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André Schinkel
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck (in gekürzter Fassung) in: Thüringische Landeszeitung, 03.01.2024.
Heidelore Kneffel, oder: Von den Maßgaben der Unermüdlichkeit
Von André Schinkel
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Die Erschütterung ist noch nicht vorüber, wie könnte sie auch so schnell weichen. Im Juni 2023 gingen die Literatur-Enthusiasten der »Dichterstätte Sarah Kirsch«, die sich 25 Jahre um Erhalt, Sanierung und Ausbau der ehemaligen Pfarre, die zugleich das Geburtshaus der 1996 mit dem Georg-Büchner-Preis geehrten Südharzerin ist, kümmerten und verdient machten, vor Ort, in Limlingerode, von Bord. Die Immobilie in anderen Händen jetzt, will der Verein dennoch in seinem Bestreben, Kunst · Kultur im Nordhäuser Raum zu fördern, nicht aufgeben, suchte und fand neue Plätze, seinen Nimbus einzubringen, Wirksamkeit zu entfalten.
Aber es ist nicht mehr das Gleiche. Und Heidelore Kneffel, viele Jahre federführend im 1998 mit Karin Kisker, Eva Müller und anderen Unerschrockenen gegründeten Dichterstätten-Verein, sagt das, und das ist ihre unnachahmliche Art, gerade und entwaffnend heraus. Man spürt, die Lage der Dinge beschäftigt sie, fasst sie noch immer an, in gewisser Hinsicht kann der Verlust des Wirk-Orts, der von höchster Stelle, von Sarah Kirsch selbst, schnurrig und knurrig begleitet wurde, ein wenig wie das nun fehlende Pyramidion einer segensreichen, oft auch in der Sache beherzt unnachgiebigen Lebensleistung von Heidelore Kneffel, begriffen werden.
Es ist an sich die Zeit, die nach Ikonen, nach unikalen Gestalten, nach engagierten, gern auch streitbaren Persönlichkeiten verlangt – im Schwarz-Weiß der erschütterten Epoche, die nach langen Jahrzehnten von Ruhe und Aufbau Leidenschaft fürs kulturelle Gemeinwesen erfordert, umso mehr. Und so ist der Auszug aus dem Geburtshaus in Limlingerode eben auf andere Weise ein Signet der Zeit und ihres Klipp-Klapps zwischen Glitzer und Absturz, Belanglosigkeit und Einfordern von Tiefe, letzteres nur eben im besten Sinne von mündiger Aufklärung, nicht als Cenote, Abgrund, Abyss. Die aus Nordhausen Stammende, die bis heute in ihrer Geburtsstadt lebt, hat das in ihrem ganzen Leben, in all ihren Aktivitäten so gehalten.
In der Beschau ist das ein Werk der Unermüdlichkeit in vielen Facetten. Heidelore Kneffel hat als Lehrerin, Autorin, Initiatorin von Ausstellungen, Streiterin für die Kultur ihrer Heimatstadt und der Orte im Landkreis Nordhausen, Retterin von Kunst, gute Seele der vielfältigen Aktionen und Reihen in Limlingerode Beträchtliches und Bleibendes geschaffen. Der Aufbau einer Dichter- und Begegnungsstätte im Sarah-Kirsch-Dorf ist mithin zum Kern dieses Werks geworden. Sie nun entwidmet zu sehen, schmerzt. Doch wer in den Stand der Ehre kam, nach Limlingerode zu Lesung, Ausstellung, Diskurs geladen zu sein, wird das nicht vergessen, diese fürsorgliche Art der Gastfreundschaft, der Würde, mit der man sich in seiner Arbeit erkannt · geschätzt wusste, das seinerseits schätzend.
