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Jens-Fietje Dwars
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Wiedergelesen von Jens-Fietje Dwars
Kein Bericht über das KZ Buchenwald ist so berühmt und so berüchtigt wie »Nackt unter Wölfen« von Bruno Apitz. Seit 1958 in über drei Millionen Exemplaren erschienen und in 30 Sprachen übersetzt, wurde der Roman zum Synonym für den antifaschistischen Widerstand. Zugleich stand und steht er im Kreuzfeuer der Kritik: Als ein »willkommenes Heldenlied« der SED, das den Gründungsmythos der DDR zementiert habe, ein Konstrukt, in dem das Gute platt über das Böse triumphiere und die Breite der Opfer ausgeblendet werde, um den Führungsanspruch der kommunistischen Partei zu verklären.
Tatsächlich mutet die Geschichte märchenhaft an: Ein polnischer Jude bringt in einem Koffer ein Kind ins Lager. Und die Häftlinge sorgen sich um das kleine, nackte Leben, retten es vor den Wölfen in schwarzer Uniform. Der Stoff war authentisch. Es gab diesen Jungen, Stefan Jerzy Zweig, der 1964 in Paris entdeckt wurde. Nach seinen eigenen Erinnerungen lebte er jedoch in Buchenwald von den SS-Wachen geduldet, die ihre Späße mit ihm trieben. Er war auch nicht das einzige Kind im Lager, zu dem eine ganze Kinderbaracke gehörte. Apitz hat den Stoff fiktiv bearbeitet, hat er ihn verfälscht?
Roma, Sinti, Homosexuelle, die Vielfalt der Opfer gerät in der Tat aus dem Blick, indem sich der Erzähler auf die Zentrale des illegalen Widerstands, auf das Internationale Lagerkomitee konzentriert, das mehrheitlich aus Kommunisten bestand. Was freilich daran lag, dass die Mehrzahl der politischen Gefangenen Kommunisten waren, die auch im Lager auf die Kraft der Organisation setzten.
Merkwürdigerweise stieß der Roman zunächst auf Ablehnung. Über Jahre hinweg wurde er von einem Verlag zum anderen gereicht. Auch der Mitteldeutsche Verlag wollte ihn nicht annehmen. Dann aber begann der spätere Wagner-Biograph Martin Gregor-Dellin, das ungelenke Manuskript mit Apitz zu überarbeiten, und als es in den Druck ging, da war das Buch so brisant, dass Ulbricht das Politbüro über die Fahnenabzüge beraten ließ.
Bruno Apitz zeigt Genossen, die ihr eigenes Leben um der Rettung des einen Kindes wegen opfern und damit die Leitung des gesamten Widerstands in Gefahr bringen. Das ist die Idealisierung des Romans, seine Ideologie, sagen wir heute. Doch genau darin bestand damals der Affront, der das Selbstverständnis der realen Partei in Frage stellte. Gleich am Anfang erklärt der Leiter des Illegalen Lagerkomitees, dass es um 50.000 Menschen gehe, und nicht nur um das eine Kind, das deshalb mit dem nächsten Häftlingstransport abzuschieben sei. Mit unbestechlicher Klarheit zeigt Apitz, vier Jahrzehnte vor der Debatte um die »Roten Kapos«, die Härte der Verhältnisse, in denen kommunistische Funktionshäftlinge zu Handlangern der Nazis, zu Mitschuldigen am Tod von Minderheiten wurden, um Mehrheiten das Leben zu retten. In der Verfilmung des Romans unter Frank Beyer (DEFA, 1963) lässt das sparsame Spiel von Erwin Geschonneck die Gewissensnot des Lagerältesten als zerreißenden Widerspruch nachempfinden.
Roman und Film zeigen auch die Folgen dieser Adaption an die Verhältnisse für das eigene Verhalten: die Unterordnung unter das eiserne »Gesetz der Konspiration«, das zum Schweigen verurteilt, zur Selbstisolierung, zur Erstarrung. Die erfolgreiche Anpassung an unmenschliche Bedingungen zerstört die eigene Menschlichkeit. Das war die bittere Einsicht, das eigentliche Trauma des einstigen Häftlings Bruno Apitz, das er nur in der Konstellation seiner Figuren und niemals offen ausgesprochen hat. Doch, wer das Buch vorurteilsfrei liest, der kann es sehen: nur diejenigen überleben, bleiben lebendig, die den Kreis des Schweigens aufbrechen, die sich von spontanem Mitgefühl leiten lassen und wider alle Parteidisziplin ihr Menschsein im scheinbar sinnlosen Einsatz für das eine hilflose Leben bewahren.
»Du bist Mensch, beweise es …« sollte deshalb auch der ursprüngliche Titel des Romans lauten. Mit drei Punkten und ohne Ausrufungszeichen – nicht als Appell, sondern als Ermutigung, das Menschliche auch dann noch als etwas Selbstverständliches zu tun, wenn es sich nicht mehr von selbst versteht. Der Verlag hat freilich schon damals gewusst, dass sich das Buch unter dem anderen, dem sprichwörtlich gewordenen Titel besser verkauft. Obwohl das reißerische »Nackt unter Wölfen« den Hauptakzent wieder auf die unmenschlichen Verhältnisse schob, statt die Wahrung der eigenen Menschlichkeit in den Vordergrund zu stellen – als Auftrag an die Partei!
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