Personen
Orte
Thema
Christoph Schmitz-Scholemann
Thüringer Literaturrat e.V.
Erinnerungen an Hans Arnfrid Astel (* 9. Juli 1933 in München; † 12. März 2018 in Trier)
Von Christoph Schmitz-Scholemann
DAS Minzwölkchen
weht über die Mauer
auf dem Weg zum Omnibus.
Hans Arnfrid Astel
Sand am Meer, 6/2007
Kennengelernt habe ich Arnfrid Astel im Omnibus auf der Fahrt von Großkochberg nach Rudolstadt während der P.E.N.-Tagung Anfang Mai 2012. Die schlanke Erscheinung, die gepflegte Nonchalance seiner Kleidung, die fröhlich in die Stirn fallenden blonden Haare, der Ausdruck brüderlicher Gesprächsbereitschaft in Mimik und Gestik – das alles war mir schon bei vorausgehenden Tagungen aufgefallen, ohne dass sich ein Kontakt ergeben hätte. Arnfrid Astel war für mich vor allem ein großer Name, regelrecht ein Begriff, und zwar aus meiner Jugend in der Achtundsechzigerzeit und noch lange danach. Manche seiner Liebesgedichte kannte man auswendig, besonders eines:
KURZES LIEBESGEDICHT
Weißt du noch,
wie wir auf dem Teppich geblieben sind?
Hoch im Kurs standen natürlich auch die politisch scharfen, glasklaren Kurzgedichte, unverbrämte, antiromantische, sachliche, parteiische und doch immer mit einem überraschenden gedanklichen Dreh ausgestattete Lyrik.
TELEFONÜBERWACHUNG
Der »Verfassungsschutz«
überwacht meine Gespräche.
Mit eigenen Ohren hört er:
Ich mißtraue einem Staat,
der mich bespitzelt.
Das kommt ihm verdächtig vor.
Jedenfalls war die Luft frisch und würzig, während wir vom Schloss zum Bus gingen und schließlich nebeneinander zu sitzen kamen. Von der schönen Berg- und Tallandschaft um uns her war aufgrund fortgeschrittener Abend-Dunkelheit nicht viel zu sehen, und Arnfrid Astel begann mich auszufragen, bevor ich Zeit hatte, meiner Verlegenheit Raum zu geben. Wir plauderten munter bis Rudolstadt und danach noch weiter in einer Bierkneipe. Hier ist einiges von dem, was ich bei dieser und dann vielen weiteren Gelegenheiten über ihn erfuhr:
Bei Begegnungen mit Schriftstellern passiert es mir nicht oft, dass sie sich mit mir in Gespräche über meinen Beruf als Arbeitsrichter verwickeln lassen. Das war bei Arnfrid anders und es hatte folgende Bewandtnis damit: Nach seinem Studium der Biologie und der Literatur in Heidelberg und ein paar kleineren Umwegen wurde Astel 1967/68 Literaturredakteur beim Saarländischen Rundfunk. Diese „Anstalt“ war in jenen Tagen so fest in den Händen der – damals noch stramm konservativen – CDU, dass man sich schon wundern muss, wie es kommen konnte, dass einer wie Arnfrid Astel überhaupt eingestellt wurde. Und es dauerte auch gar nicht lange, bis der Intendant des Saarländischen Rundfunks, ein gewisser Dr. Franz Mai, das Gefühl bekam, der Sender habe sich eine „linke Bazille“ eingefangen. Gleich zweimal, im Juni und im Dezember 1971, kündigte er dem Redakteur Astel fristlos: Er habe der Presse ein internes Schreiben des Intendanten zugespielt, ohne Nebentätigkeitsgenehmigung in einem Gefängnis Gedichte vorgelesen, sich auf einer CDU-Wahlversammlung unpassend verhalten und obendrein noch ein verfassungswidriges Gedicht mit dem Titel Auto-Mobil-Machung veröffentlicht.
AUTO-MOBIL-MACHUNG
Nur Lastwagen sollen vorerst eingezogen werden
bei der Mobilmachungsübung 1972,
dreihundert bis fünfhundert private Kraftfahrzeuge.
Nimmt sich da die gelegentliche Enteignung
eines BMW-Personenkraftwagens
durch die Baader-Meinhof-Gruppe
nicht vergleichsweise harmlos aus?
