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Dietmar Ebert
Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« / Thüringer Literaturrat e.V.
Gelesen von Dietmar Ebert
Ein außergewöhnliches literarisches Debüt
Gorch Maltzens erster eigener Band Sträuben. Erzählungen und Dialoge
Die Hauptsache ist, dass wir glücklich sind, auch wenn uns gerade nicht danach zumute ist.
(Gorch Maltzen)
Ein fulminanter Debütband ist anzuzeigen. Es ist der Band 47 der Edition Muschelkalk. André Schinkel hat ihn im Auftrag der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V. im Weimarer Wartburg-Verlag herausgegeben.
Sträuben, so heißt der schmale Band, der Erzählungen und Dialoge umfasst, und Gorch Maltzen sein Autor. Gorch Maltzen wurde 1987 in Heide (Holstein) geboren und studierte Italianistik in Hamburg. Er schreibt Erzählungen und dramatische Texte. Weimar und Thüringen sind seine Wahlheimat.
Mit Sträuben hat Gorch Maltzen ein starkes Debüt vorgelegt. Der Band ist eine kritische Spiegelung des Gegenwärtigen. Natürlich ist es interessant, was Gorch Maltzen erzählt, doch viel interessanter und spannender ist, wie er erzählt. Sein dreiteiliger dramatischer Text Sträuben ist an Samuel Beckett orientiert, nur die Entfremdungs- und Beschleunigungsspirale hat sich seither kräftig gedreht, und unsere Welt ist um vieles absurder geworden als die Becketts. Die logische Konsequenz wäre zu schweigen. Kann denn »äußere Realität« überhaupt noch in einen dramatischen Text Eingang finden? Doch, schon, z.B. in den Regie-Anweisungen: ˂Regen>, ˂Stille>, ˂Windrauschen> oder ˂Grillen zirpen>. Das Mutige und Witzige ist, wie Gorch Maltzen die Personen 1 und 2 dazu bringt, Dialoge über alles Mögliche zu führen. Sie sträuben sich, Figuren oder Charaktere zu werden, tragen nicht einmal mehr Namen und geben gestanzte Formulierungen von sich, Stereotype, die uns in den Medien immer wieder begegnen. Das Großartige an den Dialogen: Sie sind ohne Sinn und gerade darum voller Witz und Komik. Und noch etwas: Sie spielen zwar in einer Kunstgalerie, aber die kann überall und nirgends sein. Ort und Zeit, die Grundpfeiler der aristotelischen Dramatik, sind aus Maltzens dramatischen Texten entfernt worden. Wir befinden uns im Zwischenreich von »Überall« und »Nirgendwo«, von »Jederzeit« und »Niemals«. Dadurch fällt die Spannung zusammen und alles tritt mit allem in Verbindung, ohne einen Sinn zu ergeben. »Wie jetzt?« So mag der Leser fragen. »Keine Ahnung.« So der Rezensent. Doch so viel sei angemerkt: Indem der Autor Ort und Zeit aus seinen dramatischen Texten ausspart, indem er den Dialogen seiner Personen jeglichen Sinn verweigert, findet er starke literarische Mittel, um unsere Gegenwart kritisch zu durchleuchten. Zugleich entsteht eine Art Hallraum zwischen den Personen und ihrem Autor, und zugleich zwischen diesen und der Leserschaft, ein Raum für das Lachen über eine literarische Welt, die eine »äußere Realität« spiegelt, deren Zumutungen jedem denkenden Menschen das Lachen im Halse stecken bleiben lassen. Anders gesagt: Im Sträuben gegen die uns überlieferten Gesetzmäßigkeiten des dramatischen Aufbaus liegt der literarische Gewinn von Gorch Maltzens »Dialogen«. Doch vielleicht stimmt das alles gar nicht. Vielleicht muss man die Dialoge nur so oft lesen, bis man eins wird mit den Personen. Dann wäre das Nonsenskabinett perfekt, und nur noch die Regieanweisungen wären gültig:˂Ruhe>, ˂Pst>.
