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Christine Hansmann
Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
I
Wie eine einzige,
windgetriebene
Bewegung, so
erlebte ich Luft.
Noch zogen
die Worte vorüber,
flüchtig, ohne
Gestalt.
Die Elemente aber
sahen mir zu.
In ihrem Blick
war ich versammelt,
ein Wesen aus
Erde, Wasser und Licht.
Im Ilmpark, zwischen dem Ehrenfriedhof und der Ruine des Tempelherrenhauses.
Eine Amsel sitzt im Holunder und singt.
An der Mauer zum Gräberfeld, die das Refugium begrenzt, lehnt ein Bergahorn. Auf den Stamm sind mit gelber und schwarzer Farbe große Buchstaben gesprüht. Seine Rinde schält sich ab, in kleinen, schorfigen Platten, die Äste sind bemoost, von Flechten überzogen.
Der große Baum treibt Knospen, aber er geizt mit der Blattbildung – seine Antwort auf die drei letzten, aufgeheizten Sommer.
In einer Kuhle liegen Inseln von Wiesenkräutern: Storchschnabel, Breitwegerich, Hirtentäschel, Löwenzahn. Vom Baumstumpf der riesigen, mehr als zweihundert Jahre alten Buche, die dort gestanden hat, ist nichts mehr zu sehen. Festgetretene Erde, vertrocknete Laubreste. Die Grasnarbe bildet diese Aussparung, eine kleine freie Fläche, ovalrund, wie eine Amöbe in Großaufnahme auseinanderlaufend.
Zwei Amselmännchen und ein Weibchen trippeln in meiner Nähe herum, nur vier Meter entfernt.
Die nächste kahle Stelle. Hier waren Fichten gepflanzt, Flachwurzler, die der Trias aus Dürre, Borkenkäferbefall und Sturmbruch schutzlos ausgeliefert sind.
Die Vögel picken Regenwürmer, Kleinstinsekten, sie kommen näher, schlagen einen Bogen um mich, ich stehe ruhig, mit Stift und Notizbuch, nur schauend, nur schreibend. Es ist, als ob sie meine Aufmerksamkeit bemerken würden, wenige Sekunden lang.
Auch hier, auf dem winzigen Hügel, ist die Grasnarbe noch nicht zugewachsen, aber die Pflanzenvielfalt scheint größer: zu den anderen Arten kommen Gundelrebe, Eselsdistel, Weißklee, Büschelgras.
Die Amseln haben jetzt das ganze Wiesenareal in Besitz genommen, unbeirrt, ich bin wieder Staffage, Außenseiter, der Zutritt zu ihrem Kosmos bleibt temporär.
An der Anna Amalia Bibliothek.
Die junge Esche auf dem Gehweg unter mir ist nur spärlich belaubt. Keine Eschenröte, die befallene Stämme orangerot anfärbt, aber viel Totholz, abgestorbene, dürre Zweige, die wie Krallen in die Luft ragen. An den Enden hängen noch die vertrockneten Samenstände vom vergangenen Herbst. Der ganze Baum ist mit Flechten belegt, die sich olivgelb und steingrau im Geäst ausbreiten.
Gegenüber, auf der Parkfläche vor dem Reithaus, finden sich weitere transparente Baumkronen, die mehr Licht als sonst hindurch scheinen lassen, Spitzahorn, Platanen, Sommerlinden.
Der ausgiebige Regen der letzten Wochen hat viel Grün hervorgebracht, das die Not der Gehölze aber nur verdeckt, nicht lindert. Das Erdreich ist mittlerweile einen Meter tief durchfeuchtet. Wenigstens. Für das Wurzelsystem von Kiefer, Lärche oder Linde reicht das nicht. Es wird andere Arten geben müssen, den künftigen klimatischen Verhältnissen, die sich unmissverständlich zeigen, angepasst.
Ich stehe oben, auf dem schmalen Plafond am Ende der aus Holzabfällen neu gebauten Treppe, ein Ausguck, in Augenhöhe mit den Baumwipfeln, es riecht intensiv nach frisch geschlagenem Holz.
Auf dem Jakobskirchhof.
Ein Zeitfenster. Die noch jungen Linden in der Nähe von Christianes Grab sind, wie zu erwarten war, von Trockenästen durchzogen, das Blattgrün dunkler, feuchtigkeitssatt.
Die hohen Rosskastanien zeigen schon die charakteristischen, hellen Gilbflecken der Miniermotte. Ihre winzigen Larven saugen die Säfte aus den Blättern und trennen die Wasserversorgung ab. Seit Jahren dauert der Befall an, lässt das Blattwerk viel zu früh verdorren, die Bäume vor der Zeit entlauben. Die eingerollten Blätter liegen dann auf dem Boden wie braunes, zusammengeknülltes Papier.