Wer ist nun also »Staatsfeind Nr. 1«,
Verteidigungsminister Schmidt
oder Ulrike Meinhof (bzw. Andreas Baader)?
Der Prozess, den Arnfrid Astel gegen die Kündigungen anstrengte, ging durch alle drei Instanzen und fand ein großes Echo in der deutschen Presse. Astel wurde berühmt. Und er obsiegte: Am 7. Dezember 1972 erklärte das damals noch in Kassel sitzende Bundesarbeitsgericht (Aktenzeichen: 2 AZR 235/72) die Kündigungen für unwirksam. Das Urteil kann man getrost als Meilenstein auf dem Weg zu einer grundrechtsbasierten Praxis der Arbeitsbeziehungen bezeichnen. Endlich war es „amtlich“, dass Arbeitnehmer nicht mehr, wie man das lange nannte, ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit an den Werkstoren abzugeben hatten. Astel, der zugleich mit der Übergabe der ersten Kündigung vom Schreibtisch weg durch zwei Anstalts-Mitarbeiter persönlich zum Parkplatz eskortiert worden war, kehrte alsbald nach Urteilsverkündung in das schön auf einem Berg oberhalb von Saarbrücken gelegene Funkhaus zurück, ein modern umbautes und umgebautes klassizistisches Schloss. Dort setzte er sich, wie er mir erzählte, unangemeldet in eine gerade laufende Redaktionskonferenz. Astels Vertrauen in den Rechtsstaat erfuhr durch den Prozessausgang eine so maßgebliche Stärkung, dass er bald selbst auf der Richterbank Platz nahm: Als ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht Saarbrücken.
Als Redakteur blieb er beim Saarländischen Rundfunk in Amt und Würden bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1998. Im Funkhaus genoss er, vielleicht, weil sich kein Vorgesetzter mehr an ihm die Finger verbrennen wollte, alle denkbaren Freiheiten. Davon profitierte eine ganze Generation von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, denen er in seinem Programm – wie soll man sagen? – Unterschlupf, Zuflucht, Bühne bot. Bis heute berühmt ist die von ihm entwickelte besondere Art der Präsentation in der Sendereihe „Literatur im Gespräch“. Astel, stets ohne schriftliches Konzept antretend, ließ darin die literarischen Größen von Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger, Wulf Kirsten bis Wilhelm Genazino zu Wort kommen. Mit Spannung verfolgt der Hörer, wie sie mit Astel reden, zögern, ja manchmal sogar, für das Radio eigentlich eine Katastrophe, sich hörbar schweigend mit ihm unterhalten. Die Sendungen wurden, wie man hörte, ungeschnitten ausgestrahlt, „naturtrüb“ wie frisch gepresster Apfelsaft.
Astels arbeitsrechtliche Erfahrungen waren für mich natürlich von professionellem Interesse – es gibt nicht viele Menschen, die nach einem gewonnenen Kündigungsschutzprozess tatsächlich an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren, die meisten lassen sich abfinden. Mich brachte das Omnibus-Gespräch auf die Idee, Astel zu uns nach Hause einzuladen und zu bitten, nicht nur aus seinen Gedichten zu lesen, sondern auch seine Prozess-Geschichte vor einem Kreis literarischer und juristischer Freunde zu erzählen. Das geschah dann auch bald. Die Einladungskarte versahen wir mit einem der ganz kurzen Astel-Gedichte, über die man so schrecklich schön lange nachdenken kann:
Die Amsel fliegt auf.
Der Zweig winkt ihr nach.