Doch Gorch Maltzen hat sich in seinem Debütband nicht nur als talentierter Dramatiker, sondern auch als begabter Autor der kleinen Prosa-Form vorgestellt. In Kurzgeschichten wie Der Bass muss ficken, Unser Ort. Nirgends, Wie man Pflanzen am Leben hält, Hypertension, Entinnerlicht, entgrenzt, entleert, Azolla, Funktionsrausch, Was passiert, wenn man in einen Vulkan springt, Fratzen, Der Kriegselefant und Nein, wird er nicht experimentiert Gorch Maltzen mit verschiedenen Formen des Erzählens und der Konstituierung von Erzählerinnen und Erzählern, die seine Phantasie-und Kunstprodukte sind. Auch wenn in der Ich- oder der Wir-Form erzählt wird, stets liegt eine feine Zwischenschicht zwischen dem Autor und den Erzählenden: ein seltsamer Resonanzboden für einen eigentümlichen, leicht bitteren Humor. Mehrmals sind in den Prosatexten eine in der »äußeren Realität« erfolglose Erzählerin oder ein erfolgloser Erzähler und ein Bruder, der Weg und Rezept zum Erfolg weiß und immer wieder gute Ratschläge gibt und deshalb nervt, miteinander verkoppelt. Was vor 100 Jahren noch als Widerspruch zwischen Bürger und Künstler gestaltet werden konnte, ist heute zum Gegensatz zwischen erfolgreichem Funktionieren und dem Bewahren kleiner Freiräume, vielleicht sogar Spleene gegen die Anforderungen der »äußeren Wirklichkeit« geworden. Gorch Maltzen schildert schonungslos eine Welt, in der die Schon- und Schutzräume immer kleiner werden, in der Verweigerung immer absurdere Züge annimmt und in der die scheinbar Erfolgreichen keine Chance mehr auf ein gewinnendes Leben haben.
Wie weit sich die Beschleunigungs- und Entfremdungsspirale bereits gedreht hat, zeigt der bitterböse Text Entinnerlicht, entgrenzt, entleert. Der Witz dieser elektronischen Botschaft besteht darin, dass deren Lesezeit 14 Minuten dauert. Dann wird von einem jungen Mann erzählt, der zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges seinen Bruder demütigt, quält und innerlich entleert, um ihn für die Taufe in einem Fluss vorzubereiten oder besser gesagt zuzurichten. In 14 Minuten Lesezeit werden Grausamkeits-und Wahn-Szenarien durchgespielt. Der Plot allerdings liegt außerhalb der Geschichte. Am Schluss des Textes heißt es: Dauer bis zur nächsten Dosis Eskapismus: x Minuten. Kunden, die diesen Text gekauft haben, kauften auch andere literarische Dienstleistungen.
Das muss man sich erst einmal trauen zu schreiben. Das ist literarisch frech, und eben deshalb gelingt Gorch Maltzen dieser Text.
Vielleicht verströmen seine Prosa-Texte etwas Kühles und Sprödes, vielleicht versagt sich der Autor jegliche Empathie gegenüber seinen Figuren, vielleicht hält er Mitleid ihnen gegenüber nicht für zeitgemäß, vielleicht kann er seinen Figuren ohne die Sympathie des Autors schärfere Konturen verleihen. Eins steht fest: Die Prosa-Texte Gorch Maltzens entfalten eine starke Wirkung. Ingo Schulze hat einmal in einem Interview gesagt: Wirklich ist, was wirkt. Ganz in diesem Sinne sind Gorch Maltzens Texte wirklich. Vielleicht sind es Figuren, wie der Priester, der nichts ausrichten kann, der Geschichtslehrer, der vom Krebs heimgesucht wird oder die Kinder, die ihren krebskranken Vater pflegen, vielleicht sind es diese Ohnmächtigen und Chancenlosen, die den Leser in ganz besonderer Weise anrühren, denn sie versuchen glücklich zu sein, auch wenn ihnen nicht gerade danach zumute ist.
Gorch Maltzens Debütband zeigt einen starken Dramatiker und einen nicht minder begabten Autor kleiner Geschichten. Gorch Maltzen ist auf der Suche nach den ihm gemäßen Sprach-und Ausdrucksformen. Seine ganz eigene Stimme ist bereits jetzt in der Thüringer Literaturlandschaft unüberhörbar.
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