Gera, am Bieblacher Hang.
Ein Platanenhain zwischen den Viergeschossern, am Rand eine einzelne, raumgreifende Vogelkirsche. Der Wind spielt in den Blättern der Platanen, lässt sie knistern und singen. Von der bunten, pergamentdünnen, sich natürlicherweise schuppenden Borke ist nichts mehr zu sehen, nur blankes Splintholz, in den oberen Astlagen graphitgraue, glatte Rinde.
Im Wiesengrund wachsen Scharfgarbe, Rotklee, Goldener Hahnenfuß, eine einzelne, blassblaue Wegwarte. Hitzeschwaden. Flirrende Luft.
Im Park Belvedere.
Auf den abgemähten Wiesenflächen sind Heuballen unregelmäßig verteilt, wie bestellt und liegengelassen, für einen Landschaftspark ein ungewohnter Anblick. Vielleicht als Winterfutter für die fünf, sechs mageren Kühe, die den Hang unterhalb der Chaussee seit kurzem beweiden.
Die Fachleute sind findig geworden. Sie reichern die Erde mit Humus an, der aus dem anfallenden Kompost entsteht und mit Nährstoffen und Pflanzenkohle versetzt wird. Das durchlüftet den Boden, lässt das Wasser langsamer versickern.
Die etwas versteckt liegende, weit ausladende Hainbuche scheint äußerst vital: alle Äste, Verzweigungen sind eingehüllt, von Blättern umwachsen; nackte, zerklüftete Rinde trägt nur der Hauptstamm.
Besonders die sorgsam gepflegten, zum Teil mit Eisenbändern gesicherten Altbäume sind gefährdet, sie tolerieren die heißen, regenarmen Sommer und viel zu milden Winter nicht. Die Jungbäume werden deshalb in der parkeigenen Gärtnerei aus Sämlingen gezogen und an trockenere Standorte gewöhnt.
In der Nähe der Großen Fontäne. Die alte Stieleiche ist innen vollständig hohl, trotzdem treibt sie in der Höhe tapfer aus; ein Seitenast, der früher mit seiner umkreisenden Wuchsform ein magisches Auge einschloss, ist abgebrochen, die runde, imaginäre Aussparung aber noch spürbar. Als wäre dort oben die Luft durchlässiger, würde sich von der kompakteren Luftmasse um sie herum unter-scheiden.
Ich entdecke den Eingang zu einer Oase, schattig, dunkel, vom dichten Blätterdach der Rotbuchen eingeschlossen. Der durchnässte Erdboden ist mit dünnen Ästen und verrottenden Bucheckern bedeckt, drei der mächtigen Buchen stehen in einer Reihe, ehrfurchtgebietend. Die dichte Stille wird nur von einzelnen, vom Wind herabgewehten Tropfen unterbrochen ‒ plätschernde Töne, die sich mit dem leisen Gefiepe der Vögel mischen.
II
Ich atme
nach innen.
Ein Blatt,
das nicht aufhört
zu schweben.
Kein Boden,
auf den es fällt.
Keine Luft,
in der es sich dreht.
So wäre vielleicht
der Tod.
Nur ich
und ein Hauch.
Ich trete wieder hinaus, ins Helle, wie aus einer Höhle kommend, deren inwendige Welt mich nicht loslässt. Die Nacktschnecken bevölkern den Weg; für sie kann es nicht feucht genug sein.
Wo die Sonne durch die Baumkronen fällt und auf den nassen, mit Waldziest, Odermennig, Giersch und riesigen Huflattichblättern gesäumten Weg trifft, beginnt er zu dampfen – leuchtende Flecken, aus denen feiner Dunst aufsteigt.
Es hat geregnet, vor einer knappen Viertelstunde, alles trieft.
Im Tiefurter Park.
Aus Südwesten ist ein Gewitter im Anzug, der Wind hat zugenommen. Die ausgedehnte Wiesenfläche vor dem Gutspächterhaus, dem ehemaligen Musensitz Anna Amalias, ist frisch gemäht, der kurze Rasen von Weißklee, Vogelmiere und Kleiner Braunelle durchzogen, Heureste liegen herum.
Ein kreisförmiger Wiesenausschnitt, ehemals mit drei Fichten bestanden, deren Baumstümpfe jetzt vom dichten Gras überwuchert sind, im Mittelfeld Kuhblumen und Brennnessel.
