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Jens-Fietje Dwars
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Die schmale, unauffällige Büste für Sándor Petőfi wird von Spaziergängern leicht übersehen. Sie wurde 1978, zum 150. Geburtstag des Dichters aufgestellt, der in Ungarn bis heute zu den Nationalhelden zählt. 1823 geboren fiel Petőfi bereits 1849, mit nur 26 Jahren, im Kampf gegen die Habsburger. Er war der Büchner oder Theodor Körner Ungarns und immer wieder junge, aufrührerische Intellektuelle und Dichter angeregt.
1956 formierte sich im Petőfi-Klub die erste innerparteiliche Opposition im Ost-Block, die den Budapester Aufstand geistig vorbereitet hat. Einer der Wortführer war Georg Lukács. Nach dessen Vorbild konzipierte Wolfgang Harich in der DDR ein Oppositionsprogramm. Als Harich und dem Aufbau-Verlagsleister Walter Janka 1957 vor Gericht standen, wurde dem Kulturbund vorgeworfen, als zweiter Petőfi-Klub die Konterrevolution ermöglicht zu haben.
Die geistige Bewegung, für die 25 Jahre danach der Prenzlauer Berg zum Symbol wurde, war von anderer Art: keine primär politisch definierte Opposition, sondern ein Verlangen nach selbstbestimmten Lebensformen, ein Ringen um den eigenen Ausdruck, eine eigene, nicht mehr von Ideologie okkupierte Sprache.
Bereits 1973 erwarb Gino die »staatliche Zulassung für freiberuflich tätige Mannequins« am Modeinstitut der DDR, um als freier Künstler zu leben. Die Model-Auftritte sicherten ihm die materielle Existenz und, was noch wichtiger war, bewahrten ihn vor dem Vorwurf, als »Asozialer« keiner »geregelten Beschäftigung« nachzugehen.
Im Grunde war er seit dieser zeit ein Lebenskünstler. Noch schrieb er nur nebenbei, zeichnete und fotografierte. Seit 1984 jedoch veröffentlichte er gezielt Gedichte und literarische Texte in den inoffiziellen Zeitschriften SCHADEN, ARIADNEFABRIK, MOSE 2,25, KONTEXT, KOMA-KINO, U.S.W. sowie in eigenständigen Künstlerbüchern NACHTBUS (1985), GINO TEXTRA (1987), OUT & ABOUT (1989) und in den Anthologien FLUGSCHUTT (1986), WOHNSINN (1987), ATEM (1988).
Jegliche Veröffentlichung in der DDR bedurfte einer Genehmigung durch das Ministerium für Kultur – außer es handelte sich um originalgrafische Kunst. Diese Gesetzeslücke nutzen in den 1980er Jahren immer mehr Künstler, um Texte mit Grafiken versehen als Künstlerbücher oder Zeitschriften herauszugeben.
Zur gleichen Zeit trat Gino als Aktionskünstler auf und drehte eigene Filme mit einer Super-8-Schmalfilm-Kamera, die jenseits des offiziellen Kunstbetriebes, auf autonomen Veranstaltungen der Untergrund-Szene aufgeführt wurden. Mit über 20 Filmen zählt er zu den produktivsten Akteuren der Szene. Ab 1985 wurden seine Streifen auch international auf Festivals gezeigt, wie INTERFILM 3 und 4 in Berlin-West 1985 und 1986; HOLLAND-AMERIKA-LINIE, Den Haag/New York 1987; beim INTERNATIONALEN EXPERIMENTALFILM-WORKSHOP, Osnabrück 1987; beim EUROPEEN MEDIA ART FESTIVAL, Osnabrück 1988 und INFERMENTAL 7, Buffalo/New York 1988.
Zudem arbeitete Gino als Bühnen- und Kostümbildner für Theater in Berlin und Mecklenburg, 1989 für »Männerprotokolle« im »Theater im Palast der Republik« (TiP).
Doch selbst unter den Außenseitern am Prenzlauer Berg blieb er ein Alleingänger – als bekennender Schwuler. Wobei er nicht die Homosexualität als solche in den Vordergrund stellte, sondern ein absolutes Verlangen nach Liebe, Vertrauen, Miteinander:
Meine Auffassung von Liebe ist so seltsam
Wie ihr Anlass ungewöhnlich und erhaben ist:
Sie wuchs aus Verzweiflung
Ins Unglaubliche
Nach 50 m Weggabelung nach links.
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