Es wurde ein intensiver Abend Anfang Dezember 2012 in unserer Weimarer Wohnung, der auch vielen meiner Freunde bis heute im Gedächtnis ist. Zumal sich zwei Gäste einfanden, die mit Arnfrid Astel schon seit einem halben Jahrhundert in Kontakt waren: Die Lyriker Wulf Kirsten aus Weimar und Siegfried Schröpfer aus Erfurt. Astel hatte noch während seines Studiums in Heidelberg eine literarische Zeitschrift gegründet, die in der Geschichte der deutschen Nachkriegsdichtung überaus einflussreichen „Lyrischen Hefte“. In ihnen veröffentlichte er hochrangige moderne Lyrik. Viele deutschsprachige Dichterinnen und Dichter, die später berühmt wurden, fanden sich hier zum ersten Mal gewürdigt und vor allem gedruckt. Einer von ihnen war Mendel Moreno, der seine Texte aus dem anderen, von der Bundesrepublik mit feindseligen Mauern und Stacheldrähten getrennten Teil Deutschlands an Arnfrid Astel geschickt hatte. Der Name „Mendel Moreno“ war ein Pseudonym. Dahinter verbarg sich kein Geringerer als der Anfang der 60er Jahre noch weithin unbekannte sächsische Lyriker Wulf Kirsten, der heute in Weimar lebt. An dem Abend bei uns zu Hause gab er auch preis, dass Astel an einem seiner Gedichte ein kleines bißchen mitgeschrieben habe. Der andere Dichter war Siegfried Schröpfer aus Erfurt, den Arnfrid mit augenzwinkernder Beharrlichkeit „Landfried“ nannte. Auch seine Gedichte machte Astel in den Lyrischen Heften dem westlichen Publikum zugänglich.
Am nächsten Abend gingen meine Frau und ich mit Astel durch Weimar spazieren. Es war eine helle, sehr milde Vollmondnacht. Wir streiften durch den Park an der Ilm, plauderten im Mondschatten unterhalb des Römischen Hauses, oberhalb der Ilmwiesen, die hier den schönen Namen „Kalte Küche“ tragen, ganz nah an der kleinen künstlichen Quelle, an der auf einer Tafel das berühmte Goethe-Gedicht angebracht ist:
Die ihr Felsen und Bäume bewohnt, o heilsame Nymphen,
Gebet jeglichem gern, was er im Stillen begehrt!
Schaffet dem Traurigen Trost, dem Zweifelhaften Belehrung,
Und dem Liebenden gönnt, dass ihm begegne sein Glück.
Denn euch gaben die Götter, was sie den Menschen versagten:
Jeglichem, der euch vertraut, tröstlich und hülfreich zu sein.
Astel erzählte viel an dem Abend, vor allem von seiner Kindheit in Weimar und von dem Tag, an dem diese Kindheit ihr jähes Ende fand, im Frühjahr 1945, als sein Vater sich das Leben nahm.
In der Zeit von 2012 bis 2017 habe ich Arnfrid Astel bei allen P.E.N.-Tagungen gesehen, wir haben uns des öfteren in Saarbrücken und Trier und in der Eifel getroffen. Ich erinnere mich an ein gemeinsames Frühstück in Marburg, bei dem er mich auf die in der Tat überraschend bunten Lichtreflexe aufmerksam machte, die sich durch den schrägen Einfall der Frühsonne auf dem staubigen Fensterglas des zur Straße gelegenen Frühstücksraumes zeigten. Ich erinnere mich an diverse Steine, die er bei Gruppen-Spaziergängen (stets am Ende der Karawane) von der Erde aufhob und auf deren Besonderheiten er mich hinwies. Er hatte dafür immer einen Fachbegriff parat. In Marburg entwichen wir auf Arnfrids Veranlassung einer organisierten Stadtführung wegen des aufdringlich-witzigen Tonfalls der Führerin und besuchten auf eigene Faust das Schloss, wo er mir eine bestimmte Art der Herstellung von bunten Vasen erklärte. Er kannte auch den dafür gültigen Fachbegriff. Und ich erinnere mich an ein sehr langes Gespräch in Magdeburg. Wir gingen am Ufer der in der Sonne blinkenden Elbe spazieren, sprachen über familiäre Angelegenheiten beiderseits, auch über Schatten, die sich über Lebenswege legen – Astels ältester Sohn Hans hatte sich 1985 das Leben genommen; seitdem trug der Vater auch den Namen seines Sohnes und nannte sich Hans Arnfrid Astel. Und doch kamen dann Sätze, die sich mir einprägten: „Bei all dem bin ich, so wie ich heute lebe, ein glücklicher Mensch, so sonderbar das klingt, ich lebe sehr glücklich.“ Am 1. November letzten Jahres bekam ich eine Mail mit Bild, auf dem Arnfrid zwischen Weinbergen in der Sonne stand und nach überstandenem Zahnarzttermin lächelte. „Inzwischen unternehmen wir schon wieder wunderbar herbstliche Spaziergänge in den Weinbergen an Saar und Mosel.“
Von 2013 bis 2017 verband uns eine Zusammenarbeit, die sich auch aus der Tatsache ergab, dass Arnfrid Astel zwar in München geboren, aber mit seiner Familie schon im Jahr seiner Geburt nach Weimar gekommen war und hier bis 1945 gelebt hatte. Wulf Kirsten entdeckte 2014, als Arnfrids Elternhaus in Weimar renoviert wurde, ein Fensterblech, in das die Astelkinder in den 30er/40er Jahren – nicht unbedingt zitierfähige – Worte eingeritzt hatten, die man noch entziffern konnte. Auch in Astels Gedichten finden sich zahlreiche Spuren seiner Weimarer Kindheit, nicht nur solche, die sich auf die stark nationalsozialistische Prägung des Vaters beziehen. Man gebe auf seiner Webseite „Sand am Meer“ nur das Stichwort „Weimar“ ein, und man findet elf Treffer, weitere zu Erfurt, Arnstadt, Jena – und das sind nur die der algorithmisch begrenzten Intelligenz der Suchmaschine zugänglichen expliziten Erwähnungen.
