In Ilmenau ist Sidonia Hedwig Zäunemann häufig zu Gast. Ihre Schwester, Martha Paulina, lebt hier seit Juni 1735 mit ihrem Mann, dem aus Eisleben stammenden Gottfried Polycarp Kunad. Der Sohn eines Superintendenten wird im Dezember 1735 zum Ilmenauer Bergamtsphysikus ernannt. Zäunemann applaudiert im Glückwunschgedicht Die Gelehrsamkeit, als das wahre Mittel, aus welchem Ehren‑Stellen zu erlangen − die Worte verfehlen ihre Wirkung nicht. Kunad ist geschmeichelt und öffnet seinerseits der dichtenden Schwägerin bei deren Besuchen in Ilmenau die Türen, durch die sie zu den Orten ihrer Wahl gelangt. Immer wieder sieht sie nun die Schächte an der Sturmheide und in Martinroda, besucht sie die Kupferhütte, das Zechenhaus und das Bergmannsglöckchen (fälschlich Bergmannskapelle genannt). Mystische Vorstellungen, die sich um das Leben unter Tage ranken, treffen in Zäunemanns Gedankenwelt auf Neugier, Wissensdurst und Gestaltungswillen.
1737 endlich erfüllt sich ihr Wunsch, ihre Ideenwelt mit der Realität abzugleichen. Am Morgen des 23. Januar steigt sie in den Schacht »Gottes Gabe« an der Ilmenauer Sturmheide.
Weswegen soll denn nicht ein Frauen=Bild auf Erden
Durch Leder, Licht und Fahrt ein kühner Bergmann werden?
Auch diese That muß rühmlich seyn!
Glück auf! ich fahre freudig ein.
Ihr mühsamer Weg in die Tiefe und durch den Berg, die sogenannte Grubenfahrt, führt sie über 1.400m unter Tage durch niedrige Schächte, deren Höhe zwischen 1,5 und 0,4m variiert.
Das allergröste Haus, der herrlichste Pallast
Wird warlich nicht so fest gegründet,
Als man den Berg gezimmert findet.
Hier trägt ein festes Holz die allerschwerste Last.
Eine Woche später, am 30. Januar, wiederholt sie ihr Abenteuer im Johannesschacht, dem Lebensnerv des Ilmenauer Bergbaus, der über 6.000 m von Martinroda nach Ilmenau vorgetrieben ist und die Grundwässer abführt. Die Zäunemann braucht keine fünf Wochen, ihre Eindrücke in Lyrik zu gießen, die auch noch die Sondersprache des Bergmännischen aufnimmt und anverwandelt. Am 5. März setzte sie mit den Versen 467 und 468 den Schlusspunkt unter das Langgedicht Das Ilmenauische Bergwerk / wie solches den 23. und 30. Jenner des 1737. Jahres befahren:
Ich schweige denn die Feder bricht,
Ja heut ist Fest; ich mache Schicht!
Zäunemanns literarisches Unternehmen war durch Herzog Ernst August von Sachsen‑Weimar als dominus territorii wohlwollend befürwortet und sogar mit einem begleitenden Berginspektor versehen worden, der auch der Poetin zur Fahrt viel Glück und Gutes auszurichten hatte. Glück hatte sie durchaus, denn nur zwei Jahre später ließ ein großer Wassereinbruch den Ilmenauer Bergbau für Jahrzehnte unrentabel erscheinen. Ihr 22 Seiten starkes Bändchen aber überlebt, wird von Freyberg erwähnt und von Voigt gelobt und findest sich auch in Goethes Bibliothek, der an der barocken Dichtung mehr als literhistorisches oder gar geologisches Interesse zeigt.
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