Im Fluchtrausch oder: »Wei mer briefat« sind –Auf den Spuren von Gino Hahnemann
3 : Petőfi-Denkmal: Vom Wandel des Widerspruchs

Person

Gino Hahnemann

Ort

Weimar

Thema

Von 1945 bis zum Ende der DDR

Autor

Jens-Fietje Dwars

Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.

Die schmale, unauf­fäl­lige Büste für Sán­dor Petőfi wird von Spa­zier­gän­gern leicht über­se­hen. Sie wurde 1978, zum 150. Geburts­tag des Dich­ters auf­ge­stellt, der in Ungarn bis heute zu den Natio­nal­hel­den zählt. 1823 gebo­ren fiel Petőfi bereits 1849, mit nur 26 Jah­ren, im Kampf gegen die Habs­bur­ger. Er war der Büch­ner oder Theo­dor Kör­ner Ungarns und immer wie­der junge, auf­rüh­re­ri­sche Intel­lek­tu­elle und Dich­ter angeregt.

1956 for­mierte sich im Petőfi-Klub die erste inner­par­tei­li­che Oppo­si­tion im Ost-Block, die den Buda­pes­ter Auf­stand geis­tig vor­be­rei­tet hat. Einer der Wort­füh­rer war Georg Lukács. Nach des­sen Vor­bild kon­zi­pierte Wolf­gang Harich in der DDR ein Oppo­si­ti­ons­pro­gramm. Als Harich und dem Auf­bau-Ver­lags­leis­ter Wal­ter Janka 1957 vor Gericht stan­den, wurde dem Kul­tur­bund vor­ge­wor­fen, als zwei­ter Petőfi-Klub die Kon­ter­re­vo­lu­tion ermög­licht zu haben.

Die geis­tige Bewe­gung, für die 25 Jahre danach der Prenz­lauer Berg zum Sym­bol wurde, war von ande­rer Art: keine pri­mär poli­tisch defi­nierte Oppo­si­tion, son­dern ein Ver­lan­gen nach selbst­be­stimm­ten Lebens­for­men, ein Rin­gen um den eige­nen Aus­druck, eine eigene, nicht mehr von Ideo­lo­gie okku­pierte Sprache.

Bereits 1973 erwarb Gino die »staat­li­che Zulas­sung für frei­be­ruf­lich tätige Man­ne­quins« am Mode­insti­tut der DDR, um als freier Künst­ler zu leben. Die Model-Auf­tritte sicher­ten ihm die mate­ri­elle Exis­tenz und, was noch wich­ti­ger war, bewahr­ten ihn vor dem Vor­wurf, als »Aso­zia­ler« kei­ner »gere­gel­ten Beschäf­ti­gung« nachzugehen.

Im Grunde war er seit die­ser zeit ein Lebens­künst­ler. Noch schrieb er nur neben­bei, zeich­nete und foto­gra­fierte. Seit 1984 jedoch ver­öf­fent­lichte er gezielt Gedichte und lite­ra­ri­sche Texte in den inof­fi­zi­el­len Zeit­schrif­ten SCHADEN, ARIADNEFABRIK, MOSE 2,25, KONTEXT, KOMA-KINO, U.S.W. sowie in eigen­stän­di­gen Künst­ler­bü­chern NACHTBUS (1985), GINO TEXTRA (1987), OUT & ABOUT (1989) und in den Antho­lo­gien FLUGSCHUTT (1986), WOHNSINN (1987), ATEM (1988).

Jeg­li­che Ver­öf­fent­li­chung in der DDR bedurfte einer Geneh­mi­gung durch das Minis­te­rium für Kul­tur – außer es han­delte sich um ori­gi­nal­gra­fi­sche Kunst. Diese Geset­zes­lü­cke nut­zen in den 1980er Jah­ren immer mehr Künst­ler, um Texte mit Gra­fi­ken ver­se­hen als Künst­ler­bü­cher oder Zeit­schrif­ten herauszugeben.

Zur glei­chen Zeit trat Gino als Akti­ons­künst­ler auf und drehte eigene Filme mit einer Super-8-Schmal­film-Kamera, die jen­seits des offi­zi­el­len Kunst­be­trie­bes, auf auto­no­men Ver­an­stal­tun­gen der Unter­grund-Szene auf­ge­führt wur­den. Mit über 20 Fil­men zählt er zu den pro­duk­tivs­ten Akteu­ren der Szene. Ab 1985 wur­den seine Strei­fen auch inter­na­tio­nal auf Fes­ti­vals gezeigt, wie INTERFILM 3 und 4 in Ber­lin-West 1985 und 1986; HOLLAND-AMERIKA-LINIE, Den Haag/New York 1987; beim INTERNATIONALEN EXPERIMENTALFILM-WORKSHOP, Osna­brück 1987; beim EUROPEEN MEDIA ART FESTIVAL, Osna­brück 1988 und INFERMENTAL 7, Buffalo/New York 1988.

Zudem arbei­tete Gino als Büh­nen- und Kos­tüm­bild­ner für Thea­ter in Ber­lin und Meck­len­burg, 1989 für »Män­ner­pro­to­kolle« im »Thea­ter im Palast der Repu­blik« (TiP).

Doch selbst unter den Außen­sei­tern am Prenz­lauer Berg blieb er ein Allein­gän­ger – als beken­nen­der Schwu­ler. Wobei er nicht die Homo­se­xua­li­tät als sol­che in den Vor­der­grund stellte, son­dern ein abso­lu­tes Ver­lan­gen nach Liebe, Ver­trauen, Miteinander:

Meine Auf­fas­sung von Liebe ist so seltsam
Wie ihr Anlass unge­wöhn­lich und erha­ben ist:
Sie wuchs aus Verzweiflung
Ins Unglaubliche

 

Nach 50 m Weg­ga­be­lung nach links.

 Im Fluchtrausch oder: »Wei mer briefat« sind –Auf den Spuren von Gino Hahnemann:

  1. Hauptgebäude der Bauhaus-Universität: Pantherei – Geworfene im Fluss der Zeit
  2. Steintisch: Die Zeit heilt alle Wunder
  3. Petőfi-Denkmal: Vom Wandel des Widerspruchs
  4. In der Ferne erscheint das Römische Haus: Quo vadis? Oder wohin sehnen?
  5. Franz-Stein: Flucht in Elysische Gefilde oder Dekonstruktion aller Utopie?
  6. Bank mit Blick zum Goethe-Gartenhaus: Glotzt nicht so romantisch!
  7. Der Schlangenstein: der kriechende (Un-)Geist von Weimar
  8. Shakespeare: Der Tod ist ein Narr
  9. Liszt-Denkmal: Gesang unter gebrochenen Fingern
  10. Parkhöhle: Ginos laufende Bilder im Untergrund
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