Richtung Ilmufer vermute ich eine Ansammlung von Maulwurfshügeln, aber es waren Wildschweine, die hier gesuhlt haben. Das Erdreich ist aufgerissen, die Grasnarbe leidet.
In der Lärchengruppe einige Schritte weiter wurde ein Exemplar nachgepflanzt; es hat ausgetrieben, seine zarten Nadeln sind aber schon angegilbt. Alle Lärchen haben extrem unter der Trockenheit gelitten, viele sind abgestorben. Die beiden Bäume vor mir bilden eine Ausnahme, aber auch sie zeigen bereits hellgelb verfärbte Triebspitzen.
Jetzt prasselt der Regen herab, das Gewitter ist genau über mir.
Schloss Scharfenberg bei Meißen.
Eine Idylle. Wie aus der Zeit gefallen. Einige Bäume im Schlossgarten – Walnuss, Birke und der aus Nordamerika stammende Tulpenbaum – sind in den Kronen eingestutzt, sodass breit verzweigte Blätterdächer entstehen – halb-dunkle, höhlenartige, schützende Räume. Ein runder, schmiede-
eisener Tisch auf dem Rasen, die Holzbank an der Steinmauer, die den Garten zum Teich hin abgrenzt. Der quadratische Brunnen ist frisch aufgemauert, Elemente alter Sandsteinplatten, Reliefs, lateinische Spruchfetzen wechseln sich ab.
Auf dem Elbleitenweg nach Batzdorf.
Ein schmaler, sich am Hang entlang schlängelnder Pfad, von Weichhaarigem Hohlzahn, Brombeerranken und Noli me tangere –- Großem Springkraut überwachsen. Der Platz um das kleine Batzdorfer Totenhäuschen, ein Garten- und Weinberghaus, das zur Elbe hinuntersieht, atmet Ruhe.
Der Hangwald birgt Traubeneichen und Grünerlen, die Bergahornbestände aber sind extrem dezimiert: ihre abgestorbenen, kahlen Stämme, an denen die Rinde abpellt, schwarz angekohlt, wie hitzeentflammt. Ein verstörender Anblick.
Trotz alledem ist während der Juliunwetter viel Wasser von der Höhe herabgeflossen, manche
Rinnen sind durch die Strömungswege tief ausgefurcht, die Schluchten und ihr Blattgemenge glitschend. Auf dem Lößplateau wächst Hopfen, aufgebunden, felderwärts reifer, zu nasser Weizen. Mais überragt uns, sattgrün.
Im Elbsandsteingebirge.
Wir sind mitten in der Kernzone des Nationalparkes Böhmische Schweiz. Elbaufwärts über Hřensko nach Vysoká Lípa bieten sich apokalyptische Bilder: großflächige Areale mit Fichten und Lärchen, die dürr und abgestorben umeinanderstehen, Wüstungen wie nach einem Waldbrand. Eine versehrte Landschaft.
Trockenheit und Stürme der letzten Jahre haben dem Befall durch den Borkenkäfer Vorschub geleistet. Dem hält kein Nadelbaum stand. Aber es gibt Lichtblicke: hier und da macht sich zwischen
den Baumskeletten frisches Grün breit, Wurmfarn, Birke und Heidelbeerkraut, die sich von selbst
aussäen, ohne Zutun des Menschen. Brombeere, Grünerle und Eberesche werden folgen. Der Naturwald entfaltet sich.
Vom Gipfelplateau des Großen Zschirnstein eine weite Sicht: im Süden und Südosten der Vulkankegel des Rosenberges, der Hohe Schneeberg, die ausgedehnten böhmischen Wälder. Hier ist der Waldumbau seit dreißig Jahren in vollem Gange, die verdorrten Monokulturen sind nur noch Inseln im jungen, sie umlagernden Mischwald: Rotbuche, Stieleiche, Weißtanne.
Einheimische Arten, von altersher. Hochragende Stämme, ausgeprägte Astquirle und lang herab-hängende, dichte Zweige. Stehen die Bäume einzeln, wird auf dem Waldboden ein Umkreis sichtbar, ohne Unterholz, die Krautschicht spärlich. Der Schattenwurf. Ein ausgesparter Raum.
Ich warte, regungslos, nur das Rufen des Kolkraben im Ohr.
III
Ich sprach mit
der Linde gegenüber,
als wäre sie
eine Seele,
als wären wir
eins, der Baum,
seine rostgelben,
herabgefallenen
Blätter, die
der Laubfänger
zerblies,
die ungeheure
Stille in den Pausen
und ich.
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