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Grab von Johann Karl August Musäus
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Hansi von Märchenborn
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Eine Wiederentdeckung: »Die deutschen Volksmärchen« von Johann Karl August Musäus
Gelesen von Hansi von Märchenborn
Es ist immer wieder überraschend, in welch reicher Kulturlandschaft wir doch in Thüringen leben, in der es immer wieder neues Altes zu entdecken gibt. Ein beredtes Beispiel hierfür war meine Beschäftigung mit den »Deutschen Volksmärchen« von J.K.A. Musäus (geb. 29.03.1735 in Jena, gest. 28.10. 1787 in Weimar). Erschienen in den Jahren 1782 bis 1786, ist es eine der ersten Märchensammlungen, die in Deutschland gedruckt worden ist. Nun denkt man bei Märchen immer zuerst an die »Kinder und Hausmärchen« der Gebrüder Grimm, die erstmals 1812 veröffentlicht wurden. Doch damit haben die »Deutschen Volksmärchen« nur wenig gemein. Sind erstere hauptsächlich für Kinder geschrieben und in eine sehr kurzen Form gebracht, so wirken die Märchen von Musäus ausschweifend und sind in der Sprache eines gehobenen gutbürgerlichen Salons des 18/19. Jahrhunderts gehalten, wobei es von großem Nutzen ist, zumindest das »Kleine Latinum« zu beherrschen. Es sind also eigentlich keine Volksmärchen sondern Kunstmärchen. Die Themen und Inhalte der Märchen hat er allerdings dem Volke abgeschaut. So schreibt sein Neffe Kotzebue: »Wenigen aber ist vielleicht bekannt, daß, als er den Gedanken faßte, Volksmärchen der Deutschen zu schreiben, er wirklich eine Menge alter Weiber mit ihren Spinnrädern um sich her versammelte, sich in ihre Mitte setzte und von ihnen in ekelhafter Geschwätzigkeit verplaudern ließ, was er hernach so reizend nachplauderte. Auch Kinder rief er oft von der Straße hinauf, wurde mit ihnen zum Kinde, ließ sich Märchen erzählen und bezahlte jedes Märchen mit einem Dreier.« Herausgekommen sind dann solche, bis heute bekannte Geschichten, wie die »Legenden von Rübezahl«, »Richilde«, eine Schneewitchen Adaption, und »Melechsala«, die Legende des Grafen von Gleichen, der mit zwei Frauen das Ehebett teilte. Auch das Rosenwunder der Heiligen Elisabeth von Thüringen wird in dieses Märchen eingeflochten. Überhaupt scheut sich Musäus nicht, seinen Märchen einen Ort zuzuordnen. So handeln sie zum Beispiel in Bremen, dem Riesengebirge, auf Rügen, in Böhmen und in Schloss Lauenstein an der Loquitz. Die Handlungen der einfachen Geschichten schmückt er opulent aus, und besonders die amourösen Beziehungen seiner Protagonisten werden ausführlich dargelegt. Gleichzeitig fügt er viele Anspielungen auf die herrschenden Verhältnisse, die katholische Kirche und die Gesellschaft am Weimarer Hofe ein und wird so seiner Rolle als Aufklärer Ende des 18. Jahrhunderts gerecht.
Für den heutigen Leser allerdings erschließen sich viele dieser Anspielungen nicht mehr.
Was ist es dann,weswegen dieses Buch noch heute einen solchen Zauber auf uns ausübt: Es ist die Sprache in der es geschrieben ist. Und zu dieser lässt sich nichts Besseres sagen, als was der Herausgeber der »Volksmärchen der Deutschen« im Winkler Verlag, Norbert Miller, in seinem ausführlichen Nachwort zu dieser schreibt:
»Es bedurfte langer Beschreibung oder eines genußreichen Nachschmeckens von Wort zu Wort, von Einfall zu Einfall, um das Raffinement dieses kontrollierten Übermuts ganz zu fassen, der noch die Kontrastierung altertümlicher und moderner Wortformen, noch die kleinsten Bedeutungsnuancen zwischen dem Sprachgebrauch des Alltags und der Legende zu seinem verwirrenden Spiel mit der Phantasie nutzt.«(2)
Warum ich dieses Buch jedem sprachbegeisterten Leser ans Herz legen möchte, mögen zum Schluß die Sätze über die Koketterie der Richilde von Musäus selbst begründen:
»Durch die Kunst wußte sie die Reize der Jugend wieder aufzufrischen,die abgeblüheten zu verbergen, oder mit dem kunstreichen Gewebe der feinsten Brabanter Spitzen zu bedecken. Sie unterließ dabei nicht, ihren Endymion die anlockendsten Avancen zu machen, und ihn auf alle Art zu reizen, bald in dem prunkvollen Gewand, das ehemals Dame Juno an einem Galatage im hohen Olympus selbst nicht reicher tragen konnte; …«
Abb. 1: Gemälde von Johann Ernst Heinsius (1731-1794), um 1770 / Abb. 2, 3: Fotos: Jens Kirsten.
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