Thema
Peter Neumann
Creative Commons BY-NC-SA. / Abdruck in der Thüringischen Landeszeitung vom 13.04.2017.
Wer einen Blick in die Zukunft wirft, ist in der Regel gut beraten, zunächst seine eigene Gegenwart ins Auge zu fassen. Und wirkt es da nicht beinahe schon anachronistisch, im Jahr 2017 die Frage nach der Zukunft des Lesens und des Buches zu stellen, eine Frage, die zuweilen so klingt, als ob mit dem Prozess der Digitalisierung die Zukunft des Lesen und des Buches überhaupt auf dem Spiel stünde. Ist die Zukunft der Literatur nicht aber schon vielmehr vergangen?
Aus Sicht der deutschsprachigen Gegenwartslyrik kann man die Entwicklung der vergangenen 15 Jahre nur mit Staunen beobachten: Soziale Medien und Online-Foren sind für viele AutorInnen längst zu einem festen Bestandteil ihrer Schreibexistenz geworden. Das Netz ist ein Experimentierfeld, Texte im Bearbeitungsmodus, die hier besprochen, verändert, verworfen werden, Rezensionen, die kollaborativ im Live-Modus entstehen, ästhetische Fragen, die auf ihre politische, politische Fragen, die auf ihre ästhetische Relevanz hin diskutiert werden. Ob das im Einzelnen immer gelingt, mag dahingestellt sein. Aber es sind Formen, die unserer unruhigen Zeit auf der Spur sind.
Inhalte von Lyrikportalen wie fixpoetry.com werden längst – die Entscheidung fiel schon 2011 – vom Deutschen Literaturarchiv Marbach archiviert. Alle Autorentexte, Rezensionen, Essays werden in Zukunft von LiteraturwissenschaftlerInnen per Suchfunktion durchstöbert werden können. Mit Blick auf das Digitale sind also nicht nur, wie immer wieder zu lesen, die pragmatischen Dimensionen ins Auge zu fassen, als bestehe die Revolution des Digitalen in einem erleichterten Handgepäck. Weit schwerer und folgenreicher sind die Formfagen, die durch die Möglichkeit der Verfügbarmachung, Vernetzung und Textvertiefung aufgeworfen werden.
Und noch eine Entwicklung lässt sich beobachten: Der Auszug ins Digitale hat zu einer Rückbesinnung auf das Medium Buch geführt. Noch nie in der Geschichte der Literatur sind Lyrikbände, insbesondere von unabhängigen Verlagen und Zeitschriften, mit einer solchen Hingabe gestaltet worden. Das beginnt beim Cover, geht über das Papier, die Schrift, und endet bei Grafiken, die mit dem Text in einen Dialog treten. Gerade bei einer so ereignisarmen Gattung wie der Lyrik wird das Buch auf einmal wieder zum „Ereignis“.
Papier und Netz müssen sich also nicht nur nicht ins Gehege kommen, wie Frank Simon-Ritz schreibt, sie können das Bewusstsein für die jeweils andere Form schärfen. Die Zukunft hat noch nie einem einzigen Medium gehört. Die Zukunft gehört immer der Offenheit gegenüber der Form. Dass diese Form, das Digitale, mittlerweile schon gar nicht mehr so neu ist, zeigt, dass auch die Debatten nicht auf der Stelle treten dürfen. Und genau an dieser Stelle schließen sich die Fragen an, die Angela Egli-Schmidt in ihrem Beitrag aufgeworfen hat. Nach der Haltbarkeit elektronischer Speichermedien, nach dem Urheberschutz, nach einem umfassenden Zugang zum und aufgeklärten Umgang mit dem Netz.
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