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Dietmar Ebert
Erstdruck in: Palmbaum 2-2019.
Dietmar Ebert
Leben und Schreiben als Existenzform
Doppelt verdientes Glück ist Band 49 der Edition Muschelkalk betitelt. Im Frühjahr dieses Jahres ist er im Weimarer Wartburg Verlag erschienen. In ihm sind zwanzig Gedichte und acht Erzählungen der in Meiningen geborenen, in Weimar aufgewachsenen und heute in Berlin und Halle lebenden Autorin Nele Heyse versammelt. Ihre Texte erzählen von ihrem „Abenteuer“, eine künstlerische Existenz leben zu wollen, ja, leben zu müssen. Gegen ein Stottern in der Kindheit ankämpfend, hat Nele Heyse sich das öffentliche Sprechen zu Eigen gemacht. Sie vermag es, durch Sprache Menschen zu berühren: als Schauspielerin Cornelia Heyse und als Dichterin und Erzählerin Nele Heyse.
André Schinkel hat die achtundzwanzig Texte, die in dem schmalen Bändchen Doppelt verdientes Glück vereinigt sind, klug arrangiert. So wird der Bogen vom ersten, um Sprache ringenden Gedicht Ich, die Frau, die über das Langgedicht Mein Bruder stirbt, das Willkommensgedicht Mädchen bis zu den Abschiedsgedichten Friedhof und Den Himmel in mir gespannt. Immer stärker finden auch die Erfahrungen und Erinnerungen der Schauspielerin Eingang in ihre Prosatexte.
Die Titelerzählung beeindruckt durch ihre surreale Handlung, die novellistisch grundierte Kurzgeschichte Teig durch ihren Kontrast zwischen Banalität und Härte und Anna S. ist gestorben durch eine überraschende Wendung des Geschehens. Gleichviel, ob Nele Heyse in der dritten Person erzählt, ob sie eine Ich-Erzählerin erfindet oder ihre Autorinnenstimme sprechen lässt, wie in Ça ira oder dem bewegenden Text über das Sterben ihrer Mutter, immer geht es um Spannungen und Glücksmomente im Zusammenleben zweier Menschen.
Wie ihre Mutter Maria Heyse, so kann auch Nele Heyse die Beziehung zum Vater ihres Kindes nicht halten. Doch wie die beiden Frauen den Sohn und Enkel heranwachsen lassen, wie Cornelia Heyse in ihrem jetzigen Mann den Partner für’s Leben gefunden hat, wie sie in ihren Rollen und Texten Menschen zu berühren vermag, das alles erzählt von einem „gelingenden Leben“.
Wie ein Leben, in dem manches nicht geglückt ist, dennoch zu einem gelingenden Leben werden kann, dem spürt Nele Heyse in ihrer Erzählung nach, in der sie von der letzten Woche im Leben ihrer Mutter berichtet und in Rückblenden und Erinnerungen deren ganzes Leben in den Blick nimmt.
Maria Heyse entstammte einer Weimarer Familie, deren Lebensmittelpunkt das Theater war. Ihr Großvater, Ferdinand Wiedey (1854 –1922), war Opernsänger und Oberspielleiter am Weimarer Theater. Unter der Stabführung des jungen Richard Strauss sang er 1893 in der Uraufführung von Engelbert Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel die Rolle des Besenbinders Peter.
Auch Maria Heyse zog es zum Theater. Sie trat nach dem 2. Weltkrieg an den Theatern Eisenach und Meiningen vor allem als Operetten- und Opernsoubrette auf. In Meiningen lernte sie den Schauspieler Hans-Joachim Heyse (1929 – 2013) kennen und heiratete ihn. Er ist Nele Heyses Vater, verließ 1953 die DDR und war u.a. als Oberspielleiter in Bochum sowie als Schauspieler und Intendant an den Theatern der Stadt Bonn und bei den Burgfestspielen Mayen tätig.
Auf Grund eines Hüftleidens konnte Maria Heyse ihren Beruf nicht mehr ausüben, widmete sich der Erziehung ihrer Kinder und blieb lebenslang eine aufgeschlossene, ihren Mitmenschen zugewandte Frau. In ihrem Erinnerungstext spürt Nele Heyse dem Einmaligen, Unverwechselbaren im Leben ihrer Mutter nach. Maria Heyse hat ihren Mann gehen lassen, hat ihm verziehen und versöhnt mit ihm und sich gelebt.
Die vielen kleinen Erinnerungssplitter, die Nele Heyse in dieser Geschichte vereint, lassen das Bild ihrer Mutter so lebensvoll erscheinen. Es ist das Bild einer offenen lebenszugewandten Frau, die nicht ihren Verlusten und dem, was in ihrem Leben fehlte, nachgetrauert hat. Sie hat ihrem Leben eine Gestalt gegeben.
Nele Heyse hat bewegend erzählt, wie sie um das Leben ihrer Mutter bangte, wie schwer sie ihr Tod getroffen hat und ihr der Abschied gefallen ist. Schreibend kämpft sie gegen den Tod ihrer Mutter an, schreibt sich auf ihre Mutter zu und entwirft ein sehr lebendiges Bild von ihr. Dabei gelingt ihr etwas sehr Seltenes: Sie findet genau den Ton und die Form, die für das Leben ihrer Mutter angemessen sind.
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