Neudietendorf

Gus­tav Adolph von Got­ter  erwarb 1734 in Neu­die­ten­dorf Land, das er schon 1743 an die Herrn­hu­ter Brü­der­ge­meine wei­ter­ver­kaufte. Von Got­ter 1738 bestall­ter Pfar­rer war Johann Andreas Heyn, den Got­ter, als die­ser mit dem Gothaer Kon­sis­to­rium Schwie­rig­kei­ten bekam, 1744 nach Ber­lin emp­fahl, wo er dem dort wei­len­den spä­te­ren würt­tem­ber­gi­schen Her­zog Carl Eugen auf­fiel und durch die­sen dort­hin ver­mit­telt wurde. Im sel­ben Jahr hei­ra­tete er  Johanna Rosina Sutor; bei­der Toch­ter Johanna Chris­tiana ist dann die Mut­ter von Fried­rich Höl­der­lin. Die dar­auf ent­stan­dene und von Niko­laus Graf von Zin­zen­dorf durch seine Besu­che beför­derte pie­tis­ti­sche Gemeinde wurde 1763 von Her­zog Fried­rich III. kon­zes­sio­niert. Von beson­de­rem Inter­esse ist der »Got­tes­acker«, in sei­ner Schlicht­heit »ein getreues Spie­gel­bild der Denk- und Lebens­weise und der geleb­ten Gemein­schafts­form« (H. Ben­ne­cken­stein). Johann Georg August Gal­letti aus Gotha war von der Viel­sei­tig­keit der Gemeine beein­druckt: »Mehr als 30 Fabri­ken ver­schie­de­ner Art fin­det man hier, u.a. eine Sie­gel­lack­fa­brik.« Die wirt­schaft­li­che Tätig­keit der Brü­der­ge­meine wirkt bis heute nach, wenn auch die berühm­ten Sie­gel­la­cke nicht mehr her­ge­stellt wer­den, dafür aber der berühmt-berüch­tigte Kräu­ter­li­kör »Aro­ma­tique«.

Auf Leo­pold Fried­rich Gün­ther von Goe­ckingk machte Neu­die­ten­dorf 1778 »einen leb­haf­ten Ein­druck«. Nova­lis‹ Vater stand der Brü­der­ge­meine nahe. Dass er seine Kin­der in Neu­die­ten­dorf kon­fir­mie­ren ließ, ist nicht belegt. Dar­über schrieb die Ame­ri­ka­ne­rin Pene­lope Fitz­ge­rald in ihrer Novelle »The Blue Flower« (1995). Am 15. 4. 1798 kam Sophie Mereau, die durch die Her­kunft ihres Ehe­man­nes sich auch öfter in Gotha auf­hielt, »in hei­te­rer und poe­ti­scher Stim­mung«, wie sie in ihrem Tage­buch fest­hielt, nach Neu­die­ten­dorf. Am meis­ten war Anne Ger­maine de Staël , die Neu­die­ten­dorf 1808 besuchte, von der Brü­der­ge­meine beein­druckt. Theo­dor Fon­tane hat von Neu­die­ten­dorf zwar kaum etwas gese­hen, den­noch dort am 9.4.1871 viel erlebt, als sein Zug, der ihn auf den Schau­platz des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges brin­gen sollte, dort Auf­ent­halt hatte und in der Bahn­hofs­re­stau­ra­tion deut­schen und ent­las­sene fran­zö­si­sche Offi­ziere auf­ein­an­der tra­fen. Beschrie­ben hat Fon­tane seine Ein­drü­cke im Kriegs­buch »Aus den Tagen der Okku­pa­tion. Ein Reise durch Nord­frank­reich und Elsass-Loth­rin­gen« 1871.

»Die­ten­dorf. Wer kennt nicht die Erzäh­lung vom Kes­sel­fli­cker, der in das Bett eines Prin­zen gelegt wurde. Ein ähn­li­ches Mär­chen­wun­der hat auch über Sta­tion Die­ten­dorf gewal­tet, als es die­sen Drei-Lehm-Katen­bau zum mit­täg­li­chen Spei­se­platz der thü­rin­gi­schen Eisen­bahn erhob …«

Aus der 1850 in Neu­die­ten­dorf ein­ge­rich­te­ten »Mäd­chen­an­stalt« ging ein Lyzeum her­vor, das 1869–74 Frieda und Mar­ga­re­the von Bülow besuch­ten, 1876–78 auch die schö­nen und rei­chen, aus Dres­den kom­men­den Schwes­tern Marie und Mar­tha Thie­ne­mann, die spä­te­ren Ehe­frauen von Ger­hart und Carl Hauptmann.

