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Patrick Siebert
Detlef Ignasiak: Das literarische Thüringen, Bucha 2014.
Was mit Luise Dorothee und Friedrich III. begann, setzte sich in der Regierungszeit von Ernst II. ab 1772 fort: Gotha etablierte sich als Wissenschafts- und Kulturzentrum. Der Herzog, durch Bildungsreisen nach England und Frankreich, wo er Kontakt mit Jean D’Alembert (1717–1783) und Denis Diderot (1713–1784) aufnahm, vom Geist der Aufklärung durchdrungen, war nicht nur Förderer des Theaters, sondern hatte eine besondere Vorliebe für die Astronomie. Bestes Zeugnis davon war die auf sein Betreiben 1787 errichtete Sternenwarte unter Leitung von Franz Xaver von Zach (1754–1832). August (1747–1806), der Bruder des Herzogs, war eine schillernde Figur. In seinem Palais in der Mozartstraße 1 empfing er Johann Gottfried Herder (1744–1803) und Jean Paul (1763–1825). In besonders engem Kontakt stand der literaturinteressierte Mäzen, der selber Märchen schrieb, mit Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und Christoph Martin Wieland (1733–1813), der dem Prinzen seinen »Oberon« (1780) widmete.
Als Odendichter und Herausgeber der »Gothaischen Gelehrten Zeitung« wirkte Schack Hermann Ewald (1745–1804). Durch seine enge Verbindung zum »Göttinger Hain« motiviert, initiierte er am Geburtstag Friedrich Gottlieb Klopstocks (1724–1803) 1773 eine Verbrennung von Werken des im Hain verhassten Christoph Martin Wielands. Er erhielt Besuche von Heinrich Christian Boie (1744–1806) und Johann Heinrich Voß (1751–1826). Der Name des in seiner Zeit überaus erfolgreichen Schriftstellers Moritz August von Thümmel (1738–1817) ist heute weitestgehend verblasst. Mit dem ›prosaisch-komischen‹ Epos »Wilhelmine oder der vermählte Pedant« begründete er 1764 seinen Ruhm. Thümmel verbrachte die letzten 30 Jahre seines Lebens auf Gut Sonneborn, stand dabei in regen Kontakt mit dem Hof und seinem Freund Friedrich Wilhelm Gotter. Johann Wolfgang von Goethe hielt sich in den Jahren 1775–1801 mehr als 30 Mal in Gotha auf.
Auch Karl Phillip Moritz (1756–1793) traf in Gotha auf Ekhof. Mit dem Wunsch Schauspieler zu werden, blieb er 1775 für drei Wochen in der Stadt. Ekhof lehnte ihn ab. Eine Episode, die auch im »Anton Reiser« (1794) Niederschlag finden sollte: »Die Mine desselben verkündigte schon nichts Gutes, und er redete Reisern mit den trocknen Worten an, es täte ihm Leid, ihm sagen zu müssen, daß aus seinem Engagement beim Theater nichts werden und daß er auch zur Debütrolle nicht kommen könnte.«. Im September 1776 kam es zu einem Treffen zwischen Christoph Kaufmann (1753–1785) und Friedrich Maximilian Klinger (1752–1831). Klinger las aus seinem gerade fertiggestellten Drama »Wirrwarr« vor, was kaum ein berichtenswertes Ereignis darstellt, hätte nicht Kaufmann die Idee gehabt, das Werk unter dem Titel »Sturm und Drang« veröffentlichen zu lassen, der einer ganzen Literaturepoche ihren Namen gab. Einen Teil ihrer Erziehung erhielt Caroline Schlegel-Schelling (1763–1809) in den Jahren 1774–1776 in einem Gothaer Pensionat. Hier schloss sie Freundschaft mit Luise Stieler, der Ehefrau von Friedrich Wilhelm Gotter. Ihr längster Aufenthalt von Februar 1794 bis April 1795 wurde für Schlegel-Schelling ihr »schweres Gothaer Jahr«. Direkt voraus gegangen war eine Verhaftung aufgrund ihrer Nähe zu