Person
Orte
Thema
Klaus Bellin
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: Palmbaum, Heft 2/2025.
Klaus Bellin
Immer wieder Wieland
Unter den Schriftstellern, die in Weimars klassischem Zeitalter lebten, war er der Älteste, vielseitig und produktiv, gebildet, geistreich und witzig, Verfasser von Lehrgedichten, Singspielen, Dramen, Versepen, Romanen, Novellen, Märchen und Essays, politischer Publizist und Herausgeber des »Teutschen Merkur«, der besten und wichtigsten Monatsschrift im 18. Jahrhundert, dazu Übersetzer Shakespeares und antiker Autoren. Wieland war aber auch der, dem die Palme gebührte, der erste von allen. Wenigstens war er dies, Goethe und Schiller zum Verdruss, für Georg Joachim Göschen, den jungen, wagemutigen Verleger in Leipzig. Göschen nahm sich vor, den Meister mit einer fantastischen Werkausgabe zu ehren, einer, wie sie noch nie da war, mächtig und repräsentativ. Es wurde die größte Unternehmung dieser Art, die je einem lebenden Schriftsteller gewidmet wurde. »Jeder Kaufmannsdiener«, schrieb Göschen seinem Autor, »jeder unbemittelte Student, jeder Landpfarrer, jeder mäßig besoldete Offizier soll Ihre Werke kaufen können. Sie sollen dann erst von ganz Deutschland gelesen werden und auf ganz Deutschland würken.«
Die Aufgabe war nicht leicht, aber Göschen hielt unbeirrt an ihr fest und edierte ab 1794 diese »Ausgabe von der letzten Hand« in vier verschiedenen Ausstattungen und Formaten: von der preiswerten Taschen- bis zur prachtvollen, mit Kupfern geschmückten Fürstenausgabe (die ungefähr das halbe Jahreseinkommen eines angesehenen Professors kostete). Nie wieder ist Wieland größere Ehre widerfahren, und noch immer ist diese Edition, an der sich spätere Klassikerausgaben orientierten, ein Denkmal deutscher, ja europäischer Verlagsgeschichte.
Spätere Zeiten haben diese Leidenschaft für den Alten in Weimar nicht mehr aufgebracht. Sicher, seine Werke wurden immer wieder gedruckt, es gab neue, schmalere Ausgaben, aber auch der letzte Versuch, Wieland zu einer neuen, modernen Gesamtausgabe zu verhelfen, vom Deutschen Klassiker Verlag unternommen, scheiterte schon nach drei Bänden. Besser erging es nur der 1963 begonnenen Akademieausgabe des Briefwechsels. Sie wurde 2007, nach zwanzig Bänden, fertig.
Wielands Glück hieß Göschen. Heute ist sein enthusiastischer Leser und Förderer Jan Philipp Reemtsma, der seit vierzig Jahren alles Menschenmögliche unternimmt, um Wieland wieder zu Lesern zu bringen. Er hat Romane, politische und literarische Schriften ediert, kürzlich auch die langerwartete Biografie vorgelegt, und er krönt sein Engagement, unterstützt von Mitherausgeber Hans-Peter Nowitzki, mit einer kritischen Studienausgabe, so umfangreich wie keine seiner bisherigen Bemühungen ums Werk. Sie profitiert stark von der in Jena konzipierten und erarbeiteten historisch-kritischen Oßmannstedter Ausgabe, die, von Reemtsma und Klaus Manger herausgegeben, seit Jahren bei de Gruyter erscheint und einmal 36 Bände umfassen soll. Weil sie für Normalsterbliche wegen ihres Preises kaum erreichbar ist, gibt es nun auch eine großartige Edition für alle, die Wieland lesen möchten, ohne tief in die Tasche greifen zu müssen.
Die Bände, bei Wallstein in den besten Händen, niveauvoll ausgestattet, im umfangreichen Anhang mit Erläuterungen, Nachwort und Editionsnotiz versehen, übernehmen die vorliegenden Texte der Oßmannstedter Ausgabe, was der Edition einen großen Vorteil verschafft: Es wird nicht ewig dauern, bis sie komplett vorliegt. 2002 mit einem Lesebuch gestartet, liegen inzwischen sechs Bände vor, darunter die »Geschichte des Agathon« und der Altersroman »Aristipp«. Jedes Jahr kommen zwei Bände dazu. Jüngst erschien die »Geschichte der Abderiten«, Wielands populärste Schöpfung, nach und nach in seiner Zeitschrift »Teutscher Merkur« veröffentlicht und 1781 erstmals als Buch ediert.
Der Roman, ein satirischer Blick auf menschliche Torheiten im antiken Abdera, hat viel Ähnlichkeit mit der Spießbürgerwelt der Zeit, die Wieland aus eigenem Erleben kannte. »Auf einmal war mir«, berichtete er, »als höre ich eine Stimme … die mir zurief: setze dich, und schreibe die Geschichte der Abderiten.« Und er erzählte mit Lust und Witz, wie der Philosoph Demokrit, der Arzt Hippokrates und der Dichter Euripides keine Chancen hatten, der Unvernunft und Beschränktheit ihrer Mitwelt beizukommen, und wie, im vierten Buch des Romans, ein Prozess klären muss, ob der Mieter eines Esels auch für dessen Schatten zahlen muss. Es ist eine Geschichte voller Komik und Absurditäten geworden und der gewiss vergnüglichste Einstieg in den Erzählkosmos Wielands.
›Literaturland Thüringen‹ ist eine gemeinsame Initiative von
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen · Thüringer Literaturrat e. V. · MDR-Figaro · MDR Thüringen – Das Radio
Gestaltung und Umsetzung XPDT : Marken & Kommunikation © 2011-2025 [XPDT.DE]
© Thüringer Literaturrat e.V. [http://www.thueringer-literaturrat.de]
URL dieser Seite: [https://www.literaturland-thueringen.de/artikel/christoph-martin-wieland-geschichte-der-abderiten/]