Im Schützenhofsaale zu Eisfeld war im Winter 1837 ein Liebhaber-Theater aufgebaut. Auf der Bühne stehen Gruppen der Mitspieler, Sänger und Sängerinnen, vor den Notenpulten die Stadtmusikanten, durch Dilettanten zu einem ansehnlichen Orchester verstärkt. Da sind schier alle Stände vertreten: Förster, die das Waldhorn, Doktoren, welche Trompete, Maler, welche die Flöte, Lehrer, welche andere Instrumente blasen. Die Violine ist mächtig besetzt, das Cello handhabt der alte Pfarrer von Stelzen meisterhaft, an jedem Pulte stehen Freiwillige, die für ihr Instrument ihren Mann stehen, bis zu den Pauken, die ein langer Amtschirurg bearbeitet. Jetzt tritt der Direktor an sein Dirigentenpult. Seht ihn euch an! Es ist ein schöner Mann von 24 Jahren. Das dunkelbraune Haar bedeckt, zu beiden Seiten niederhängend, die hohe Stirn, zwischen den vollen Wangen tritt eine wahre Herrschernase hervor, unter der ein wohlgeformter Mund gutmütig zu lächeln versteht wie das braune Augenpaar oben, das aber auch Blitze schießen kann, wenn der Mond donnert. ›Was das für ein Mensch ist, der Otto?‹ – erzählt dir ein Nachbar. ›Dem ist nicht nur jedes Kind, dem sind auch alle Tiere gut. Ich habe selbst gesehen, wie im Sommer in seinem Garten Molche und Eidechsen aus den Spalten der nahen Felsen zu ihm heranliefen.‹ Doch die Probe beginnt. Wir staunen über das Zusammenspiel des Orchesters. Da ist Takt und Zug und Seele! Wahrlich, so etwas ist nur in Thüringen möglich, wo den Kindern die Musik schon in der Wiege ins Ohr und Herz dringt. Keine fürstliche Kapelle kann mehr Eifer entfalten, als diese Männer, die hier der reinen Liebe zur Kunst und zu »ihrem Otto« die mancherlei Beschwerden und die viele Zeit zum Opfer bringen. Noch mehr finden wir Ursache, den jungen Dirigenten selbst zu bewundern. Er ist nicht nur Dichter und Komponist des Stückes und Musikdirektor dazu, er ist zugleich Regisseur des Schauspiels. Er übt nicht nur jedes einzelne Instrument, er übt jeden einzelnen Gesang, jede einzelne Stimme der Chöre. Er studiert jede einzelne Rolle, sieht auf gute Deklamation und auf richtiges Spiel, kurz, er ist der leitende und ordnende Geist des Ganzen.
Abb. 1: Foto verm. Eduard Glaser, 1913 / Abb. 2: Kupferstich, unbekannter Künstler, 1855 / Abb. 3: unbekannter Künstler, 1869. Alle Fotos Museum Eisfeld.
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