Erfurt
8 : Unter Mainzer Statthalterschaft bis Dalberg (1665–1772)

Personen

Kaspar von Stieler

Sidonia Hedwig Zäunemann

Christoph Martin Wieland

Ort

Erfurt

Thema

Ortsporträts

Autor

Patrick Siebert

Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2015. / Thüringer Literaturrat e.V.

Nach­dem bereits der Drei­ßig­jäh­rige Krieg den wirt­schaft­li­chen Nie­der­gang der Stadt beschleu­nigte, gelang es dem Kur­fürs­ten Johann Phil­ipp von Schön­born 1664 die »treue Toch­ter des Main­zer Stuh­les« wie­der dem Erz­bis­tum unter­tan zu machen. Der Name Ludolf steht in der Geschichte Erfurts nicht für einen Schrott­platz, son­dern durch eine For­scher­fa­mi­lie. Hiob Ludolf (1624–1704) begrün­dete als Diplo­mat in Diens­ten des Her­zogs Ernst des From­men die Äthio­pi­s­tik. Dabei holte er nicht nur den schwarz­afri­ka­ni­schen Theo­lo­gen Abba Gorg­o­ryos (1595–1658) nach Gotha, wo ihn der vom sagen­haf­ten Pries­ter­kö­nig beses­sene Her­zog Ernst emp­fing. Ludolf machte sich vor allem durch seine lin­gu­is­ti­schen Werke zur Spra­che der Ge’ez, Altäthio­pisch von sich reden. Auch seine Stu­dien zur Geschichte Äthio­pi­ens, ver­öf­fent­licht in sei­nen vier Bän­den der »His­to­rica Aethio­pica« von 1681–1694 mach­ten den im Haus »Zur hohen Lilie« zu einem Pio­nier auf sei­nem Gebiet. Von Hein­rich Wil­helm Ludolf (1655–1712), dem Nef­fen Hiobs, wird die Tra­di­tion der Fami­lie fort­ge­setzt. Er spe­zia­li­sierte sich als Mis­si­ons­rei­sen­der vor­ran­gig auf dem ost­eu­ro­päi­schen Raum. Mit sei­ner epo­cha­len »Gram­ma­tica Rus­sica« erschafft er nicht nur eine sprach­wis­sen­schaft­li­che Ana­lyse der Spra­che, son­dern gibt eine prak­ti­sche Ein­füh­rung für den Kon­takt mit rus­si­schen Hand­lungs­rei­sen­den. Seine Gram­ma­tik ist quasi ein Sprach­füh­rer, der neben einer aus­führ­li­chen Ana­lyse von Syn­tax und Seman­tik auch eine Ein­füh­rung in Schrift und Aus­spra­che des Rus­si­schen lie­fert. Auch Kas­par Stie­ler (1632–1707) trat als Sprach­wis­sen­schaft­ler her­vor. Ihn inter­es­sierte aller­dings die eigene Mut­ter­spra­che. In »Der teut­schen Spra­che Stamm­baum und Fort­wachs« erstellte er ein Wör­ter­buch, das neue sys­te­ma­ti­sche Maß­stäbe setzte. So erfasst er bei jedem Ein­trag sowohl gram­ma­ti­sche Anga­ben, wie auch Mög­lich­kei­ten der Wort­bil­dung für das jewei­lige Lemma. Seine »Gehar­nischte Venus« von 1660 kann als eine der wich­tigs­ten Gedicht­samm­lung des Barock gese­hen wer­den. Auch seine umfang­rei­chen Stil- und Lehr­bü­cher für den geschäft­li­chen Brief­ver­kehr, wie die »Teut­sche Secre­ta­riat-Kunst«, die bis 1726 mehr­fach auf­ge­legt wurde, trug zum Ruhm des »Spa­ten«, wie sein Bei­name in der Frucht­brin­gen­den Gesell­schaft lau­tete, bei. Obwohl er in Erfurt, in der heu­ti­gen Schlös­ser­straße 8, gebo­ren, einen Groß­teil