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Heidelore Kneffel ist durch Zufall, von dem so manche · mancher behauptet, dass es ihn nicht gibt, ein »Bloomsday«-Kind – geboren am 16. Juni in der Metropole des Südharzes. Ein Tag, will man seinen Erfindern glauben, die ihn in Bezug auf James Joyce’ »Ulysses«-Roman feiern, des Glücks, wenngleich auch – 1944 – in bedrängter Zeit. Der Vater ist Lehrer und wird nach dem Zweiten Weltkrieg Schulleiter im benachbarten Nohra sein. Ihr Großvater war aufgrund seiner genealogischen Forschungen weit über die Grenzen Nordhausens bekannt. Die Liebe zu Literatur, Musik und Kunst ist von Beginn an in ihr Leben gelegt. »Mein Vater hat Gedichte und Geschichten für mich geschrieben, ich hatte immer eine Welt aus Büchern um mich. Auch las er jeden Tag meiner Mutter vor«, so Heidelore Kneffel im Gespräch. So prägt Heinz Kneffel, bereits im Mai 1945 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassen, das Leben des Kinds in kultureller Hinsicht.
Die lebenslange Passion für die Lyrik entspringt der frühen Erfahrung von Hausmusik in Nohra. »Ich habe, als wir 1953 wieder nach Nordhausen zurückkehrten, das Theater geliebt, die Oper, Kunstlieder, auch das Radio spielte eine große Rolle.« Später kommt die Leidenschaft für das Fotografieren dazu, das einmal bis zu eigenen Expositionen führen wird. Letztlich richten sich in diesen Jahren die Grundlagen auch für das breite publizierte wie kunstvermittelnde Werk Heidelore Kneffels (die dereinst von Sarah Kirsch zudem mit dem Ehren- und Kosenamen »Heidelerche« bedacht sein wird) bereits aus. Sie werden ihren Stil als unkonventionelle Lehrerin beeinflussen wie auch ihre große Liebe zu den Künsten, zur Sprache der Dichtung zumal.
Das erste eigene Buch in den Händen der kleinen Heidelore ist denn gleich ein besonderes – der Vater hat für sie mit der Hand geschrieben und illustriert, eine »Rotkäppchen«-Adaption; ein Schatz, der sie durch die Kindheit und darüber hinaus begleitet. Dem Wunsch, Biologin zu werden, geht in den 60er Jahren die Ausbildung zur Rinderzüchterin mit Abitur voraus. Als die Zulassung für das Traum-Studium nicht kommt, entscheidet sich Heidelore Kneffel, in Erfurt Pädagogik zu studieren, Deutsch und Kunst auf Lehramt – einen Beruf, den sie im Eichsfeld und in ihrer Heimatstadt bis 1990 ausüben wird. 1971 kommt ihr Sohn auf die Welt, ab den 1985er Jahren ist Heidelore Kneffel beim Kulturbund engagiert, gestaltet das Programm der »Kleinen Galerien« und erste Literaturveranstaltungen. Ein Metier, das ihr, schaut man sich die mehr als umfangreiche Programmhistorie von Limlingerode an, erhalten bleibt …
1989 ist sie Sprecherin des Lehrerrats – eine weitere Wende in der Biografie steht Heidelore Kneffel allerdings mit einem PR-Praktikum im Rathaus von Kassel direkt bevor. Im Anschluss daran übt sie nämlich das Amt der Pressesprecherin des Landratsamtes von Nordhausen bis zum Eintritt in den Vorruhestand 2005 aus. Hier nun schießen alle Gaben Heidelore Kneffels in eins: großes Engagement in der Sache (gepaart mit der mangelnden Scheu, sich eben für diese auch mal »in die Nesseln zu setzen«), Fleiß und Hingabe (»Pressegespräche, Pressespiegel, Fotografien, Schreibarbeit …«), auch beginnt sie für den Erhalt und die Rettung von Kunstwerken der Nordhäuser Öffentlichkeit zu werben, streitbar und durchsetzungsfähig gegen das pauschale Abbauen und Einmotten, im Denkmalbeirat, bei der Dokumentation von Kulturgütern.
