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Erich Knauf
Thüringer Reise, Die Büchergilde, Zeitschrift der Büchergilde Gutenberg, August 1931, Nr. 8, S. 230-231.
Vorn oberen Bahnhof in Jena stampft der Zugschwer die Steigung hinan. Bei Großschwabhausen erlöst ihn die Hochebene. In wenigen Minuten ist Weimar erreicht. Denkst du daran, ungeduldiger Passagier der Schnellzüge. daß vor einem Jahrhundert noch eine wohlvorbereitete Reise mit Aufregung, Verpackung und Abschiedsschmerz nötig war, wenn Goethe zu Schiller, wenn Weimar zu Jena kommen wollte?
Etwas von diesen vorhundertjährigen Zuständen ist noch heute in Weimar lebendig. Es liegt sozusagen in der Luft, und die Stadt bemüht sich, diese nach Staub, alten Dokumenten. trockenem Lorbeer und Mottenpulver riechende Atmosphäre eines Museums zu erhalten.
Eine schöne Lindenallee führt vom Bahnhof, der an das Stationsgebäude eines vornehmen Berliner Vororts erinnert, in die Stadt hinein. wird von der Querfront eines Ausstellungspalastes abgefangen und erweitert sich dann zu einem grünen Promenadenplatz. Die kleinen ehemaligen Residenzstädte der mitteldeutschen Winkelfürsten haben allen anderen Städten ihrer Bezirke etwas voraus: sie sind nicht so erbarmungslos von der Industrie und der Bodenspekulation verbaut worden. Auch die diversen Landesväter von Weimar und Umgebung haben das Geld ihrer gehorsamen Untertanen – soweit es nicht von ihrer Soldatenspielerei und ihren Amouren verschlungen wurde – dazu verwendet, das erhabene Vorbild von Versailles nachzuäffen. Da hat jeder außer seinem Stammsitz noch ein moderneres Palais, ein Belvedere, ein Bellevue, eine Eremitage, ein Monbijou und wie die Absteigequartiere und die außerehelichen Schaukelbuden sonst heißen mögen, und einen Park mit Nymphentempel und Venusgrotte, ein Jagdschloß da und dort, eins für Säue und eins für scheue Rehe, und dann kamen noch die oft recht weitläufigen Behausungen für die Bettgenossinnen linker Hand dazu – he, das wäre gelacht, wenn da mit der Zeit nicht aus dem armseligsten Dorf eine recht anständige Puppenstube wurde!
Weimar hat sich auch auf diese Weise »entwickelt«, und manche Literaturforscher finden es lobenswert, daß der Wirkliche und Geheime Rat und im Nebendienst den Musen nachstellende Goethe dabei mitgeholfen hat. Daß diese höfische Kultur eine höchst einseitige Sache war, weil ihre Finanzierung den gewöhnlichen Sterblichen zwang, in elenden Gassen zu hausen, das freilich wird dabei verschwiegen. Weshalb sich mit solchen Grillen plagen? Die Masse, der Plebs, die Kanaille, ist nur dazu auf der Welt, den einen Großen, den Gottbegnadeten, auf ihren Schultern zu tragen. Sie ist der Sockel seines Fußes, der Schemel seiner Würde, die Voraussetzung seines Übermenschentums.
Kein Wunder, daß die Theorie vom Über- und Untermensch und die darauf sich gründende Parteianschauung gerade in Weimar derart ins Kraut schießen konnte. Vom Heroenkult zum Nazidiktator ist nur ein Schritt. Freilich, vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es auch nicht viel weiter. Und eines Tages bekam der hakenkreuzverzierte Cäsar von Ilm-Byzanz den traditionellen Dolchstoß. Von hinten natürlich. Heute hängt die Fahne der Aktiengesellschaft Hitler-Hohenzollern-Hugenberg (HaHaHa) nicht mehr so herausfordernd oft in den Straßen von Weimar – im Zentrum nur noch auf dem Gebäude der Hausbesitzer-Bank Thüringen e.G.m.b.H. –, aber das entfrickassierte Thüringen ist und bleibt die klassische Stätte kleinbürgerlicher Reaktion.
Klassisch ist hier alles. Die Straßen sind mit erhabenen Erinnerungen gepflastert. (Also: langsam fahren!) An jedem zehnten Haus steht in feierlicher Antiqua zu lesen: HIER WOHNTE VON … BIS … und dann folgt ein historisch gewordener Name. Ein Name, für die meisten Vorübergehenden kaum mehr als ein schattenhafter Begriff! Vergangenheit. Was geht sie der ganze Zauber an! Ob Herder oder Wieland, ob Zelter oder Eckermann, ob Klassisches oder Romantisches, ob Mäander oder Leander, wie schnuppe ist ihnen das! Mit Staunen sehen sie, wie Goethes Bude vollgestopft ist mit gestochenen und gegossenen und gemalten antiken Szenen. Das wimmelt von symbolbeladenen Helden und Klageweibern, von Überresten einer untergegangenen Welt. Aber es braucht sich keiner ungebildet vorzukommen, wenn er sich mehr für die realistische Lebendigkeit dieser oder jener Kleinplastik oder für die tolle Mischung von klassischer Pose und bäuerischer Erotik auf dem Bild von der Wahl der olympischen Schönheitskönigin interessiert als für den ganzen antiken Familienklatsch.