den Jakobinern. Sehr viel erfreulicher waren die Aufenthalte von Dorothea Schlözer (1770–1825) in der Residenzstadt. Sie, Tochter des Göttinger Historikers August Ludwig Schlözer (1735–1809) und erste Doktorin der Philosophie Deutschlands, empfand Gotha als »wahres Paradies«. In engen persönlichen Umfeld von Caroline Schlegel-Schelling, aber auch der Eheleute Gotter bewegte sich Therese Huber (1764–1829). Wie Schlegel-Schelling, eine Freundin aus der gemeinsamen Göttinger Zeit, war sie Anhängerin der Französischen Revolution. Durch Gotter lernte sie in Gotha Auguste Schneider kennen, die eine Geliebte von Ernst II. war. Huber übernahm ihre Pflege bis zu ihrem Lebensende 1785. Die Verbindung der Schneider zum Herzog verarbeitet sie in ihrem Roman »Die Ehelosen« von 1819. In loser Verbindung zu Gotha stand Sophie Mereau (1770–1806) durch die Herkunft ihres Ehemannes. Sie besuchte die Stadt in den Jahren von 1796–1803 mehrfach. Hinter dem Namen Rudolph Zacharias Becker (1752–1822) verbirgt sich ein sehr vielseitiger Gelehrter. Sein »Noth- und Hülfsbüchlein für Bauersleute«, ein Ratgeberbuch war äußerst populär und verkaufte sich, sicher auch durch Wielands Ankündigung im »Teutschen Merkur« bis 1838 über eine Million Mal. Wirkmächtig waren auch seine Aktivitäten als Herausgeber, so gab er nicht nur die »Monatliche Correspondenz zu Beförderung der Erd- und Himmelskunde« heraus, die ab 1800 europäische Bedeutung erlangte, sondern vor allem die »Nationalzeitung der Deutschen«. Der kritische Ton dieser Zeitung sorgte für Beckers Verhaftung im November 1811. Durch die Fürsprache von Herzog August bei Napoleon kam Becker im April 1813 wieder frei. Die 1797 gegründete Becker’sche Buchhandlung war am heutigen Hauptmarkt 23 zu finden. Josias Friedrich Christian Löffler (1752–1816), in Gotha als Generalsuperintendant angestellt, machte sich um die Entwicklung des Gothaer Schulwesens verdient. So geht eine 1800 hinter der Margarethenkirche eingerichtete Freischule auf ihn zurück. In seinen rund 30 publizierten Schriften vertritt er die Position einer allgemeinen Toleranz, da man »jeden nach seiner Überzeugung leben lassen und allen die ungestörte Art, sich nach ihren Grundsätzen zu erbauen, gönnen müsse«.
Ein wenig anders dürfte Adam Weishaupt (1748–1830) gedacht haben, der vor allem als Gründer der »Illuminaten« bekannt ist. Nachdem der Bund 1785 in Bayern verboten wurde, zog es den Philosophen und Kirchenrechtler nach Gotha, wo er unterstützt von Ernst II. leben konnte. Sehr vielfältig war auch Heinrich August Ottokar Reichard (1751–1828), den Ernst II. als Bibliothekar an die Residenz holte. Er entfaltete zahlreiche Aktivitäten im Theaterbereich als Theaterleiter- und Kritiker, sondern schuf mit seinem »Handbuch für Reisende aus allen Ständen« (1784) ein neues Genre, welches erst mit dem Auftreten von Karl Baedeker einen neuen Marktführer fand. Bis in die Gegenwart als wichtiges Quellenwerk gilt der »Theater-Calender«, der von 1775–1800 erschien. Auch Emilie von Berlepsch (1755–1830) schuf mit »Caledonia« 1801 einen Beitrag zur Reiseliteratur. Eher zwiespältigen Ruhm genoss sie als Autorin des ihn ihrer Zeit vieldiskutierten Emanzipationsbuches »Ueber einige zum Glück der Ehe nothwendige Eigenschaften und Grundsätze«. Ihr Frauenbild war revolutionär: »Wir müssen alleine stehen lernen! Wir müssen unsere Denkart, unsern Character in unsern eignen Augen so ehrwürdig machen, daß uns das Urtheil andrer in unserem geprüften und gerechten Urtheil über uns selbst nicht irre machen kann.