Person
Orte
Thema
Schriftsteller der Frühen Neuzeit
Sylvia Weigelt
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Die UNESCO-geschützte Wartburg gilt als »Zentralstern der thüringischen Geschichte«. Im Mittelalter begründeten der Kunstmäzen Hermann I. und das legendäre Wirken der heiligen Elisabeth ihren Ruhm. Am Beginn der Neuzeit aber machte sie Martin Luther mit seiner sprachgewaltigen Übersetzung des Neuen Testaments weltberühmt.
Die Lutherstube in der vorderen Burg der Vogtei, Luthers Arbeitszimmer, ist weitgehend authentisch erhalten. Der Ofen ist zwar neueren Datums und der Originaltisch fiel Souvenirjägern zum Opfer, doch der jetzige Tisch kommt aus dem Lutherstammhaus in Möhra, wo Luther wohl öfter bei den Großeltern daran gesessen haben wird. Den sich stets erneuernden Tintenfleck an der Wand jedoch, Zeuge des legendären Wurfs mit dem Tintenfass gegen die Anfechtungen des Teufels, wird man eher kritisch betrachten. Zustimmung jedoch dürften jene erfahren, die meinen, Luther sei von der gewaltigen Burganlage so beeindruckt gewesen, dass sie ihm Anregung zu seinem Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« war.
Wie kam Luther auf die Wartburg und wie lebte er hier?
Nachdem sich Luther auf dem Reichstag zu Worms widerständig gezeigt hatte und nun für vogelfrei erklärt worden war (Kirchenbann), fürchtete man zu Recht um sein Leben. Auf der Rückreise predigte er in Hersfeld und in der Georgenkirche zu Eisenach, danach machte er sich mit seinen Begleitern auf den Rückweg nach Wittenberg. Man hatte offenbar nicht den kürzesten Weg durch das Nikolaitor über Gotha-Erfurt genommen, sondern war auf den Weg über den Rennsteig ausgewichen. Zwischen Altenstein und dem Steinbach wurde er dann »überfallen«. Mit verbunden Augen ging es im Zick-Zack-Kurs auf die Wartburg in kursächsische Sicherheit. Die Öffentlichkeit sollte glauben, Luther sei tot oder zumindest entführt. Dann würde man ihm nicht weiter nachstellen. In einem geheimen Brief an Melanchthon schrieb Luther aber, wichtig sei, dass man wisse, er lebe noch, fürchtete er doch um den Fortgang der Reformbewegung, sollte man ihn tatsächlich für tot halten. Mit seinen Wittenberger Mitstreitern gab es trotz Geheimhaltung eine rege Korrespondenz.
Am späten Abend des 4. Mai 1521 kam Luther auf die Burg, auf der er etwa 300 Tage als »Junker Jörg« verbrachte, mit vollem Haar und Bart und weltlich gekleidet. Die Zeit im »Reich der Vögel«, der »Einöde«, war alles andere als erquicklich. Die Burg war verfallen und die Notbesatzung von maximal sieben Mann bot alles andere als erquickende Gespräche. »Ich sitze hier als der müßigste und kläglichste Mensch den ganzen Tag«, schrieb er, er lese aber die griechische und hebräische Bibel. Mehrfach geht er heimlich in die Stadt hinunter. Einmal nimmt er mindestens an einer Jagd teil.
Die ungewohnte Einsamkeit trägt aber literarische Früchte: Er verfasst verschiedene Schriften, die bekannteste ist die »Wartburgpostille«, eine Sammlung von 24 Musterpredigten für unzulänglich vorbereitete und ausgebildete Geistliche«.
Auch als er 1530 mehrere Monate auf der Veste Coburg zubringen muss, wird er literarisch tätig; denn in dieser Zeit überträgt er die Äsopschen Fabeln (Feldmaus und Stadtmaus, Fuchs und Storch …) nach der Übersetzung Steinhöwels in die uns heute noch immer geläufige Form. – »Jedermann, wes Standes er auch sei, lustig und dienstlich zu lesen« (Luther im Vorwort).
Auf Anraten Melanchthons beginnt Luther im Herbst 1521 mit der Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche. Konzentriert arbeitet er zehn oder elf Wochen bis zur Fertigstellung, am Ende waren es 222 Blätter. Als Vorlage diente ihm ein Exemplar der griechischen Bibel des Erasmus von Rotterdam, zusammen mit dessen eigener lateinischen Übersetzung sowie der Vulgata. Luthers Übersetzung erschien im September 1522 (als »Septembertestament« zur Leipziger Herbstmesse, 3000 Stück, mit 21 großformatigen Holzschnitten Cranachs, 12 Nachdrucke 1522!). Dass mit dieser Übersetzung auch wahrhaft »höllische Qualen« verbunden waren, lesen wir mehrfach. Luther träumt schlecht, fühlt sich von Teufeln verfolgt, den er »mit Tinte bekämpft«. Daraus wird dann der berühmte Tintenklecks in seinem Zimmer! Der Glaube an Teufel aber war bei ihm ganz real, wie u. a. seine Briefe bezeugen.
Wieder in Wittenberg, machte er sich mit einem ganzen Stab von Experten an die Übersetzung des Alten Testaments. 1523 erschien dessen erste Teilübersetzung. NT und AT (Teil) erlebten bis 1525 bereits 22 autorisierte Auflagen und 110 Nachdrucke. Man geht davon aus, dass rund ein Drittel aller lesekundigen Deutschen dieses Buch besaß. 1534 folgte die Übersetzung des übrigen Alten Testaments. Zusammen mit den Apokryphen bilden Altes und Neues Testament die berühmte Lutherbibel.
Zwar gab es vorher schon 14 hochdeutsche und vier niederdeutsche gedruckte Bibelausgaben, doch waren diese Übersetzungen durch ihr »gestelztes« Deutsch für das einfache Volk schwer verständlich. Zudem basierten sie auf der Vulgata, der die griechische Septuaginta zugrunde lag: Sie hatten also zuvor mindestens zwei Übersetzungsschritte hinter sich. Luther dagegen bemühte sich wie die Humanisten um eine möglichst direkte Übersetzung der hebräischen und griechischen Urtexte.
Er übersetzte weniger wörtlich, sondern versuchte, biblische Aussagen nach ihrem Wortsinn ins Deutsche zu übertragen und sie jedermann verständlich zu machen. Dafür schaute er »dem Volk aufs Maul«. Seine kräftige, bilderreiche und allgemein verständliche Ausdrucksweise wirkte stil- und sprachbildend für Jahrhunderte. Die Sprache der Lutherbibel lässt das Ostmitteldeutsche, in dem nord- und süddeutsche Dialekte schon verschmolzen waren, zum Grundpfeiler des Hochdeutschen werden. Protestanten verwenden die Lutherbibel nach mehreren revidierten Neuauflagen bis heute; die bislang letzte Revision stammt von 1984.
»Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darüber befragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und danach dolmetschen. So verstehen sie es denn und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet« (Luther, »Sendbrief vom Dolmetschen«, 1530).
Wortschöpfungen aus der Lutherbibel:
Redewendungen:
Sprichwörter:
Quellen:
Abb. 1: Foto: Sylvia Weigelt / Abb. 2: Foto: Jens-Fietje Dwars.
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2025 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/dem-volk-aufs-maul-geschaut-luther-in-eisenach/die-wartburg/]