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Frank Quilitzsch
Erstdruck in Palmbaum 2-2019.
Gelesen von Frank Quilitzsch
Das Glück der Verwandlung
»Für mich verwandelte sich alles in dem Moment, wenn Professor Richter zu sprechen begann. Seine leise angenehme Stimme zog mich sofort in den Bann. (…) Was er sagte, versetzte mich in einen Zustand absoluten Glücks, von der Kopfhaut bis zu den Fußspitzen war mein Körper davon erfüllt.« Diese Liebeserklärung an den 2017 verstorbenen Jenaer Hochschullehrer Hans Richter aus der Feder der Schriftstellerin Sigrid Damm findet sich zwar erst am Ende des Bandes »Ringend mit sich und seiner Zeit«, doch taucht sie das zuvor Gelesene noch einmal in ein zauberhaftes Licht. Der ehemaligen Germanistik-Studentin, die mit ihren Büchern über das Weimarer »Viergestirn« Wieland, Herder, Goethe und Schiller selbst ein gutes Stück Literaturgeschichte geschrieben hat, gelingt eine vorzügliche Charakterstudie von jenem Anreger und Förderer, der sie geprägt und gedanklich begleitet hat.
Man sieht ihn lebhaft vor sich, wenngleich seine besondere Art zu formulieren noch deutlicher aus jenen eigenen Texten spricht, die Aufnahme in das von Harald Heydrich und Ulrich Kaufmann herausgegebene Erinnerungsbuch gefunden haben.
Erinnerung findet hier auf dreierlei Art statt: Es wird an einen bedeutenden Literaturwissenschaftler erinnert, dessen Beschäftigung mit Dichtern wie Franz Fühmann, Rainer Maria Rilke und Johannes R. Becher an Selbstauseinandersetzung grenzte.
In autobiografischen Texten und eingeschobenen Interviews erinnert sich Hans Richter an seine böhmischen Wurzeln und den gesellschaftlichen Aufbruch in der DDR, der ihn lange mit Hoffnung und zuletzt mit bitterer Enttäuschung erfüllte. Und Weggefährten – darunter neben Sigrid Damm auch Armin Müller und Günter Rücker – erinnern zudem schreibend an sein Lebenswerk.
Freilich faszinieren vor allem die erstmals aus dem Nachlass publizierten Texte, in denen Richter akribisch seinen »Existenz-Gründen« nachgeht. Die meisterhaft erzählte Kindheitsgeschichte »Mein 10. Geburtstag oder: Hitler kam, sprach und…« gewinnt fast Rilkesches Format. Die Widersprüche, die den Hochschullehrer der 60er- bis 80er-Jahre umtrieben, werden in den Interviews deutlich, in Sätzen wie: »Wollte ich mit Fühmanns Strenge gegen mich vorgehen, müsste ich mich für gescheitert erklären«, denen aber sofort nachgerufen wird, dass er lieber Brechts Herrn K. parodiere: »Ich hatte viel Mühe mit der Vorbereitung und Ausführung meiner Irrtümer, möchte aber meinen, nicht alle Mühen und alle Folgen seien sinnlos oder gar vom Übel gewesen«. Im Gegenteil, dieser zur rückhaltlosen Analyse wie auch zu heiterer Selbstironie fähige, mit sich und seiner Zeit Ringende, den zu erleben auch ich ein paar Jahre das Vergnügen hatte, hat Spuren hinterlassen – in seinen Texten über Literatur und Leben wie auch in der Germanistik. Und in diesem Lesebuch der besonderen Art.
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