Martin Straub – Ein Gedicht und seine Schlusszeilen

Personen

Martin Straub

Friedrich Hölderlin

Daniela Danz

Hanns Cibulka

Harald Gerlach

Wulf Kirsten

Ort

Jena

Thema

Aktuelles

Autor

Martin Straub

Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Fried­rich Hölderlin

Hälfte des Lebens

Mit gel­ben Bir­nen hänget
Und voll mit wil­den Rosen
Das Land in den See,
Ihr hol­den Schwäne,
Und trun­ken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins hei­li­gnüch­terne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Win­ter ist, die Blu­men, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schat­ten der Erde?
Die Mau­ern stehn
Sprach­los und kalt, im Winde
Klir­ren die Fahnen.

 

Diese drei Schluss­zei­len aus Höl­der­lins »Hälfte des Lebens«. Wieso blei­ben sie in mir hän­gen und ver­fol­gen mich von Jugend an, in Zei­ten, wo ich so gut wie nichts von die­sem Dich­ter wusste? Warum nicht die Verse der ers­ten Stro­phe: »Mit gel­ben Bir­nen hän­get / Und voll mit wil­den Rosen / Das Land in den See,«. Wahr­schein­lich ist es so, dass lyri­sche Bil­der oder Zei­len auf bestimm­ten Lebens­si­tua­tio­nen tref­fen müs­sen, um haf­ten zu blei­ben. Ich jeden­falls sehe mit die­sen drei Schluss­zei­len meine Nach­kriegs- Hei­mat­stadt Dres­den vor mir. 1943 gebo­ren, wan­dert das zer­störte Dres­den in mei­nem Leben mit. Die schwar­zen zer­schla­ge­nen Sand­stein­mau­ern. Die Stadt war tot, kalt und dun­kel. Spä­ter die rie­si­gen geräum­ten, öden Flä­chen. Wenn ich in den 50er Jah­ren zwi­schen Hof­kir­che und Schloss durch­ging, konnte ich bis zum Haupt­bahn­hof sehen. Noch heute beglei­tet mich an die­sem Ort die­ser Blick. Bis ich in die Kreuz­kir­che komme und den alten Stadt­ge­ruch in der Nase habe.

Über eine Zeile rät­selte ich: »im Winde / klir­ren die Fah­nen«. Es war nicht der Zei­len­sprung, das Enja­be­ment, wie ich spä­ter sagen lernte. Wieso kann eine Fahne klir­ren? Das starre gefro­rene Tuch? Erst spä­ter wurde mir bewusst, es sind die metal­le­nen Wet­ter­fah­nen, alt und ver­bo­gen, die im Winde klir­ren. Und ich sah die kaput­ten Dächer der Stadt. Eine Stim­mung brei­tet sich aus: Trost­lo­sig­keit. Nein, nicht jetzt. Nicht in Jena, mei­ner zwei­ten Hei­mat seit Mitte der 60er Jahre. Wenn ich heute durch die Zwät­zen­gasse nach Hause laufe, denke ich höchst sel­ten, wenn über­haupt, an Höl­der­lin. Det­lev Igna­siak erin­nerte jüngst an das Haus in der Zwät­zen­gasse 9. »Die Mau­ern stehn / sprach­los und kalt«, diese Verse sind an Dres­den gebun­den, an eine Jugend­stim­mung. An Welt­schmerz, ich weiß, ein abge­grif­fe­nes Wort. Es war bei­leibe nicht das vor­herr­schende Gefühl. Es gab glück­li­che Zei­ten in die­ser Stadt. Natür­lich die erste Liebe mit all ihren Ent­de­ckun­gen und Kon­flik­ten. Doch immer wie­der, wenn ich an der Elbe zu Hause bin: kom­men diese drei Zei­len. Es ist die Erin­ne­rung an die »wüste Stadt«, die den Ton vor­gibt. Und natür­lich jenes Requiem von dem Kreuz­kan­tor Rudolf Mau­ers­ber­ger, das zur Wie­der­ein­wei­hung der Dresd­ner Kreuz­kir­che 1955 urauf­ge­führt wurde. Da war ich 12 Jahre alt. Spä­ter dann, im sel­ben Jahr, hörte ich das erste Mal die Mat­thäus-Pas­sion. Und sang den Can­tus fir­mus mit: »O Lamm Got­tes unschul­dig am Stamm des Kreu­zes geschlach­tet / all­zeit erfun­den gedul­dig / wie­wohl du warest ver­ach­tet«. Die Kir­che war kalt, nüch­tern, roh ver­putzt, und roch nach alten Win­ter­sa­chen. Am Ein­gang die Wund­male am Sand­stein. Diese Bil­der sind geblieben.