« Bis heute gilt sie als eine der Vorkämpferinnen der Emanzipation. Mit Übersetzungen von Heliodor und Longos trat Friedrich Jacobs (1764–1847) hervor. Als Lehrer für klassische Sprachen und Oberbibliothekar war er auch die federführende Kraft hinter der 1798–1814 erschienenen »Griechischen Anthologie«. Der Historiker Johann Georg August Galletti (1750–1828) erlangte die größte Bekanntheit mit den posthum erschienen »Kathederblüten«, einer Sammlung von Versprechern, die von Schülern gesammelt wurden. Zu seinen wissenschaftlichen Qualitäten hatte sein Kollege Friedrich Schiller (1759–1805) eine klare Meinung, er hielt Galetti für den »langweiligsten und geistlosesten Historiker, der je gelebt hat«. Alles andere als langweilig sind die schon genannten, der Zerstreutheit Galettis zugeschriebenen »Kathederblüten«:
• Der Elephant wehrt sich mit seinem Schnabel gegen Löwen, Tiger und andere kleine Insekten.
• Dort sitzt wieder ein Unruhiger; ich will ihn aber nicht nennen, er heißt mit dem ersten Buchstaben Madelung.
• Schlagt die Bücher zu, und macht die Köpfe auf, damit nichts mehr hineingeht.
Ein Pionier auf dem Gebiet der Literaturgeschichtsschreibung war Johann Friedrich Ludwig Wachler (1767–1838), der in Gotha geboren wurde. Seine Lehrtätigkeit an der Universität Jena musste er nach einem Duell aufgeben. Er wurde nach Marburg relegiert, wo er die Bekanntschaft der Brüder Grimm machte, die seinen Methoden zwar kritisch gegenüber standen, jedoch seine Arbeit als wichtigen Bestandteil der noch jungen Disziplin anerkannten. Karl Ernst Adolf von Hoff (1771–1837) lieferte mit » Der Thüringer Wald, besonders für Reisende geschildert« von 1807 einen Beitrag zur Landeskunde, der ganz in der Tradition seiner Zeit steht. Die Kinderlieder von Wilhelm Hey (1789–1854) sind teilweise bis heute sehr beliebt. »Weißt du, wieviel Sternlein stehen« von 1816 oder »Alle Jahre wieder kommt das Christuskind« von 1837 sind nur zwei der zahlreichen noch heute gesungenen Werke Heys. Auch als Fabeldichter machte er sich einen Namen und der Band »Fünfzig Fabeln für Kinder« war bei seinem Erscheinen 1833 ein riesiger Erfolg.
Dass sich das literarische Interesse bei den Wettinern nicht nach einer Generation verlor, bewies Emil August (1772–1822), Sohn und Nachfolger von Ernst II. Er pflegte Freundschaften mit Jean Paul, Madame de Staël (1766–1817) und Bettina von Arnim (1785–1859). Sein sehr exaltiertes Auftreten sorgte am Gothaer Hof nicht selten für schockierte Gesichter. Zuweilen trat er in Frauenkleidern vor die konsternierte Öffentlichkeit. Politisch isolierte er sich mit seiner engen Anhängerschaft zur Napoleon Bonaparte (1769–1821). Das ›Napoleon-Zimmer‹ auf Schloss Friedenstein gibt beredtes Zeugnis seiner Verehrung. Mehrfach besuchte der Korse Emil August in Gotha. Für Goethe war der Herzog eine schwer zu fassende Person, er empfand ihn als »angenehm und widerwärtig zugleich«. Auch den Einladungen nach Gotha folgte er mit gemischten Gefühlen, da man »nicht voraussehen konnte, welchen der Ehrengäste er schonungslos zu behandeln zufällig geneigt sein möchte«.
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