Christine Hansmann – »Heimsuchung«

Person

Christine Hansmann

Ort

Weimar

Thema

Stimmen gegen den Krieg

Autor

Christine Hansmann

Alle Rechte bei der Autorin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

Chris­tine Hansmann

Heim­su­chung

für Karina

I

Was kön­nen wir
sagen?
Die zertretenen
Worte fehlen.

Wir blei­ben maskiert,
verschließen
die Türen, aber wie Diebe
bre­chen die Träume
ein, nachts, im Pfeifen
der Pro­jek­tile, hinter
abgedunkelten
Fens­tern, das Erschrecken
der Bäume, ihre
zit­tern­den, blassgrünen
Blät­ter, gerade erst
entblößt –

im Kel­ler
spielt eine Geige,
lautlos,
bevor sie
zerbricht.

 

II

Erin­nere dich,
deine blutenden
Hände – du hattest
ein Spülglas
zer­drückt, als der Krieg
begann –

erin­nere
dich, dein Zeit-
lupen­gang durch die
Räume, nüchtern,
als ob nichts
davon abhing –

erin­nere dich,
dein gerahmtes
Bild im Spiegel –

tau­send Sprünge,
scharf
ziseliert.

 

III

Die Stürme
las­sen nicht nach.

Eben schlug mir
der Wind
die Klinke
aus der Hand.

Der wie­der­ge­kehrte
Winter
mischt Triebspitzengrün
mit Weiß.

Frost,
sagst du,
ist das Geringste.

Das Netz der
Tropfen
unter den Augen
verläuft.

 

IV

Nur dei­net­we­gen
erklomm ich
den Hügel.

Was sollte
die Aus­sicht bieten?

Ange­kohlte,
seuf­zende Stämme,
das zarte Zischen der
Fal­ter beim Sterben,
Pols­ter von Moos,
zu Staub zerrieben,

ein Vogel­nest
trieb der Wind
vor sich her,

über die Kämme
zog
Rauch.

 

V

Wo wer­den wir
sein, die Sommer-
fri­sche schickt ihr Salz
voraus,
den Geschmack von
Granatapfelkernen,

schwar­zer, siebfeiner
Sand, in dem
sich winzige
Muschelreste
ver­ber­gen, deine
nack­ten, zernarbten
Füße –

blut­rot die Grenze
von Was­ser, Luft und
Licht.

 

VI

Was hat dich
legitimiert,
fragt jemand,

wem nützt es,
über den Bordstein
zu schrei­ben, über
Fußsohlen
und Stiefelschäfte,

über ein Rinn­sal aus
bra­cki­gem Wasser,
in dem sich Rauchsäulen
spiegeln,

eine Pfütze,
die den Him­mel zeigt?

Trop­fen­weise
ver­si­ckern die Stimmen
der Vögel.
Bleiern
ent­rollt sich
die Nacht.

 

VII

Manch­mal
ver­gisst du
zu atmen.

Bitte, sag ich,
hol Luft.

Wie willst du
überleben?

Deine Brust hebt
und senkt sich.

Im Schlaf
atmen die
Flügel.

Im Tod
atmen sie
auf.

 

April 2022

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