Und dann gibt es mit Höl­der­lin noch eine Erfah­rung, frei­lich viel spä­ter. Das ist der Gang in die Natur. Die Erfah­rung, dass man erst den Berg rauf muss, um die Aus­sicht zu genie­ßen, eine freie Sicht. Höl­der­lin unter dem »Gleich­berg­ge­wölk« (H.Gerlach) Das kam durch Harald Ger­lach in den Sinn. Heute lese ich Wulf Kirs­tens »Höl­der­lin auf dem thü­rin­gi­schen Olymp« in thü­rin­gisch-frän­ki­scher Grab­feld­land­schaft und Harald Ger­lachs lyri­sches Kapi­tel »Höl­der­lins Ätna« in dem Band »Nir­gends und zu kei­ner Stunde«. Das geht ein­her mit den Jenaer Erfah­rung des Aus­dau­er­läu­fers, die dazu bei­trug, Kri­sen zu über­win­den. Das Allein­sein mit der Natur, das Her­aus­tre­ten aus den auch selbst ver­schul­de­ten engen Räu­men, das tiefe Durch­at­men in der Stille, der Geruch des Wal­des. »Wild­nis«. Der Begriff mag hier ste­hen für eine Befrei­ung von zivi­li­sa­to­ri­scher Ent­frem­dung. Man hört anders auf sich inmit­ten der Natur, und man denkt auch anders über die Zer­stö­rung der Natur. Mit die­ser Jenaer Erfah­rung kam die Land­schafts­ly­rik von Harald Ger­lach, Wulf Kirs­ten, Hanns Cibulka, Tho­mas Rosen­lö­cher in den Blick, die säch­si­sche Dich­ter­schule um Mickel, Braun und Czechow­ski. Spä­ter vor allem die Gedichte von Daniela Danz. Das mag sehr ver­kürzt klin­gen. Aber ich sehe diese Lyri­ker schon in einer Nach­folge von Bro­ckes, Hal­ler, dem jun­gen Goe­the und Höl­der­lin. In den Sinn kom­men die sor­bi­schen Dich­ter wie Kito Lorenc oder Roza Domas­zyna, mit ihrem Blick auf die »Unland­schaft« (H.Gerlach) des Braun­koh­le­ab­baus, in des­sen Folge die alten Sied­lungs­struk­tu­ren zer­schla­gen wurden.

»Kein Höl­der­lin-Hym­nus / auf die Natur, / die Herz­wand ver­kars­tet, / zau­ber­kun­dig / die Poly­pen­arme der Che­mie, / vom Anblick der toten Fische«, lesen wir im »Lage­be­richt III« in Hanns Cibul­kas »Swan­tow«. Kis­ten schreibt: »eine Stimme rudert über den fluß: / fähr­mann hol über ! / der schwei­ger beugt sich ins dun­kel ./ ertrin­kende stille, / stru­del inmit­ten, / fische bäuch­lings und phe­nol«. Vol­ker Braun klagt an: »Hier sind wir durch­ge­gan­gen / Mit unse­ren Werk­zeu­gen // Hier stell­ten wir etwas Har­tes an / Mit der ruhig rau­chen­den Heide // Hier lagen die Bäume ver­en­det, mit nack­ten / Wur­zeln«. Frei­lich am Schluss nimmt Braun die­ser Erbar­mungs­lo­sig­keit die Schärfe und spricht vom »wei­ßen neu gebo­re­nen Strand«. Aber all diese Dich­ter fra­gen ja auch mit Höl­der­lin nach einer Spra­che, mit der sich das Gedicht in einer sol­chen Welt behaup­ten kann. Ob es sich behaup­ten kann. Die Natur­ver­nich­tung schafft neue Wüs­tun­gen. Auch Sprach­ver­wüs­tun­gen. In sei­nem Gedicht »das dorf« ver­flucht Kirs­ten mit geball­ter Ladung die »flur­be­rei­ni­ger« und »land­schafts­aus­räu­mer«. Es endet mit den Zei­len »alles ver­sun­ken! ver­schlun­gen / vom reiß­wolf des fortschritts«.

Ihrem jüngs­ten Band gibt Daniela Danz den Titel »Wild­niß«. Und sie beschwört und fleht mit Höl­der­lins Begriff, sie möge über uns kom­men und unsere Wün­sche über­wu­chern. In einer see­len­lo­sen Zivi­li­sa­tion mit ihren Rake­ten, Müll­tren­nungs­sys­te­men und Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen. »Nur lass die Igel übrig mit ihrem Schnau­fen«. Und sie bedenkt wie eine erbar­mungs­lose Brand­schat­zung der Natur neue Ver­ödun­gen schafft.

Der hei­mat­li­che Boden zwi­schen Jena und Dres­den ist brü­chig gewor­den. Ich spür das mehr als zuvor. Und frage mit der Lyri­ke­rin aus Kra­nich­feld sich auf Wal­ter Jens beru­fend, wie ist das nun mit uns und Höl­der­lins gro­ßer Hoff­nung, dass sie, diese unsere Hei­mat zur Her­berge des Huma­nen wird, ein »gro­ßes Vor­aus« als »uto­pi­scher Besitz«. (Wal­ter Jens) Ger­lachs Schluss­stro­phe von »Höl­der­lins Ätna« lautet:

»Auf­gip­felnd den tau­fri­schen Berg, dunkel
Vor stei­gen­der Aureole, Höl­der­lin entfaltet
Die Kar­to­gra­phie, eine Zuflucht vor dem
Wirk­li­chen: nach Osten
der Thü­rin­ger Wald, nach Wes­ten mein liebes
Schwa­ben. Wal­ters­hau­sen ist ver­sun­ken im Aufflug
der Phan­ta­sie. So beschrieb ich am liebsten
die bei­den Hälf­ten der Welt

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