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Sylvia Bräsel
Erstdruck: Thüringische Landeszeitung, 23.2.2017 / Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Gelesen von Sylvia Bräsel
Ein bekannter Unbekannter: Marie-Elisabeth Lüdde hat ein bemerkenswertes Herder-Buch vorgelegt
Herder-Platz, Herder-Kirche, Herder-Denkmal, Herder-Brunnen – ein Spaziergang durch Weimar führt uns immer wieder auf die Spur dieses Mannes, der 27 Jahre (bis zu seinem Tod 1803) in der Stadt lebte und wirkte. Er ist gegenwärtig und bleibt doch oft für Besucher »ein bekannter Unbekannter«.
Die promovierte Theologin und in Weimar lebende Autorin Marie-Elisabeth Lüdde nimmt uns in ihrem Buch »Johann Gottfried Herder. Licht – Liebe – Leben« (Weimarer Verlagsgesellschaft 2016) vielleicht auch aus diesem Grunde mit auf eine anregende Gedankenreise, die sie zugleich akribisch historisch verortet. Der Lebensweg von Herder (1744–1803) wird anschaulich in Bildern, Zeichnungen und Zeitzeugnissen dokumentiert. Dennoch ist dieses Buch keine (wissenschaftliche) Monographie zur puren Wissenserweiterung, auch wenn das Personenregister und das beeindruckende Literaturverzeichnis das auf den ersten Blick vermuten lassen.
Die Publikation besticht durch die Vielschichtigkeit der Zugänge bzw. durch die gestellten Fragen zum Thema, die in der heutigen Zeit der Umbrüche nachdenklich stimmen können. In ihren Anmerkungen zum Text spricht Marie-Elisabeth Lüdde selbst von der »Faszination«, die auf den Leser überspringen soll. Sie scheut sich nicht vor »Leerstellen« und macht zugleich die Persönlichkeit von Herder begreifbar im kreatürlichen Sinne. Ihr dem Buch beigegebenes Kapitel »Spaziergang durch Weimar. Auf den Spuren Johann Gottfried Herders« in Bild und Text macht regelrecht neugierig und eröffnet dem Leser unkonventionell neue Sichtweisen auf das Werk und das Denken des Mannes, der schließlich zu den großen Vier (Goethe, Schiller,Wieland, Herder) der Weimarer Klassik zählt.
Der Band lädt zu einer Entdeckungsreise ein und macht so Angebote zum Weiterdenken. Nicht zuletzt wurde die von Herder postulierte Verbindung von Intellektualität und Religion zur Basis aufgeklärter Kulturphilosophie in Europa. Marie-Elisabeth Lüdde zitiert in ihrer Einführung aus einem Gespräch zwischen dem Philosophen Wolfgang Heise und der Dramatiker Heiner Müller und verweist damit auf die Anregungen, Visionen des (toten) Herder, die »nicht begraben werden« sollten.
Herder war Theologe, Philosoph, Volkskundler, Pädagoge, Ästhetiker, Publizist, Übersetzer und im besten Wortsinn ein polemischer Aufklärer, der nicht als »eine Fußnote in Goethes Geschichte« gesetzt werden kann. Immerhin hat der etwas jüngere Goethe nicht wenig von dem aus ärmlichen Verhältnissen in Mohrungen (Ostpreußen) stammende Herder gelernt. Herder war als Gesamtpersönlichkeit ein Vordenker, ein »Nonkonformist«. Seine Hauptwerke wie »Stimmen der Völker in Liedern« und »Briefe zur Beförderung der Humanität« gehen zum Beispiel schon über eine Zentriertheit auf deutsche Kultur (wie zum Beispiel in der Sammlung »Des Knaben Wunderhorn« von Arnim und Brentano) hinaus.
All das findet sich in dem Buch von Marie-Elisabeth Lüdde wieder. Zudem zeigt die Autorin Herder in seinen Beziehung zu Zeitgenossen wie auch als Ehemann und Vater. Herder ist übrigens ein für seine Zeit recht moderner Ehemann, der eine partnerschaftliche Beziehung zu seiner Frau pflegte.
Herders eigenen Wahlspruch »Licht, Liebe, Leben« aus dem Johannes-Evangelium nimmt Marie-Elisabeth Lüdde als Titel in ihr Buch auf.
So schließen sich Kreise und geben zugleich Raum für spannende Gedankenexperimente beim Lesen. Wie schrieb schon der Schriftsteller Jean Paul 1804: Herder habe »nur die großen Ströme, aber aller Wissenschaften in sein himmelspiegelndes Meer« aufgenommen.
In Weimar spiegelt sich somit »die Welt im Wassertropfen«. Das könnte ein weiterer Grund sein, dieses Buch zu lesen!
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