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Marie-Elisabeth Lüdde
Erstdruck: Thüringer Allgemeine, 13.12.2014 / Thüringer Literaturrat e.V.
Armer Baum! – an deiner kalten Mauer
festgebunden, stehst du traurig da,
fühlest kaum den Zephyr, der mit süßem Schauer
in den Blättern freier Bäume weilt
und bey deinen leicht vorübereilt.
O! dein Anblick geht mir nah!
und die bilderreiche Phantasie
stellt mit ihrer flüchtigen Magie
eine menschliche Gestalt schnell vor mich hin,
die, auf ewig von dem freien Sinn
der Natur entfernt, ein fremder Drang
auch wie dich in steife Formen zwang.
aus: Gedichte, Band 1, Berlin 1800.
Sophie Mereau (*1770 in Altenburg, gest. 1806 in Heidelberg) gehörte zum Kreis der Jenaer Frühromantik. Gebildet und begabt war sie eine der ersten erfolgreichen Berufsschriftstellerinnen überhaupt. Ihre Werke umfassen Erzählungen, Romane, Gedichte und Übersetzungen aus vielen Sprachen. Darüber hinaus galt sie als anmutig und unkonventionell. Mit ihrem ersten Mann – F. J. K. Mereau, Professor der Rechte – stand sie im Mittelpunkt des Jenaer Universitätslebens. Allerdings war diese Ehe unglücklich, sodass Sophie sich scheiden ließ, als erste Frau im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach; das war damals eine Sensation. Da waren ihre beiden kleinen Söhne schon gestorben; mit ihrer Tochter baute sie sich eine eigene Existenz auf. In ihren Gedichten orientierte sie sich an Schiller. Hin und her gerissen zwischen Bewunderung und Abwertung schrieb er 1797 an Goethe: „Für die Horen hat mir unsere Dichterin Mereau jetzt ein sehr angenehmes Geschenk gemacht, …Ich muss mich doch wirklich darüber wundern, wie unsere Weiber jetzt, auf bloß dilettantischem Wege, eine gewiße Schreibgeschicklichkeit sich zu verschaffen wißen, die der Kunst nahe kommt.“ Clemens Brentano kannte sie bereits einige turbulente Jahre, als sie ihn 1803 heiratete. Er war von ihr höchst fasziniert, quälte sie aber mit Eifersucht und Besitzansprüchen. Diese Ehe war ein Unterfangen zwischen Himmel und Hölle, wie sie bekannte. Von der literarischen Öffentlichkeit zog sie sich zurück, gebar in jedem Jahr ein Kind, das nach der Geburt starb, an der letzten, der dritten in drei Jahren, starb sie selbst; da war sie erst 36 Jahre alt. Sophie Mereau lebte ein Leben zwischen den Polen „leidenschaftliche Liebe“ und „Freiheit“. Im Grunde war es eine moderne Haltung, die vor mehr als 200 Jahren – jedenfalls für eine Frau – alle Grenzen des Anstandes sprengte. Und genau das beschreibt sie in ihrem Gedicht von diesem Baum, der nicht frei wachsen und mit dem Wind spielen darf, sondern eingezwängt in eine unnatürliche Haltung an einer Mauer dahinvegetiert. In diesem Baum entdeckt sie sich selbst, künstlich in eine steife Form gezwungen. Ihr großes Ziel, frei zu sein, hat die Dichterin nicht erreicht.
Biographische Angaben
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