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Jens Kirsten
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Gelesen von Jens Kirsten
Heinrich Schütz – Imagination und Wirklichkeit
Kennen Sie Heinrich Schütz? Eigentlich ist es ungehörig, Lesern in Thüringen diese Frage zu stellen, denn sein Name gehört wie der von Luther, Bach, Goethe, Schiller, Herder oder Wieland zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Thüringer Kulturgeschichte. Der 1585 in Köstritz geborene Schütz war einer, wenn nicht der wichtigste deutsche Komponist des Barock. Sein musikalisches Werk wird bis heute auf der ganzen Welt gespielt und verehrt.
Die Schriftstellerin Ingeborg Stein hat mit ihrem Erlebnisbericht »Heinrich Schütz im Wendelicht« ein beeindruckendes Buch vorgelegt, dass in mehrerer Hinsicht außergewöhnlich ist. Eines sei gleich zu Beginn versprochen. Ihr Buch zieht jede Leserin und jeden Leser unweigerlich in seinen Bann und keiner wird es weglegen, bevor er es nicht ausgelesen hat.
Ende 1984 erhielt die Musikwissenschaftlerin Ingeborg Stein, die damals als Assistentin an der Friedrich-Schiller-Universität arbeitete, die Aufgabe und Chance, anläßlich des 400. Geburtstages von Heinrich Schütz in dessen Köstritzer Geburtshaus eine Gedenkstätte für den Komponisten einzurichten. Am Anfang war nichts. Immerhin doch das Geburtshaus, mag mancher einwenden. Wie es Ingeborg Stein als Projektleiterin, so würde man heute sagen, gelang, aus einer Bauruine mit Wassereinfall im Keller bis zum 18. Oktober 1985 die Forschungs- und Gedenkstätte Heinrich-Schütz-Haus entstehen zu lassen, davon erzählt die Autorin mit subtiler Verve in 16 Kapiteln auf gut 100 Seiten.
Allein ihren Anstrengungen zu folgen, die notwendigen Handwerker und Genehmigungen für die Generalsanierung und die parallele Einrichtung der Ausstellung zu bekommen, bereitet – so paradox das erscheinen mag – höchstes literarisches Vergnügen. Die Autorin ergeht sich dabei keinesfalls in anklagendem Ton über die Bürokratie der DDR. Vielmehr zeigt sie mit genauem Blick und einem verblüffenden Erinnerungsvermögen, dass die DDR nicht nur ein Staat der Verbote und Dekrete war, sondern anhand ihres Beispiels, wie er im Detail funktioniert hat und was sich – allen Vorbehalten und inneren Zweifeln zum Trotz – mitunter bewerkstelligen ließ.
Ihr Erzählen wird durch ironische Brechungen bereichert; jedoch zeigt sich – eigentlich durch das ganze Buch – das jede Phantasie durch die Wirklichkeit hier weit in den Schatten gestellt wird. Den atmosphärischen Höhepunkt erreicht der Bericht, als Ingeborg Stein den eine Woche vor der Eröffnung angereisten SED-Chefideologen Kurt Hager durch das vollkommen leere Haus führen muss, da noch keines der Exponate an seinem Platz steht. Diese aus damaliger und heutiger Sicht in höchstem Maß surreal anmutende imaginierte Führung, die nicht zuletzt eine Parabel auf die Mangelwirtschaft der DDR ist, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgemalt werden. Um dieses köstliche Lektüreerlebnis sollen die Leser nicht betrogen werden.
Erschienen ist das Buch, das der Radierzyklus »Die zwölf Apostel« von Eberhard Dietsch bereichert, Ende 2015 im Quartus-Verlag Bucha. Herausgegeben hat es Jens-Fietje Dwars in der Weißen Reihe des Verlages.
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