel­um­wan­delnde Sonne
Ansieht mit immer freund­li­cher Helle,
Und wir könn­ten es fröh­lich genießen;
Aber es lässt sich nicht sper­ren und schließen,
Und des Mee­res rings umge­bende Welle,
Sie ver­räth uns dem küh­nen Corsaren,
Der die Küste ver­we­gen durchkreuzt.
Einen Segen haben wir zu bewahren,
Der das Schwert nur des Fremd­lings reizt.
Skla­ven sind wir in den eige­nen Sitzen,
Das Land kann seine Kin­der nicht schützen.
Nicht, wo die gol­dene Ceres lacht
Und der fried­li­che Pan, der Flurenbehüter,
Wo das Eisen wächst in der Berge Schacht,
Da ent­sprin­gen der Erde Gebieter.

Bea­trice, deren Namens­vet­te­rin es in Dan­tes »Gött­li­cher Komö­die« noch ver­mag, als Sehn­suchts­ge­stalt die Liebe zu ver­kör­pern und das uner­bitt­li­che Schick­sal der anti­ken Dra­men­form zu über­win­den, bleibt am Ende allein mit der Mut­ter zurück, weil ihre Rolle als Frau von den Brü­dern miss­ver­stan­den wurde: Dass sie kei­nem der Män­ner als allei­ni­ges Eigen­tum gehö­ren wird, als Schwes­ter aber beide glei­cher­ma­ßen liebt, war von Anfang an nicht klar genug betont wor­den. Nicht zuletzt trifft hier auch die Mut­ter einige Schuld, und so bleibt dem Chor am Ende nur das Resümee:

Das Leben ist der Güter höchs­tes nicht,
Der Übel größ­tes aber ist die Schuld.

Dass die not­wen­dige Ver­söh­nung jedoch in ers­ter Linie sie selbst betrifft und nicht allein von »den Mäch­ti­gen« erhofft wer­den kann, ist dem Chor durch­aus klar:

Denn wenn der Mäch­tige des Streits ermüdet,
Wirft er behend auf den gerin­gen Mann,
Der arg­los ihm gedient, den blut´gen Mantel
Der Schuld, und leicht gerei­nigt steht er da.

Das Miss­ver­ständ­nis der Frau als Skla­vin des Man­nes wird von Schil­ler anhand der »Mau­ren« dar­ge­stellt: als der alte Diego Kunde bringt, dass »Mau­ren« die Braut aus ihrem Klos­ter ent­führt hät­ten, sind beide Brü­der zunächst im Kamp­fes­wil­len ver­eint, ver­fal­len jedoch sofort wie­der in das alte Besitz­den­ken als sich erweist, dass die angeb­li­che Ent­füh­rung durch die mos­le­mi­schen See­räu­ber in Wirk­lich­keit nicht statt­ge­fun­den hat. Wie­der will kei­ner dem ande­ren den Besitz der Schwes­ter gön­nen, sie unter­lie­gen sozu­sa­gen im Wider­streit gegen den inne­ren Mau­ren in der eige­nen Brust.

Knüpft also die Wie­der­ge­burt der anti­ken Tra­gö­die aus dem Geiste des Cho­res, die Schil­ler hier unter­nimmt, durch die Namens­gleich­heit der idea­len Frau­en­gestalt an Dante an – so lässt sich Schil­ler nicht wie die­ser von Ver­gil aus dem Inferno durchs Pur­ga­to­rio ins Para­diso lei­ten. Seine Bea­trice ist der hei­li­gen Jung­frau Maria viel weni­ger ähn­lich als die Dan­tes im Flo­renz des 13. Jahr­hun­derts. Dafür gewinnt sie Züge von Anti­gone, der selbst­be­wuss­ten Toch­ter des Ödi­pus und Her­aus­for­de­rin ihres könig­li­chen Onkels Kreon, gegen des­sen des­po­ti­sche Staats­rä­son sie das alt­her­ge­brachte Recht ver­tei­digt: Wie Schil­lers Bea­trice hatte Anti­gone schon im anti­ken Athen sich gewei­gert, zur blo­ßen Braut redu­ziert zu wer­den und auf ihrer Rolle als Schwes­ter bestan­den die kei­nen der bei­den ver­fein­de­ten Brü­der dem ande­ren vor­zie­hen wollte.

Als Anti­go­nes Schwes­ter im Geiste ist Bea­trice auch der streit­ba­ren Jung­frau von Orleans ver­wandt, Schil­lers Titel­hel­din sei­nes drei Jahre zuvor sehr erfolg­reich urauf­ge­führ­ten Stü­ckes. Der Chor erhofft von Bea­trice nichts weni­ger als die Erlö­sung von allem Unheil:

Heil dir, o Jungfrau,
Lieb­li­che Herrscherin!
Dein ist die Krone,
Dein ist der Sieg!
Als die Erhalterin
Die­ses Geschlechtes,
Künf­ti­ger Helden
Blü­hende Mut­ter begrüß´ ich dich!

Schil­lers Zeit­ge­nos­sen waren mit der »Braut von Mes­sina« jedoch rat­los zurück­ge­blie­ben. Dass diese sich der eige­nen Rät­sel­haf­tig­keit bewusst ist und sogar von sich selbst sagt: »ein ewig Rät­sel blei­ben will ich mir« machte sie dem Publi­kum nicht ver­ständ­li­cher. Die feind­li­chen Brü­der konn­ten in der dama­li­gen kul­tu­rel­len Situa­tion Deutsch­lands allen­falls noch als Pro­tes­tan­ten und Katho­li­ken gedeu­tet wer­den, doch Schil­ler hatte das Anti­gone-Motiv durch einen wei­te­ren Kunst­griff fort­ent­wi­ckelt: Was, wenn der des­po­ti­sche Kreon schon gestor­ben ist wäh­rend Eteo­kles und Polyn­ei­kes, die feind­li­chen Brü­der, noch leben? Seine »Braut von Mes­sina« setzt mit der Lei­chen­feier für den alten Fürs­ten ein. Das Staats­be­gräb­nis des würt­tem­ber­gi­schen Her­zogs Karl Eugen, der mit sei­nem eige­nen Schick­sal auf viel­fa­che Weise ver­wo­ben gewe­sen war und dem er auch per­sön­lich bei­wohnte, diente Schil­ler als Vorbild.

Erst die Deut­schen von 1918 konn­ten aber die Bedeu­tung des Endes der abso­lu­ten Fürs­ten­herr­schaft ermes­sen, die als eine Art Druck­ver­band nach dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg durch­aus ihren Sinn gehabt aber schließ­lich das Ende ihrer Zeit­spanne erreicht hatte – Schil­ler hatte es schon vorausgesehen.

Die Rolle des Cho­res im deut­schen Trau­er­spiel muss jedoch spä­tes­tens jetzt, ein wei­te­res Jahr­hun­dert spä­ter, von uns gefun­den wer­den! Dass er vor drei­ßig Jah­ren schon ein­mal kurz­zei­tig als »…all­ge­mei­ner Begriff […] sich durch eine sinn­lich mäch­tige Masse [reprä­sen­tirt]« hat war ein Hoff­nungs­zei­chen. Diese Masse, wel­che damals »durch ihre aus­fül­lende Gegen­wart den Sin­nen impo­nirt« hatte, muss wie­der sicht­ba­rer wer­den auf den Stra­ßen und Plät­zen, die unsere Welt bedeuten.

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