OSTKONTAKTE
Als mein Freund kürzlich
wieder nach Weimar fuhr,
bat ich ihn,
mir den Baum zu fotografieren,
auf dem wir als Kinder
Burgen gebaut hatten.
Er brachte mir
eine Fotografie mit,
darauf waren Kinder zu sehen,
die auf unserem Baum
eine Burg bauten.
Dies Gedicht schrieb Astel in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es wurde am 13. Juni 2015 mit einem Kommentar aus meiner Feder in der größten Thüringer Tageszeitung, der „Thüringer Allgemeinen“ gedruckt. Gedicht und Kommentar waren Teil eines Projekts des Thüringer Literaturrates, dessen Vorsitzender ich seit 2012 bin. Drei Jahre lang erschien Woche für Woche ein für Thüringen in irgendeiner Hinsicht wichtiges Gedicht. Arnfrid Astel war nicht nur mit den „Ostkontakten“ beteiligt, sondern auch mit drei Kommentaren, die er uns schenkte und die man ebenfalls auf seiner Webseite nachlesen kann, zu Gedichten von Michael Buselmeier, von mir und von
Siegfried („Landfried“) Schröpfer:
FRAGE AN EINEN GEDANKENEIGENTÜMER
Du ängstlich
auf dem Eigentum
an deinen Gedanken
Bestehender, warum
behältst du
deine Gedanken
nicht für dich?
Mein derzeit liebstes Astel-Gedicht mit Thüringer Grundierung ist eines, in dem kein Ortsname vorkommt, oder wenn, dann nur versteckt, nämlich in dem Wort „Balsamine“. Die „Balsamine“ ist, einerseits, eine Pflanze mit Migrationshintergrund, irgendwie hat sie es unter Verletzung aller Grenzregime geschafft, sich selbst aus Indien nach Deutschland einzuschleppen. Sie ist besonders berüchtigt für ihren ungehemmten Fortpflanzungstrieb und bedient sich dabei gewisser unfairer Tricks zum Schaden der biederen ortsfesten Pflanzen-Population, wie man bei Wikipedia nachlesen kann („durch einen Schleudermechanismus, der schon durch Regentropfen ausgelöst werden kann, schleudern die Früchte ihre Samen bis zu sieben Meter weit weg (Saftdruckstreuer“). Arnfrid Astel benutzt für diese lebenspendende Zauberkraft den Fachausdruck Turgor: „ein Druck von innen“.
INDISCHES SPRINGKRAUT
Wer bügelt die Blusen
der Balsamine?
Es ist der Turgor,
ein Druck von innen,
und doch kein Busen.
Andererseits, das muss noch nachgetragen werden, ist „Balsamine“ auch der Name eines seit Generationen berühmten Waldgasthauses in der Nähe von Weimar, wo menschliche Hummeln jede Menge süße Speisen und angenehm betäubende Getränke zu sich nehmen können.
WEIMAR. Einkehr im
Wirtshaus zur Balsamine.
Wie eine Hummel.
