Thema
Dr. Frank Simon-Ritz
Creative Commons BY-NC-SA / Erstdruck: Thüringische Landeszeitung, 6. April 2017, S. 3.
Der Prozess der Digitalisierung fast aller Lebensbereiche hat längst auch das Buch und das Lesen erfasst. Es gibt Zeitgenossen – auch kluge und gebildete Menschen – die glauben, es komme jetzt darauf an, die Welt des Papiers gegen die Welt des Computers zu verteidigen. Autoren, Leser, Verlage und auch Bibliotheken werden in dieser Perspektive zu einer Art Bollwerk gegen die herandrängenden Horden des Digitalen.
Je länger ich diese Debatte verfolge, desto mehr verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass es sich dabei lediglich um eine Scheindebatte handelt. Ist es wirklich so, dass der heilen Welt der Print-Medien die unheildrohende Welt des Digitalen gegenübersteht? Ist es nicht vielmehr so, dass das, was Bücher erst zu Büchern macht, sich auf einer ganz anderen Ebene »ereignet« als auf der Ebene des Datenträgers? Kommt es in Büchern nicht eher auf den Text an – und ist der Text nicht etwas, was sozusagen im Zusammensetzen der Buchstaben und Wörter im Kopf des Lesers erst entsteht? Über diese und ähnliche Fragen wollen wir uns bei der Podiumsdiskussion am 7. April in Weimar verständigen.
Zu den nicht wegzudiskutierenden Vorzügen des Digitalen gehören seine leichte Verfügbarkeit und Zugänglichkeit sowie die nachgerade unerschöpfliche Speicherfähigkeit. Überhaupt scheint »Zugang« ein Schlüsselwort der aktuellen Debatten zu sein. In seinem bereits im Jahr 2000 erschienenen Buch The Age of Access hat es der amerikanische Sozialwissenschaftler und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin auf einen einfachen Nenner gebracht: „Im kommenden Zeitalter treten Netzwerke an die Stelle der Märkte, und aus dem Streben nach Eigentum wird Streben nach Zugang, nach Zugriff auf das, was diese Netzwerke zu bieten haben.“
Zu den in Netzwerken angebotenen Inhalten gehören zunehmend auch Bücher und Texte. Dabei ist das Elektronische fragiler, luftiger, beweglicher als das Gedruckte. Zugleich bietet das E‑Book weit mehr Optionen, als nur die digitale Variante eines Druckwerks zu sein. Sofern man es ernstnimmt, hat es das Potenzial zur Multimedialität und zur mehrschichtigen Strukturierung – genauso wie das Internet. Ein Medizinlehrbuch beispielsweise kann Vertiefungsebenen anbieten, etwa indem es dem User neben neurologischen Fachtexten ein plastisches 3D-Modell unseres Gehirns oder eine OP-Technik per Video demonstriert.
Daneben gibt es selbstverständlich Bereiche, in denen das liebevoll gedruckte, aufwändig gebundene, vielleicht mit Lesebändchen versehene Buch weiterhin bestehen wird. Zumindest für diese Bereiche behält Robert Gernhardt zweifellos recht, der sein Gedicht »Das Buch« im Jahr 2002 mit der optimistischen Zeile ausklingen ließ: »Ums Buch ist mir nicht bange …« Ansonsten kann man sich gerade bei Gernhardt nie sicher sein, wie doppelbödig das nun wieder gemeint ist.
Der Autor ist Direktor der Universitätsbibliothek der Bauhaus-Universität Weimar und Mitveranstalter der Weimarer »Lesarten«.
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