Ein Besucher Jenas begegnete 1795 auf dem Markte einem langen, langhalsigen Manne mit gesenktem Kopf, die Füße in Stulpenstiefel gesteckt, den Leib mit einem grauen Oberrock mehr behangen als bekleidet. Es war Schiller. Der Beruf des Besuchers und sein Unternehmen hatten ihn bald in dessen Hause eingeführt und ihm den freundlichsten Empfang bereitet.
Ihm erschien Schillers Lebensweise ganz und gar nicht natürlich. Er stand sehr spät, oft erst gegen Mittag, zuweilen sogar erst nachmittags vom Schlafe auf. Dann trank er, anstatt zu speisen, eine Tasse Schokolade, und arbeitete bis zum Abend, und, wenn er allein war, bis tief in die Nacht. Nicht selten aber empfing er auch abends Gesellschaft bei sich zu Hause, und zwar die auserlesenste. Diese blieb beim einfachen Tee und Butterbrot, im lebendigsten Gespräche, oft bis gegen Mitternacht beisammen. Schiller nahm am geistigen Verkehre hier den lebhaftesten, aber immer höchst bescheidenen Antheil. Wenn dann die Gäste sich in sinkender Nacht verloren hatten, setzte er sich erst mit seiner Frau zu Tische und aß auf gut Schwäbisch zu Abend. Manchmal aber überfiel seine Natur auch mitten im Gespräche der Schlaf, und zwar ohne alle Vorboten von Schläfrigkeit; er sank im Stuhle plötzlich zusammen und musste von den Seinigen schlafend zu Bette getragen werden.
Schiller hatte das Glück, 1795 vom Markt in das Haus des angesehenen Theologen Johann Jakob Griesbach mit seiner Familie umziehen zu können. Wenn Schiller aus seinen Fenstern im oberen Stock blickte, konnte er bei Sonnenuntergang den rötlich strahlenden Gipfel des Jenzigs über den Löbdergraben, die Saale und Wenigenjena hinweg erblicken.
Das Wohnhaus steht heute nicht mehr. Es versank im Bombenhagel des zweiten Weltkriegs. Übrig geblieben ist nur der Anbau des Gebäudes, in dem Schiller am 26. Mai 1789 seine legendäre Jenaer Antrittsvorlesung »Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?« hielt. Eigentlich sollte Schiller am anderen Ende der Stadt in Reinholds Hörsaal lesen. Aber der Andrang der Studentenschaft war so groß, dass man ins Griesbachsche Auditorium, das dreihundert bis vierhundert Zuhörer fassen konnte, umziehen musste.
Schiller berichtet selbst in einem Brief vom 28. Mai 1789 an Gottfried Körner darüber: Nun gab‘s das lustigste Schauspiel. Alles stürzte hinaus und in einem hellen Zug die Johannisstraße hinunter, die eine der längsten in Jena, von Studenten ganz besät war. Weil sie liefen, was sie konnten, um in Griesbachs Auditorium einen guten Platz zu bekommen, so kam die Straße in Alarme, und alles an den Fenstern in Bewegung. Man glaubte anfangs, es wäre Feuerlärm und am Schloss kam die Wache in Bewegung. Was ist‘s denn? Was gibt’s denn? Hieß es überall. Da rief man denn! Der neue Professor wird lesen.
Abb. 1: unbekannter Künstler, um 1900 / Abb. 2, 3: Foto: Wolfgang Haak.
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