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Jens-F. Dwars
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum 1/2022.
Jens‑F. Dwars
Die absurde Welt zum Tanzen gebracht
Trauer um Olaf Weber
Den Absurditäten der Welt ist »realistisch« nur absurde Dichtung gewachsen. Und wer in einer krankmachenden Gesellschaft gesund, also perfekt angepasst ist, der sollte schnell einen Arzt aufsuchen, um nicht irreparable Folgeschäden davonzutragen. Solch paradoxe Einsichten trieben den Architekturtheoretiker, Hochschullehrer, Aktionskünstler und Gedichteschreiber Olaf Weber, seinen Schülern, Kollegen und Freunden durch das Prisma des Widerspruchs ungewohnte Aussichten zu eröffnen.
1943 in Dresden geboren, 1950 bis 1962 Schule und Abitur in Leipzig. »Rugby- und Schachspieler, Segelflieger, Schöngeist.« (O. W.) Von 1964 bis 1970 Architekturstudium an der Hochschule für Architektur und Baukunst Weimar (HAB). Im anschließenden Forschungsstudium Orientierung an Medientheorie, Psychologie und Semiotik, immer mit Blick auf deren Nutzbarkeit zum Verständnis der Architektur. Gemeinsam mit Friedrich Rogge und Gerd Zimmermann 1973 mit einer Kollektivarbeit zum Thema Architektur als Kommunikationsmittel promoviert.
1973 bis 1980 war er Mitarbeiter an der Bauakademie der DDR in Berlin. Man entwarf kühne Projekte, praktisch umsetzbar aber war nur, was Brigitte Reimann in Franziska Linkerhand beschrieb: die Typologie des Plattenbaus. Als Aspirant nach Weimar zurück, Leitung der Arbeitsgruppe Gestaltungstheorie an der HAB und1984 Oberassistent im Bereich Theorie und Geschichte der Architektur. Seit 1983 Mitglied im DDR-Künstlerverband, schreibt Beiträge zur Designgestaltung und hält Vorlesungen an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und der Humboldt-Universität, wird 1986 Sekretär des Internationalen Bauhauskolloqiums und habilitiert im Jahr darauf mit einer Arbeit über Die Funktion der Form in der Architektur. Das alles, während und obwohl ihm seit 1983 eine Augenkrankheit langsam, aber unaufhaltsam die Sehrkraft nahm. In den Wende-Jahren politischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen in Weimar. 1991 die Leitung des »Instituts für Kunst und Design« an der HAB, seit 1993 Professor für Ästhetik an der neu gegründeten Fakultät Gestaltung der nunmehrigen Bauhaus-Universität. Dem ursprünglichen Bauhaus war Olaf Weber wie kaum ein anderer an dieser Hochschule verbunden: experimentelle Gestaltung lehrte er nicht nur, er lebte sie: in Seminaren ebenso wie in zahlreichen öffentlichen Auftritten, mit Performance-Vorträgen und streitbaren Positionierungen weit über Weimar hinaus – trotz völliger Erblindung 2003.
Seit seiner Emeritierung 2009 im permanenten Unruhestand: Als Impresario des »42. Kongresses des Absurden« lud er 2009, 2010 und 2011 zur öffentlichen Auseinandersetzung mit jenen absurden Verhältnissen ein, die wir als »Normalität« hinzunehmen gewohnt sind – oder vielmehr gewöhnt werden durch Schule, Politik, Medien: des Höher, Schneller, Weiter-So in einer Welt des Habens, die das Sein aushöhlt.
Frieden, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit waren für ihn untrennbare Bedingungen menschlicher Existenz. 2017 rief er zu einer »Welt ohne Waffen« auf. Die das Sagen hatten, hielten ihn, wie alle Pazifisten zu allen Zeiten, für einen Spinner. Am 1. Juli 2019 schrieb er unbelehrbar: »Die Grenzen der geschundenen Ökosysteme, der sozialen Verwerfungen und der militärischen Aufrüstung sind überschritten. Es kann uns nur noch eine Umkehr retten: Rücknahme der globalen Erwärmung, der sozialen Erkaltung und der militärischen Überhitzung.«
Er war kein Träumer. Sein literarisches Credo: »Die menschgemachte Welt ist absurd. Kunst muss gegenüber diesem Zustand schöner und absurder absurd sein, um Kunst zu werden.« Eine Auswahl seiner Gedichte erschien 2021 in der Edition Muschelkalk der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.: Ein Veilchen, Schulter an Schulter. 3 x 21 Gedichte und ein Appendix.
Im vergangenen Herbst bat ich Olaf Weber, seine Schubladen nach Texten für ein Palmbaum-Heft zu durchforsten, das jenem Dada-Kongress von 1922 gewidmet sein wird, der Weimar und Jena für ein paar Tage aus dem Schlaf der Provinz riss. Da rang er bereits mit dem, wie er schrieb, »böswilligen Krebs«, der ihn am 23. Oktober 2021 verstummen ließ. Seine Worte sind im Web abrufbar. Die absurde Welt sorgt dafür, dass sie widerständig bleiben.
»Feindbilder und Kriegsbeile könnten schon morgen in aller Frühe begraben werden, doch unter dem Strand ist die Lüge – und das Eis.«
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