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Es setzt damit eine umfängliche schreiberische, kulturhistorische, publizistische Tätigkeit ein. Heidelore Kneffel zeichnet als Herausgeberin der »Jahrbücher des Landkreises Nordhausen heute und einst«, für das »Landkreismagazin« sowie für Imagebroschüren verantwortlich. 1996 erhält Sarah Kirsch, nach ihrem Fortgang aus der DDR hoch im Norden Deutschlands lebend, den Georg-Büchner-Preis; und die hohe Ehrung lenkt den Blick auf ihre Herkunft aus dem Harz. Es ist der Anfang eines Austauschs, beginnend mit einem Brief über die umfangreichen Aktivitäten vor Ort in Limlingerode bis zur Sanierung des Engels in der Taufkirche der Dichterin und dem Wunsch der Kirsch, Heidelore Kneffel möge, wenn es eine Biografie geben soll, diese über sie schreiben … »Wir waren viele Jahre intensiv in Verbindung«, so erinnert sich die Nordhäuserin. »Sarah hat unser Engagement beherzt und verwundert begleitet, wir konnten sie schließlich persönlich mehrmals in Limlingerode begrüßen, fuhren nach Tielenhemme. Und: Ihr zu Ehren wurde der ‚Grüne Junipfad‘ angelegt.« Auf dem sich letztlich jeder, den das Œuvre der Dichterin berührt, bis heute befindet.
Die Arbeit in der Nordhäuser Pressestelle, das Fahrt-Aufnehmen der Limlingeröder Aktivitäten sind begleitet von einer Vielzahl anderer kultureller, kulturpolitischer Aktivitäten. Heidelore Kneffel entdeckt und pflegt das Erbe Nordhäuser Persönlichkeiten, sie betreut eine Vielzahl von Publikationen und Ausstellungen: zu Rudolf Hagelstange, zur Förstemann-Dynastie, zu den Künstlerinnen · Künstlern um Caspar David Friedrich, Kügelgen, Senff, Blechen. In Nordhausen, im Kunsthaus Meyenburg, im Museum Flohburg und auf Schloss Heringen ist sie für eine Vielzahl Ausstellungen verantwortlich. Und schließlich wird das Wirken von Caroline von Humboldt, zu dem sie 2023 ein Standardwerk vorlegt, zu einer großen Passion von ihr.
Die Orte, mit denen sich die Umtriebige vernetzt, sind vielfältig, im Moment sind es Göttingen Halberstadt und Halle, wo Heidelore Kneffel den Spuren des Altphilologen Friedrich August Wolf, aus Hainrode (heute ein Ortsteil von Bleicherode) stammend, dessen 200. Todestag sich 2024 jährt, nachgeht. »Eine Type, da könnte man ganze Bücher drüber schreiben!«, begeistert sich Heidelore Kneffel. Und ein Feld, in das sie sich voller Leidenschaft begibt. Eine Leidenschaft und zugleich Souveränität, die ansteckend ist. So war es letztlich immer, und es führte bereits Anfang der 90er Jahre dazu, dass die Schüler sie, die Lehrerin, die nun in Diensten des Landratsamtes Nordhausens war, gern in den Unterricht zurückholen wollten. Und der Stolz darüber ist ihr durchaus auch anzumerken, wenn sie so lebendig über ihr Leben, ihre Arbeit spricht.
Ihre dabei immer wieder zum Vorschein kommende, gern mal dem Wesen der Harz-Bewohner zugeschriebene Geradlinigkeit der Unermüdlichen muss im Wirken für die Kultur, das Ansehen der Stadt und der Region als Kardinaltugend gesehen werden. Sie erstreckt sich letztlich auf das Leben und Wirken Heidelore Kneffels, den mittlerweile beachtlichen Katalog an Veröffentlichungen und Verlautbarungen und nicht zuletzt Pflege und Austausch mit einer Vielzahl zeitgenössischer Vertreter der Künste. Für ihr Engagement wurde sie denn auch im Herbst 2015 auf Vorschlag ihres Dichter-Freunds Wulf Kirsten, der sie hoch schätzte, mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik geehrt.
