Silke Opitz (Hg.) – »Zwei Räume für sich allein. Maria von Gneisenau und Schloss Molsdorf«

Personen

Maria von Gneisenau

Jens-Fietje Dwars

Ort

Molsdorf

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Jens-F. Dwars

Erstdruck: Palmbaum. Literarisches Journal aus Thüringen, Heft 2/2017, S. 201 f. / Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Jens‑F. Dwars

Rilke fast in Molsdorf

 

Dies ist ein dop­pelt merk­wür­di­ges Buch: Zunächst erzählt es als Kata­log zur gleich­na­mi­gen Aus­stel­lung, die 2016 im Schloss Mols­dorf statt­fand, wie Maria von Gnei­senau (1873–1926) im Jahr 1909 eben die­ses ehe­ma­lige Rokoko-Schlöss­chen erwarb, das man kurz vorm Erfur­ter Auto­bahn­kreuz wie ein Traum­ge­bilde auf­hu­schen sieht. Immer wie­der ist man ver­sucht abzu­bie­gen und Schloss und Park end­lich ein­mal zu besu­chen. Machen Sie es, hal­ten Sie an, hal­ten Sie inne und neh­men Sie das vor­lie­gende Buch als Rei­se­füh­rer mit. Denn die Grä­fin ließ das Anwe­sen, nach ihrer Schei­dung von einem Nach­fah­ren der berühm­ten Offi­ziers­fa­mi­lie von Gnei­senau, umbauen und ver­suchte kei­nen Gerin­ge­ren als Rai­ner Maria Rilke in ihr Refu­gium zu locken.

Der Brief­wech­sel zwi­schen bei­den ist in dem Band erst­mals voll­stän­dig abge­druckt: Die selbst schrift­stel­lernde Maria gurrt schmach­tend, der umwor­bene Dich­ter säu­selt artig, besingt Rose und Immor­tel­len­kranz, den die Grä­fin ihm gesandt hat, und die ihn – oder zumin­dest den Brief­wech­sel – hin­fort beglei­ten, sanft ver­wel­kend wie die sen­si­ble Schrei­be­rin, der sich der Frau­en­flüs­te­rer ebenso sanft, aber bestim­mend zu ent­zie­hen vermag.

Rilke zehrte ja mate­ri­ell und zuwei­len auch geis­tig davon, dass ihn gut betuchte Gön­ne­rin­nen aus­hiel­ten, wie die Prin­zes­sin Marie von Thurn und Taxis, die ihn für den Win­ter 1911/12 auf Schloss Duino bei Tri­est ein­lud. Die dar­aus ent­ste­hen­den Ele­gien gehö­ren zur Welt­li­te­ra­tur. Mols­dorf war für den Musen­kuss offen­bar weni­ger geeig­net, zumin­dest jedoch kam der Dich­ter zuwei­len in den Ber­li­ner Salon der Gräfin.

Vom Umbau des Schlöss­chens zeu­gen zwei Wohn­räume: Ein prot­zi­ges Mar­mor­bad mit pseu­do­klas­si­zis­ti­schen Orna­men­ten und ein fast ori­en­ta­lisch anmu­ten­der Ruhe­raum, in dem ein Aqua­rium vor dem ein­zi­gen Fens­ter wohl die Stim­mung einer Unter­was­ser­welt ima­gi­nie­ren sollte. Lei­der wur­den beide nicht von van de Velde ein­ge­rich­tet, son­dern von Paul Schultze-Naum­burg und den Saal­e­cker Werk­stät­ten. So fin­den wir statt gedie­ge­nem Jugend­stil ein arg eklek­ti­zis­ti­sches Gemisch von Gestal­tungs­ele­men­ten, die noch heute die Besu­cher mehr durch Sen­sa­tion blen­den, als von siche­rem Geschmack zu kün­den. Genau darin ent­sprach das Ambi­ente wohl den Wün­schen der Grä­fin, von der Harry Graf Kess­ler schrieb: »Sie ist eines der ers­ten deut­schen Exem­plare der petite femme vicieuse, des Weib­chens, das die Kunst als Bor­dell benutzt.«

Die Her­aus­ge­be­rin des Ban­des, Silke Opitz, ver­sucht die­ses har­sche Urteil zu rela­ti­vie­ren. Ich fürchte aber, der unbe­stech­li­che Chro­nist sei­ner Zeit hat auch mit die­ser Tage­buch­no­tiz ins Schwarze getrof­fen. Viel­leicht sind die Novel­len und Gedichte der Grä­fin ja bes­ser als deren Briefe, inso­fern hätte man sich ein paar lite­ra­ri­sche Kost­pro­ben gewünscht. Auch die Ver­bin­dung zu Sophie Hoech­stet­ter, die in Dorn­burg in einer Art »Frau­en­ko­lo­nie« lebte und mehr als 30 Romane ver­fasst hat, wird nur ange­deu­tet. Aus­züge aus Brie­fen der Autorin an ihre vor­ma­lige Lebens­ge­fähr­tin Toni Schwabe in Jena zei­gen die Gnei­senau als ver­wöhnte Dame, die ver­mö­gend genug ist, ver­schie­dene Rol­len aus­zu­pro­bie­ren: von der Lite­ra­tur bis zur les­bi­schen Liebe, ohne mit einer davon ernst zu machen. Viel­leicht kann aus die­sem Mate­rial ein­mal ein umfang­rei­che­res Buch über schrei­bende Frauen in Thü­rin­gen vor dem Ers­ten Welt­krieg erwachsen.

Im Turm­zim­mer, das an das Mar­mor­bad anschließt, fan­den 2016 wech­selnde Ein­zel­aus­stel­lun­gen zeit­ge­nös­si­scher Künst­ler und Desi­gner statt. Gou­achen, Col­la­gen, Sil­ber­ob­jekte und Instal­la­tio­nen von Del­phine Cour­til­lot, Jorge Cha­morro, Wiebke Meu­rer und Sarah West­phal spiel­ten mit dem Spu­ren­ma­te­rial der Grä­fin und fin­den sich in dem Kata­log dokumentiert.

Die­ser Kata­log selbst ist als Kor­pus, als Zeug­nis heu­ti­ger Gestaltungs‑, Druck- und Buch­bin­de­kunst die zweite Merk­wür­dig­keit: denn das Buch stand auf der Short­list der schöns­ten deut­schen Bücher aus 2016. Es ist in freund­lich lind­grü­nes Lei­nen gebun­den. Man greift gern danach. Doch die lei­sen Briefe sind über­laut mit gro­ßen Let­tern gedruckt, die Anmer­kun­gen dage­gen win­zig klein, so dass man sie kaum lesen kann. Ein sol­ches Lay­out fällt auf, ob es wirk­lich schön oder funk­tio­nal ist, mögen die Leser selbst ent­schei­den. Dass es aber als eines der schöns­ten Bücher des Jah­res gilt, offen­bart als Phä­no­men den Geist unse­rer Zeit.

  • Silke Opitz (Hg.): Zwei Räume für sich allein. Maria von Gnei­senau und Schloss Mols­dorf. Revol­ver Publi­shing Ber­lin 2016, 240 S.
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