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Thüringen im Nationalsozialismus
Wulf Kirsten
Thüringer Literaturrat e.V. / Erstdruck: Weimar Kultur Journal Nr. 2/2001
Inhaber der Thelemannschen Buchhandlung war von 1917 bis 1927 der aus Magdeburg stammende Bruno Wollbrück (16.8.1890 nach 1950), der 1911–1913 bei seinem Vorgänger Gustav Kiepenheuer eine Buchhändlerlehre absolviert hatte. Bruno Wollbrück, der in den Annalen der Stadt nirgendwo aufscheint, sollte 1930 Dr. Hermann Kellermann (1881–1965) folgen, der sich, bestens eingebunden in den Geist der Stadt, als völkischer Ideologe hervortat. Neben der Buchhandlung, die 1954 Katharina Becker (19111989) übernahm, besaß Kellermann auch den Duncker Verlag. 1949 wurde ihm die Verlagslizenz entzogen, da er (ohne Genehmigung) die Restbestände eines Romans, der vor 1945 in seinem Verlag erschienen war, ausgeliefert hatte.
Da wird sie wohl nicht übertrieben haben, denkt unsereiner mit einer nur schwer zu unterdrückenden Neidaufwallung. Vorbei for ever. Ich kontere mit der Bewunderung: Einige Jahre hat sich dieses Kabinett des Bruno Wollbrück gehalten. Das Fluidum des Raums und seine Aura dürfen kostenlos nachempfunden werden.
Von einem Rechtsanwalt und Büchersammler wurde ich einmal zusammen mit dem Hochverehrten [Paul Klee] in ein Restaurant eingeladen, brachte vor Schüchternheit den Mund nicht auf …
Wie sollte man da nicht an den zweiten Bibliophilen von Format nach Harry Graf Kessler denken, der seinerzeit in Weimar lebte? An Dr. jur. Georg Haar (1887–1945), der nach seinem Freitod der Stadt eine stattliche Villa und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek eine kostbare Büchersammlung hinterließ, darunter die Drucke der Cranach-Presse.
Viermal am Tag lief sie zwischen der Pension, die sie bewohnte, und der Buchhandlung hin und her, jeweils den Park und die Ilm querend. Die Pension, in der Marie Luise von Berstett-Holzing wohnte, gehörte Margarete (genannt Daisy) Burggräfin von und zu Dohna. Neben dem »Haus in der Sonne« (Am Horn 39) besaß sie auch die Handelsgärtnerei »Glückauf« (Am Horn 43). Gräfin Dohna (1880–1969) war, wie sich ältere Weimarer erinnern, eine auffällig imposante Erscheinung im Stadtbild. Ihrer Zeit und Umwelt weit voraus, betrieb sie Gartenbau auf biologisch-dynamischer Basis.
Als Marie Luise Freifrau von Kaschnitz-Weinberg, wie sie seit 1925 hieß, in den dreißiger Jahren noch einmal in Weimar war und bei dieser Gelegenheit die Gärtnerin und Pensionsinhaberin besuchte, verbrachte im »Haus in der Sonne« die Schriftstellerin Gabriele Reuter (1859–1941), die einstige Bestsellerautorin, seit 1929 wieder in Weimar ansässig, ihren nicht ganz so sonnigen Lebensabend. Nach diesem Besuch, während dem Marie Luise Kaschnitz noch einmal den altbekannten Weg zurückgelegt haben dürfte, entstand das zehnstrophige Gedicht »Im Park von Weimar« (1935).
Während ihr vormals die Bauhäusler entschieden näher und lebensgemäßer gewesen waren als Goethe, empfindet sie nun als eine klassisch »geläuterte« Dichterin:
Im stillen Park verschlangen sich die Wege,
Geheimnisvoll den Wanderer zu bannen.
Da klang sein Schritt auf dem gewölbten Stege
und hundertfach quoll Leben um ihn her.
Hier kniet‹ die Büßerin am Wegesrande,
Dort beugte Werther sich zur dunkeln Tiefe.
Graf Egmont ritt im spanischen Gewande
Und Mignon hob den schwermutvollen Blick.
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