Die gebildete Klasse der Goethezeit baute sich aus inzwischen als falsch erwiesenen Vorstellungen von einer längst erloschenen Welt ein Schneckenhaus, in das sie sich verkroch, um nicht Zeuge einer großen Umwälzung sein zu müssen. Aber Umwälzungen fragen nicht danach, ob sie von einer Oberschicht ignoriert werden. Heute bauen sich die Enkel der Revolutionäre von damals wieder Schneckenhäuser. Eins davon ist Weimar. Sie verlegten das Parlament der jungen Republik aus dem revolutionären Berlin in diese gute Stube des deutschen Kleinbürgers, sie benutzten das pathetische Standbild von Goethe und Schiller vor dem Nationaltheater als Aushängeschild, und sie spielten so lange ihren Weimarer Doppelkopf, bis sie das Spiel aufdecken konnten.
Der »Geist von Weimar« – Helm ab zum Gebet –, das ist von Amts wegen der als Gott thronende Goethe, wie er im Treppenhaus des Landesmuseums zu Weimar sitzt: ein Übermensch im Luftbadekostüm mit Lorbeerkranz und Leier, und das kleine Mädchen Psyche schmiegt sich an sein Knie. – Die Afterseite dieses Heroenkults: Wie das in den Auslagen der Buchhandlungen von Weimar flüstert und wispert von den Weibergeschichten des »großen Mannes«, von seiner Vorliebe für die kleinen Mädchen (siehe oben), wie das die Bettvorhänge lüftet, wie diese Literaturgeschichte aus der Kammerdienerperspektive den alten Tratsch von dunnemals aufwärmt!
Eifrige Sammler haben aus den Erinnerungsstätten in Weimar überladene Museen gemacht, die wie alle Museen auf die Dauer ermüden. Aber da tritt der Besucher – glücklich, eine Minute der Stille zwischen zwei ehrfurchtsvoll erhitzten Reisegesellschaften gefunden zu haben – in das Arbeitszimmer Goethes, in die Räume seiner wissenschaftlichen Sammlungen, in das kleine traurige Sterbezimmer, und plötzlich spürt er den außerordentlichen Menschen und die Bedeutung seiner Arbeit. Da ist nichts Erhabenes, nichts Hochgestelltes, da ist der Mensch, der sich müht und plagt, weil er sehr wohl weiß, daß der schaffende Geist nicht auf die wenigen Augenblicke glücklicher Erleuchtung warten kann. Die alten Möbel, das vorsintflutliche Schreibzeug, die vertrockneten Blumen einer scheuen Verehrung, all das Vergängliche ist »nur ein Gleichnis«, ein leichtverstaubtes, rührendes Gleichnis, dem ein ewiges Geheimnis innewohnt, und diesem Geheimnis ist der stille Besucher hier unbegreiflich nahe.
Im Schillerhaus wiederholt sich das Erlebnis. Das Haus, die Räume, der Garten, alles ist kleiner als bei Goethe, ärmer, und die Kargheit des hier vergangenen Daseins wird tief gedemütigt durch die herablassende Sprache einer großspurigen Urkunde des gnädigen Landesherrn, der einem armen Poeten ein Dach über dem Kopf gewährte. Diese Urkunde, an auffälliger Stelle unter Glas und Rahmen, ist in verschnörkelter Schrift geschrieben und zählt alle die Titel des Landesherrn auf, und diese Titel bedeuten Besitz und Einkünfte. Dafür daß ein Brosam von des Herrn Tische fiel und einen kranken Dichter nährte, genießt der Monarch und sein System den Vorzug besonders lobender Erwähnung im goldenen Buch des Ruhms, der reiche Mäzen profitiert vom Glanz der unsterblichen Namen auf der Liste seiner Rentenempfänger.
Abends tritt Weimar aus der lauten Gegenwart in die Vergangenheit. zurück. Die Andenken-Industrie, diese ewige Bettlerin vor den Portalen der Dome, lauert nicht mehr an jeder Ecke, die kleinen Häuser der Nebenstraßen rücken still zusammen, aus der Herderkirche klingt, nicht länger als einen Türflügelschlag, der gesteigerte Schlußsatz eines alten Orchesterkonzerts, und über dem tiefen Schweigen des Parks steht das unergründliche Lächeln des Mondes. Ein freundlicher Shakespeare. tagsüber ein kaltes Marmorbild im Parkwinkel, beginnt nun eine vertrauliche Zwiesprache mit dem geisterhaften Licht hinter den Kronen der alten Bäume, und das einsame und stolze Standbild Liszts horcht wie verzaubert in die Pianissimostimmen zwischen Mond und Wipfelschatten. Die schon am Tage schläfrige Ilm steht jetzt ganz still. Zögernd schickt eine Glocke ihren metallischen Ton in das dunkle Grab der Stunden.
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