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Denn so sei es: Ehre, wem Ehre gebührt. Wulf Kirsten, den viel mit der Arbeit und Person von Heidelore Kneffel verband, hatte das richtige Gespür. Und es ist eine Maßgabe eben auch der Verbindlichkeit, für die Belange vor Ort einzustehen, wenn sie der Kultur, dem Gemeinwesen, der Allgemeinheit und dem Bewahren von Geschichte, der Kenntnis von Kunst und der damit verbundenen und möglichen Soziokultur dienen. Heidelore Kneffel hat sich verdient gemacht um Nordhausen und sein Ansehen – in Thüringen und im Rest der Republik. Und das will etwas heißen in einer Zeit, in der ein jeder seine eigene Baumscheibe hütet und Bewahrenswertes gern unter die Räder kommt, neuerdings auch wieder die des Populismus.
Die Krönung aber bleibt lange Limlingerode. Und auch wenn Sarah Kirsch es vorzieht, in ihren späten Jahren sich in ihrem Tielenhemmer Idyll im Dithmarschen mehr und mehr einzuspinnen, oder, in ihrer so urgewaltigen und eigentümlichen Sprachrigorosität: »in Ruhe [zu] vertrotteln«, bleibt der Kontakt zwischen ihr und Heidelore Kneffel die ganze Zeit bestehen. Mit großer Verve legen diese und ihre Mitstreiterschaft sich ins Zeug, von Sarah als wichtiger und wichtig bleibender Ansprechpartnerin »am Rande begleitet«. Der Ort wird wieder einer der Dichterin. Und die monatlich stattfindenden Lesungen samt Begleitprogramm werden zur Legende. Einer Vielzahl Künstlerinnen und Künstler ist die Verbindung nach Limlingerode unvergesslich. Groß ist der Aufwand, sind die Mittel, das Pfarrhaus, in dem Sarah geboren wurde, zu retten und zu einer Begegnungsstätte – tief im Südharzer Outback – zu machen. Es gelingt. Die Dichterstätte in Limlingerode wird zum Aushängeschild für beherztes und gutes Wirken.
Die Zahl und die Namen derer, die Heidelore Kneffel dafür dankbar sind, sind Legion. Ich selbst denke in Dankbarkeit an meine Lesung in Limlingerode – nicht nur die Menschen hörten mir zu, auch die Schafe und Gänse, und nach dem Kaffee bewunderte ich den sanierten Taufengel in der Kirche. Die berührendste Geste aber war, dass man mir eine Vitrine hergerichtet hatte, in der sich meine Bücher und Briefe wiederfanden, Abzüge von den herrlichen Höhlenbildern der Grotte Chauvet (einer meiner Bände heißt nach dem prächtigsten dort »Löwenpanneau«) im Tal der Ardèche hingen da, und ich fühlte mich angenommen · verstanden im ehemaligen Grenzgebiet, dass es mir bis heute, mehr als ein Jahrzehnt später, nachgeht.
Vielen anderen ging es so, seien sie zur Lesung, zur Ausstellung, den »Limlingeröder Diskursen« eingeladen gewesen. Ihre Nennung wäre allein einen Aufsatz wert und wird vielleicht einmal die Aufgabe eines ambitionierten Germanisten und · oder Kulturhistorikers sein können. Ein Archiv wird aufgebaut, die monatlichen Lesungen stehn nicht selten in Korrespondenz mit den Exhibitionen im Haus, im Obergeschoss werden zeitweise Autoren und Künstler beherbergt. Mit dem »Kaleidoskop« erscheint auch eine Limlingeröder Reihe, die die Arbeit des Vereins dokumentiert. Nach einem Sarah-Kirsch-Text entsteht der »Grüne Junipfad«. Die Schließung des Hauses im Juni 2023, die Zerstreuung dieses einzigartigen Archivs, hat einen Schmerzpunkt gesetzt. Für Heidelore Kneffel endeten letztlich 23 Jahre leidenschaftliche Arbeit an der Spitze des Vereins. Eine Zeit, für die ihr viele Menschen dankbar sind … Man weiß, man wird von ihr hören. Und bis dahin lese man ihr feines Buch über Caroline von Humboldt.
Foto Tina Peißker.
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