Johann Chris­toph Sachse (1762–1822), der Ver­fas­ser einer Auto­bio­gra­phie »von unten«, die Goe­the unter dem Titel »Der deut­sche Gil Blas … Oder Leben, Wan­de­run­gen und Schick­sale Johann Chris­toph Sach­ses, eines Thü­rin­gers. Von ihm selbst ver­fasst« 1822 her­aus­ge­bracht hat. Sachse lebte seit 1799 als Biblio­theks­die­ner in Wei­mar, wo Goe­the sich immer wie­der für ihn ver­wen­dete, auch als die­ser mit der Jus­tiz in Kon­flikt kam.

Frieda von Bülow (1857–1909), die als Roman­au­torin die Genre-Bezeich­nung »Kolo­ni­al­ro­man« prägte, ver­lebte ihre Kind­heit bis 1869 im tür­ki­schen Smyrna/Izmir, wo ihr Vater preu­ßi­scher Kon­sul war. Spä­ter lebte sie in Ingers­le­ben, Ber­lin und Deutsch-Ost­afrika, wo ihr Bru­der in der Schutz­truppe diente. Nach dem Tod des Bru­ders kehrte sie nach Deutsch­land zurück und lebte in den letz­ten bei­den Jah­ren ihres Lebens in Dornburg.

Ihre jün­gere Schwes­ter, Mar­ga­re­the von Bülow, (1860–1884), lebte 1869–1876 und 1878–1881 in Neu­die­ten­dorf und Ingers­le­ben. Bei­den Orten setzte sie mit dem Roman »Aus der Chro­nik derer von Rif­fels­hau­sen« 1887 ein lite­ra­ri­sches Denkmal.

Ernst Wil­helm Püschel lebte 1920–1929 in Neu­die­ten­dorf und schrieb Stü­cke für Frei­licht­auf­füh­run­gen. Sein Groß­va­ter Fried­rich Jansa (1869–1945) ver­legte in Neu­die­ten­dorf das auf­la­gen­starke und 1941 von den Nazis ver­bo­tene »Evan­ge­li­sche Sonntagsblatt«.

Der 1871 in Dor­pat gebo­rene Roman­schrift­stel­ler und Poli­ti­ker Her­man Anders Krü­ger starb 1945 in Neu­die­ten­dorf. Er war der Sohn eines Pre­di­gers der Brü­der­ge­meine, stu­dierte inLeip­zig und war von 1909–1913 Lite­ra­tur-Pro­fes­sor an der Tech­ni­schen Hoch­schule Han­no­ver. Für die Natio­nal­li­be­rale Par­tei saß er von 1919–1929 im Gothaer bzw. Thü­rin­ger Land­tag. Ab 1914 wohnte er in der Berg­straße 9 in der Villa »Krü­ge­rei« in Neudietendorf.

Her­mann Anders Krü­ger kaufte das abge­le­gene Grund­stück 1902. Als er 1914 nach Neu­die­ten­dorf über­sie­delte, ließ er sich diese Jugend­stil­villa errich­ten, von der aus er nach dem Ers­ten Welt­krieg aktiv ins poli­ti­sche Leben ein­stieg und in der Nazi­zeit zurück­ge­zo­gen lebte und starb. Mar­tin Ander­sen-Nexö , der Krü­ger in den 1920er Jah­ren öfter besuchte, schrieb über sein Haus: »Dort ver­sam­mel­ten sich der Ade­lige mit dem Kom­mu­nis­ten, der Sozia­list mit dem Natio­na­lis­ten und ver­leb­ten mit dem Libe­ra­len Krü­ger ver­gnügte Stun­den.« Der schöne Park ist heute in gutem Zustand und öffent­lich zugäng­lich. An der Mauer ver­weist ein Jugend­stil­me­mo­rial auf den gefal­le­nen Sohn der Krü­gers. 1995 erwarb die Gemeinde die Villa von den Erben. Dar­auf zog ein Beratungs‑, Schu­lungs- und Begeg­nungs­zen­trum ein, das von dem »Ver­ein Prof. Her­mann Anders Krü­ger e.V.« getra­gen wird und sich dem sozia­len Enga­ge­ment des Patrons ver­pflich­tet fühlt, sich aber auch kul­tu­rel­len Belan­gen gegen­über öff­nen möchte.

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