sei­nes Lebens hier wirkte und ver­starb, wird Stie­ler in der Gegen­wart kei­ner­lei öffent­li­ches Geden­ken zuteil. Für die kul­tu­relle Ent­wick­lung der Stadt sehr wir­kungs­voll war die Regie­rungs­zeit von Phil­ipp Wil­helm Reichs­graf von Boi­ne­burg (1656–1717). Nicht nur wur­den in den Jah­ren 1702–1717 die Statt­hal­te­rei und das heute Anger­mu­seum, damals als Waa­ge­haus, erbaut, auch die Stif­tung der ers­ten Geschichts­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät geht auf Boi­ne­burg zurück. Ein Besuch von Gott­fried Wil­helm Leib­niz (1646–1716) bei Johann Chris­tian von Boi­ne­burg ist für 1709–1710 doku­men­tiert. Der Auf­klä­rer und Phi­lo­soph hat in die­ser Zeit die viel­fäl­tige Biblio­thek der Boi­ne­burgs kata­lo­gi­siert und für eine spä­tere Über­tra­gung an die Uni­ver­si­tät vor­be­rei­tet. Der Musik­theo­re­ti­ker Johann Gott­fried Walt­her (1684–1748), von 1702–1707 Orga­nist an der Tho­mas­kir­che, schuf in sei­nem »Musi­ca­li­sches Lexi­con« von 1732 ein über­aus wich­ti­ges Quel­len­werk für die Musik­ge­schichte. Es war das erste enzy­klo­pä­di­sche Nach­schla­ge­werk im Bereich der Musik Deutsch­lands, in dem Begriffe, Per­so­nen und Schrif­ten zusam­men­ge­fasst wur­den. In Erfurt gebo­ren wurde der Dru­cker und Ver­le­ger Johann Hein­rich Har­tung (1699–1756). Nach sei­ner Aus­bil­dung in Erfurt und Leip­zig wech­selt er nach Königs­berg, wo er mit die Stel­ter­sche Dru­cke­rei über­nahm und diese in Ost­preu­ßen zu einer mono­pol­ar­ti­gen Stel­lung führte. Beson­ders die Königs­ber­ger Har­tungs­che Zei­tung war erfolg­reich, sie erschien bis 1933. Der Bota­ni­ker Johann Hie­ro­ny­mus Kni­phof (1704–1763) ver­wen­dete in sei­ner »Bota­nica in ori­g­niali« aus dem Jahre 1733 als ers­ter die Nomen­kla­tur Lin­nés. Durch eine bis dahin noch unge­kannte Detail­treue der Pflan­zen­dar­stel­lun­gen im Druck konnte das Buch auch for­mal zur Auf­se­hen sor­gen. 1711 wurde in Erfurt eine der inter­es­san­tes­ten lite­ra­ri­schen Frau­en­fi­gu­ren des 18. Jahr­hun­derts gebo­ren. Sido­nia Hed­wig Zäu­ne­mann war bereits in frü­her Kind­heit sehr unab­hän­gig und ver­su­che Bil­dung zu erwer­ben, wo es nur mög­lich war. Mit einem Gedicht über den Erfur­ter Stadt­brand »Das… unter Gluth und Flam­men äch­zende Erfurt« erreicht sie einige Bekannt­heit. Ihr Gedicht »Das Ilme­n­aui­sche Berg­werk« beschreibt die Ein­fahrt in den Berg. Sie fin­det die Lite­ra­tur über Berg­bau »öfters rauh und hart und nicht nach Dich­ter-Art geschrie­ben; das sind die Berg- und Berg­manns-Reden; die mach­ten mir die größte Müh.« Beredt nutzt sie Fach­vo­ka­bu­lar aus dem Berg­bau um die Schil­de­run­gen der Gefah­ren bei der Gewin­nung von Boden­schät­zen zu unter­mau­ern. Dabei ver­gisst sie aber auch nicht die Gemein­schaft der Berg­leute hervorzuheben:

