Thüringer Anthologie Nr. 039 – Marie-Elisabeth Lüdde über Sophie Mereau

Personen

Sophie Mereau

Clemens Brentano

Marie-Elisabeth Lüdde

Orte

Altenburg

Jena

Thema

Die »Thüringer Anthologie«

Autor

Marie-Elisabeth Lüdde

Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 13.12.2014 / Thüringer Literaturrat e.V.

Sophie Mereau

An einen Baum am Spalier

 

Armer Baum! – an dei­ner kal­ten Mauer
fest­ge­bun­den, stehst du trau­rig da,
füh­lest kaum den Zephyr, der mit süßem Schauer
in den Blät­tern freier Bäume weilt
und bey dei­nen leicht vorübereilt.
O! dein Anblick geht mir nah!
und die bil­der­rei­che Phantasie
stellt mit ihrer flüch­ti­gen Magie
eine mensch­li­che Gestalt schnell vor mich hin,
die, auf ewig von dem freien Sinn
der Natur ent­fernt, ein frem­der Drang
auch wie dich in steife For­men zwang.

 

aus: Gedichte, Band 1, Ber­lin 1800.

 

 

Marie-Elisabeth Lüdde

Ein Leben zwischen Liebe und Freiheit

 

Sophie Mereau (*1770 in Alten­burg, gest. 1806 in Hei­del­berg) gehörte zum Kreis der Jenaer Früh­ro­man­tik. Gebil­det und begabt war sie eine der ers­ten erfolg­rei­chen Berufs­schrift­stel­le­rin­nen über­haupt. Ihre Werke umfas­sen Erzäh­lun­gen, Romane, Gedichte und Über­set­zun­gen aus vie­len Spra­chen. Dar­über hin­aus galt sie als anmu­tig und unkon­ven­tio­nell. Mit ihrem ers­ten Mann – F. J. K. Mereau, Pro­fes­sor der Rechte – stand sie im Mit­tel­punkt des Jenaer Uni­ver­si­täts­le­bens. Aller­dings war diese Ehe unglück­lich, sodass Sophie sich schei­den ließ, als erste Frau im Her­zog­tum Sach­sen-Wei­mar-Eisen­ach; das war damals eine Sen­sa­tion. Da waren ihre bei­den klei­nen Söhne schon gestor­ben; mit ihrer Toch­ter  baute sie sich eine eigene Exis­tenz auf. In ihren Gedich­ten ori­en­tierte sie sich an Schil­ler. Hin und her geris­sen zwi­schen Bewun­de­rung und Abwer­tung schrieb er 1797 an Goe­the: „Für die Horen hat mir unsere Dich­te­rin Mereau jetzt ein sehr ange­neh­mes Geschenk gemacht, …Ich muss mich doch wirk­lich dar­über wun­dern, wie unsere Wei­ber jetzt, auf bloß dilet­tan­ti­schem Wege, eine gewiße Schreib­ge­schick­lich­keit sich zu ver­schaf­fen wißen, die der Kunst nahe kommt.“ Cle­mens Bren­tano kannte sie bereits einige tur­bu­lente Jahre, als sie ihn 1803 hei­ra­tete. Er war von ihr höchst fas­zi­niert, quälte sie aber mit Eifer­sucht und Besitz­an­sprü­chen. Diese Ehe war ein Unter­fan­gen zwi­schen Him­mel und Hölle, wie sie bekannte. Von der lite­ra­ri­schen Öffent­lich­keit zog sie sich zurück, gebar in jedem Jahr ein Kind, das nach der Geburt starb, an der letz­ten, der drit­ten in drei Jah­ren, starb sie selbst; da war sie erst 36 Jahre alt. Sophie Mereau lebte ein Leben zwi­schen den Polen „lei­den­schaft­li­che Liebe“ und „Frei­heit“. Im Grunde war es eine moderne Hal­tung, die vor mehr als 200 Jah­ren – jeden­falls für eine Frau – alle Gren­zen des Anstan­des sprengte. Und genau das beschreibt sie in ihrem Gedicht von die­sem Baum, der nicht frei wach­sen und mit dem Wind spie­len darf, son­dern ein­ge­zwängt in eine unna­tür­li­che Hal­tung an einer Mauer dahin­ve­ge­tiert. In die­sem Baum ent­deckt sie sich selbst, künst­lich in eine steife Form gezwun­gen. Ihr gro­ßes Ziel, frei zu sein, hat die Dich­te­rin nicht erreicht.

 

 

Bio­gra­phi­sche Angaben

  • Sophie Mereau-Bren­tano (1770–1806), hei­ra­tete 1793 den Jura­pro­fes­sor Fried­rich Ernst Carl Mereau, mit dem sie zwei Kin­der hatte. Schil­ler för­derte sie und druckte ihre Gedichte in den „Horen“. In zwei­ter Ehe war sie ab 1803 mit Cle­mens Bren­tano ver­hei­ra­tet, mit dem sie drei Kin­der hatte; sie starb 1806 im Alter von 36 Jah­ren im Kindbett.
  • Prof. Dr. Marie-Eli­sa­beth Lüdde, Jahr­gang 1951, stu­dierte Theo­lo­gie, war Pfar­re­rin und Pro­fes­so­rin für evan­ge­li­sche Theo­lo­gie. Seit 2001 ist sie frei­schaf­fende Schrift­stel­le­rin. Sie ist Vor­sit­zende des Thü­rin­ger Lite­ra­tur­ra­tes und Vize­prä­si­den­tin des Kul­tur­ra­tes Thüringen.
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