…gegen die geistige Ödnis deutscher Provinz – Die Rudolstädter Jahre Harald Gerlachs
1 : Kirche in Volkstedt

Person

Harald Gerlach

Ort

Volkstedt

Themen

Von 1945 bis zum Ende der DDR

Gegenwart

Autor

Ulrich Kaufmann

Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projektes der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.

Harald Ger­lach
Schil­ler in Volkstedt

Vom Lieb­lings­sitz im Hang des
Mühl­bergs: rechterhand die Phantasie
malt sich Char­lot­tes Bettstatt,
jung­fräu­lich, ver­bor­gen hin­ter Schloß
und Stadtkirche;

       abseh­bar liegt
lin­ker­hand das auf­ge­zwungne Domizil
in buko­li­scher Idylle, die jeden
Gedan­ken, eh er auf­zu­flie­gen weiß,
unter kom­post­war­mer Für­sorge erstickt.

In Frank­reich, hört man, machen sie
Geschichte. Hier nur Porcellan
in bescheid­ner Manufactur.
Ich weiß, ich wollte. Aber
was? Die Not des Lei­bes treibt in
in Arme, die sich irgend­wann mir
öff­nen. Schleu­nige Flucht rät
der dar­bende Geist.

       Und nirgends
EIN WEG fort vom ver­hass­ten Sitz
im Hang des Mühl­bergs, unter demselben
Blau, über dem näm­li­chen Grün
gefan­gen im Sand­stein, tief genarbt
von aeo­li­scher Ero­sion. Fortdauernd.

(1991 /1998)

 

Das Gedicht »Schil­ler in Volks­tedt« ent­hält in Keim­form fast schon den Plan zu einer Wan­de­rung von Volks­tedt nach Rudol­stadt: Harald Ger­lach lebte von 1989–1991, also in der »Wende« – Zeit, in einer Volks­ted­ter Neu­bau­woh­nung, in der Breit­scheid­str. 117. Volks­tedt ist ein Rudol­städ­ter Vor­ort, der 1923 ein­ge­mein­det wurde. In der heu­ti­gen Breit­scheid­str. 98 fin­den sich Schrift­züge, die auf eine Por­zel­lan­ma­nu­fak­tur ver­wei­sen. Auch von ihr ist in obi­gem Gedicht die Rede.

Im übri­gen lässt Ger­lachs For­mu­lie­rung in der Ein­gangs­stro­phe, wonach sich »Char­lot­tes Bett­statt« »ver­bor­gen hin­ter Schloß und Stadt­kir­che« (Verse 3–5) befun­den habe, ver­mu­ten, dass er beim Schrei­ben noch den »Hei­ßen­hof«, das alte Domi­zil der Len­ge­felds, nahe der Lud­wigs­burg,  vor Augen hatte. Die Witwe Len­ge­feld mit ihren Töch­tern Caro­line und Char­lotte, Schil­lers spä­te­rer Ehe­frau, zog jedoch bereits 1776, somit zwölf Jahre bevor Fried­rich Schil­ler in die Saa­le­stadt kam, in das »Beul­witz­sche Haus«, das heu­tige »Schil­ler­haus«, ein.

Schil­lers ers­tes Quar­tier in Rudol­stadt war das zen­tral gele­gene Gast­haus »Gül­dene Gabel«, Eck­haus Schil­ler­straße 1. Eine Tafel erin­nert daran. Wenig spä­ter konnte Char­lotte von Len­ge­feld für Schil­ler bei dem Leh­rer und Kan­tor Unbe­haun ein Quar­tier in Volks­tedt besor­gen, das im Zwei­ten Welt­krieg ver­nich­tet wurde. Eine Gedenk­ta­fel in der heu­ti­gen Breit­scheid­str. 76 erin­nert an Schil­ler. Der Zufall wollte es,  dass Harald Ger­lach fast 200 Jahre spä­ter in der glei­chen Straße wohnte.

In sei­ner Rudol­städ­ter Zeit hat Fried­rich Schil­ler an der Stu­die »Geschichte des Abfalls der Nie­der­lande«, an dem Roman »Der Geis­ter­se­her«, an den Brie­fen zu »Don Car­los« sowie an den Gedich­ten »Die Göt­ter Grie­chen­lands« und »Die Künst­ler« gearbeitet.

Als Harald Ger­lach 1994 in Wei­mar den Ehren­preis der Deut­schen Schil­ler­stif­tung ent­ge­gen­neh­men konnte, sagte er: »Wer wie Schil­ler eine Zeit in Volks­tedt gelebt hat – und ich weiß, wovon ich rede – , dem drängt sich eine Ahnung auf, wel­cher Kraft­auf­wand nötig sein mag, gegen die geis­tige Ödnis deut­scher Pro­vinz einen Ent­wurf wie das große Gedicht ‚Die Künst­ler’ zu setzen.«

 …gegen die geistige Ödnis deutscher Provinz – Die Rudolstädter Jahre Harald Gerlachs:

  1. Kirche in Volkstedt
  2. Schillershöhe
  3. Die unaufgeregte Revolution der Provinz
  4. Theater Rudolstadt
  5. Am Saaldamm 9 – Wohnung von Harald Gerlach
  6. Schillerhaus Rudolstadt
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