Glück auf die Knap­schaft leb; die Schmel­zer insgesamt./Auf! feyret die­sen Tag mit Andacht und mit Freu­den. das Berg-Fest will jetzt nicht die Gril­len­fän­ger leider./ Ich schweige denn die Feder bricht, Ja heut ist Fest; ich mache Schicht!

Auch diese beson­dere lebens­welt­li­che Nähe zu ihren Moti­ven sorgte für ihre Krö­nung zur Kai­ser­li­chen Poe­tin an der Göt­tin­ger Uni­ver­si­tät 1738. Nach ihren bei­den Bän­den »Poe­ti­sche Rosen in Knos­pen« von 1738 und »Die von denen Fau­nen gepeitschte Las­ter« von 1739 ver­stummte die junge Lyri­ke­rin auf tra­gi­sche Weise. Die zeit­le­bens für ihre unkon­ven­tio­nelle Lebens­füh­rung als Außen­sei­te­rin geschol­tene Dich­te­rin stürzte 1740 bei einem ihrer Aus­ritte bei Angel­roda in die Gera und ertrank. Ein ganz ande­res Ende nahm die Wir­kungs­zeit von Jor­dan Simon (1719–1776) in Erfurt. Der Auf­klä­rungs­theo­loge war seit 1749 Uni­ver­si­täts­leh­rer in der Stadt und ver­fasste dabei seine »Kurze Anwei­sung zur Ita­liä­ni­schen Spra­che«. Zwar erfreute sich dank sei­ner her­vor­ra­gen­den Reden von der Kan­zel als Pfar­rer der Wig­berti­kir­che eini­ger Beliebt­heit, den­noch musste er die Stadt 1769 ver­las­sen, nach­dem er der Betrü­ge­rei bezich­tigt wurde. 1749 imma­tri­ku­liert sich ein 16 Jäh­ri­ger an der Uni­ver­si­tät, der für die kul­tu­relle Ent­wick­lung in den nächs­ten Jahr­zehn­ten eine nicht über­schätz­bare Bedeu­tung haben sollte. Chris­toph Mar­tin Wie­land (1733–1813), Dich­ter und Über­set­zer, begab sich nach Thü­rin­gen um bei einem Vet­ter zu stu­die­ren. 1754 wurde er in die Erfur­ter Aka­de­mie der Nütz­li­chen Wis­sen­schaf­ten auf­ge­nom­men. 1769 kehrte er nach Erfurt zurück, nahm hier, bereits als eta­blier­ter Dich­ter, eine Lehr­tä­tig­keit auf, die sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Pro­duk­ti­vi­tät kaum ent­ge­gen wirkte. Er wohnte in den Jah­ren bis 1772 im »Haus zum Alten Schwan« hin­ter der Krä­mer­brü­cke. Spä­ter wird er diese Jahre als »eine sei­ner glück­lichs­ten Lebens­pe­ri­oden« bezeich­nen. Weni­ger posi­tiv dürfte Karl Phil­lip Moritz (1756–1793) seine Erfur­ter Zeit bewer­ten. In der Hoff­nung auf eine Stelle als Schau­spie­ler folgte er Con­rad Ekhof (1720–1778) nach Erfurt, wo er sich 1776 als Theo­lo­gie­stu­dent ein­schreibt. Weil er sich die Miete nicht leis­ten konnte, zog der spä­tere Autor des Anton Rei­ser Anfang 1777 mit einer Thea­ter­truppe nach Leip­zig. Mit der Amts­zeit des letz­ten Statt­hal­ters von Mainz in Erfurt in den Jah­ren 1772–1802 sollte eine Epo­che vor­über­ge­hen. Aber gerade der letzte der Main­zer Ver­wal­ter Karl Theo­dor von Dal­berg sollte für Erfurt noch ein­mal einen kul­tu­rel­len Höhe­punkt markieren.

 

 Erfurt:

  1. Erfurt im Mittelalter - Klöster als Zentren des literarischen Lebens
  2. Das Erfurter Mittelalter II
  3. Theater im Mittelalter
  4. Die Anfänge der Erfurter Universität
  5. Erfurt als ein Zentrum des Humanismus (1460-1570)
  6. Der Reformator
  7. Die Stadt bis zum Verlust der Unabhängigkeit (1571-1664)
  8. Unter Mainzer Statthalterschaft bis Dalberg (1665-1772)
  9. Karl Theodor von Dalberg – Der letzte Statthalter
  10. Erfurt unter Dalberg und der Kreis im Haus Dacheröden (1772-1802)
  11. Die Franzosen in der Stadt – Fürstenkongress, Napoleon und Goethe (1806-1814)
  12. Erfurt und die Preußen im 19. Jahrhundert
  13. Erfurt von 1900 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
  14. Von der Landeshauptstadt zur Bezirksstadt zur Landeshauptstadt – Erfurt bis zur Gegenwart
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