Ende 2016 reisten zwei Thüringer Schriftsteller, Wulf Kirsten und Christian Rosenau, zu einer Lesung nach Saarbrücken ins Künstlerhaus. Organisiert hatten die Reise Jens Kirsten vom Thüringer Literaturrat und Klaus Behringer vom Saarländischen Schriftstellerverband. Arnfrid Astel, mit zwei Hickory-Nüssen in den Händen spielend, moderierte den Abend, der vom Saarländischen Rundfunk (Dank an Ralph Schock!) aufgenommen und etwas später gesendet wurde. Nach der Lesung saßen wir lange in einem italienischen Restaurant beisammen, es wurde früher Morgen und es wurden verdächtig bunte Schnäpse serviert, ehe wir die wahrhaft gastliche Stätte verließen und der 83jährige Arnfrid Astel sich von dem 82jährigen Wulf Kirsten freundschaftlichst verabschiedete. Drei Gedichte gibt es von Astel über Kirsten, eines davon ist dies:
TANKA FÜR WULF KIRSTEN
zum achtzigsten Geburtstag
Irdene Schüsseln
aus der Erde bei Meißen
(nicht gleich Porzellan)
auszulöffeln lebenslang
die eingebrockte Suppe.
Die Gespräche mit Arnfrid wurden in den letzten beiden Jahren häufiger und länger. Wenn wir über Literatur und vor allem Lyrik sprachen, war ich als fröhlicher Dilettant natürlich der – mit immer neuem Gewinn – Zuhörende. Oft empfahl Arnfrid den englischen Lyriker und Jesuiten Gerard Manley Hopkins zur Lektüre. Über kleinere Internet-Recherchen kam ich aber nicht hinaus. Als Wulf Kirsten mich am 13. März anrief und mir sagte, dass Arnfrid am Vortag in Trier plötzlich gestorben war, ergriff mich eine tiefe, ungläubige und sehr, sehr traurige Bestürzung. Es dauerte einige Wochen, bis ich mich wieder auf seine Webseite traute. Dort fand ich seinen 1963 geschriebenen großen Essay über Gerard Manley Hopkins (*28. Juli 1844 in Stratford bei London; †8. Juni 1889 in Dublin), über „Inkraft“ und „Inbild“ und die Wiederbelebung des altenglischen „Sprungrhythmus“ mit dem Ziel, Gedichten eine neue Lebendigkeit zu geben. Nach der Lektüre beginne ich zu ahnen, welchen Sinn Arnfrid Astels unbeirrbar liebevoller Blick auf das Individuelle der Menschen und Dinge hatte. Für Hopkins, schreibt Astel, sei es darum gegangen, „im Individuellen und Einzelnen die höhere Form des Daseins gegenüber dem Allgemeinen“ zu würdigen und zu feiern. „Alle Dinge“ so zitiert Astel ihn, „alle Dinge sind … geladen mit Liebe, sind geladen mit Gott, und wenn wir es nur verstehen, sie richtig anzurühren, sprühen sie Funken und fangen Feuer, geben Tropfen ab und fließen über, tönen und erzählen von ihm.“
Im Januar 2018 erzählte Arnfrid, der Kultusminister des Saarlandes habe ihn angerufen und gefragt, ob er bereit sei, die Ehrenprofessur des Saarlandes anzunehmen. Arnfrid war sichtlich erfreut und sagte mit der ihm eigenen Ironie, er werde sogar persönlich an der Verleihung teilnehmen, allerdings nur „im Erlebensfall“. Dieser Fall trat nicht ein. Am 24. März 2018 erschien die Anzeige mit der Todesnachricht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit den Namen seiner Lieben. Darüber sein kleines Gedicht:
Die Amsel fliegt auf.
Der Zweig winkt ihr nach.
Die Ehrenprofessur des Saarlandes wurde Arnfrid Astel dennoch verliehen, posthum am 13. April 2018 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung im Funkhaus Halberg des Saarländischen Rundfunks durch den Kultusminister des Saarlands, Ulrich Commercon. Die Totenrede hielt Sibylle Knauss: „Ecce poeta – Siehe, ein Dichter!“ Auf den Stühlen lagen Karten mit einem Gedicht von Arnfrid Astel.
EWIG & DREI TAGE
Ich war am Leben, ach, ich bin es noch.
Wenn du mich liest, dann lebe ich in dir.
Sei du der Himmel, der ich anderen war,
daß auch im Himmel du nicht untergehst,
solang die Menschheit noch am Ewigen Leben.
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2024 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/erinnerungen-an-hans-arnfrid-astel-9-juli-1933-in-muenchen-12-maerz-2018-in-trier/]