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Daniel Börner
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Lektüre statt Director’s Cut
»Das Boot« von Lothar-Günther Buchheim – wiedergelesen von Daniel Börner
Jeder kennt die ungünstige Gesprächssituation, wenn einer das gelesene Buch meint, der andere nur die Verfilmung gesehen hat. Das Missverständnis hat viele Beispiele und geht fast immer zu Ungunsten der Literatur aus. Im Fall von »Das Boot« (erschienen 1973) ist es besonders eklatant, weil die namensgleiche Filmfassung (gedreht 1981) Kultstatus besitzt, die Wahrnehmung des U‑Bootkrieges im Zweiten Weltkrieg maßgeblich prägte und einen prominenten Platz in der deutschen Filmgeschichte einnimmt.
Wiedergelesen bedeutet hier deshalb ein Dagegenlesen, nämlich gegen die Dominanz der Bildwelt von Regisseur Wolfgang Petersen, die fulminante Filmmusik von Klaus Doldinger sowie das Spiel der – bis in die Nebenrollen – hochkarätigen Darsteller wie Jürgen Prochnow, Otto Sander oder Herbert Grönemeyer. Dem verfilmten »Boot« kann man in Kurz- oder Langfassung als Fernsehzuschauer kaum entkommen. Obwohl hundertfach wiederholt, bleibt es nicht ein Film unter vielen über den Krieg, sondern für viele Kritiker und Zuschauer der »beste«. Der Faszination für Militärtechnik, Uniformen, Soldatensprache und Männerbünde unter Wasser wird etwas entgegenstellt, was schon die Buchvorlage zum bleibenden Erlebnis macht: die absurde und brutale Wirklichkeit des Krieges.
Für Lothar-Günther Buchheim brachte die Verfilmung beides: Ärger und Ruhm. Der Autor wurde von Lesern, Veteranen und Rezensenten mehrmals und massiv angefeindet, die ihm Kriegsverherrlichung oder die Fortsetzung propagandistischer Stilelemente vorwarfen. Von einigen Filmszenen distanzierte er sich später. Die Druckauflage des »Bootes« wird inklusive Lizenz- und Auslandsausgaben mit über drei Millionen Exemplaren angegeben. Außerhalb seiner Publikationstätigkeit galt er zeitlebens als schwieriger und unberechenbarer Gesprächs- und Verhandlungspartner. Die Berühmtheit des Welterfolgs nutzte er oft und gerne für eigene Ambitionen im medialen Spiel um Aufmerksamkeit.
Buchheim wurde 1918 in Weimar als unehelicher Sohn einer Malerin und eines Staatsbeamten geboren, wuchs in Sachsen auf, ging in Chemnitz zur Schule und studierte später an Kunstakademien in Dresden und München. Schon als junger Mann hatte er erste kleine Ausstellungen und Veröffentlichungen vorzuweisen. Als Kriegsberichterstatter war er Bestandteil der NS-Propaganda-Maschinerie, fotografierte und malte U‑Boot-Kapitäne in heroischen Posen, inszenierte die »Jäger im Weltmeer« und deren Wettlauf um Versenkungsziffern.
Während die äußere Romanhandlung im Herbst und Winter 1941 spielt, als die Fahrten deutscher U‑Boote verlustreicher wurden, bildet die minutiöse Darstellung der Vorgänge im U‑Bootkörper und unter seinen fünfzig Mann Besatzung den erzählerischen Kern. Buchheim sah sich dabei stets in der Rolle eines wahrhaftigen Dokumentaristen seiner selbst erlebten Kriegszeit. Vielen gilt der Roman deshalb als dokumentarisch, weil er neben der narrativen Struktur ein vielschichtiges Panorama der Parallelwelt und Männergesellschaft unter Wasser vermittelt, die skurril, obszön, wahnhaft und stellenweise auch amüsant sein konnte. Schilderungen zur hygienischen Situation wechseln mit technischen Aspekten des Diesel-Antriebs oder der unausweichlichen Platzangst an Bord. Wohltuend abwesend sind etwaige Glorifizierungen oder ein subtiler Pathos mit Blick auf die Soldaten.
Derbe Männerwitze, vulgäre Szenen und sexuelle Phantasien der abstinenten U‑Bootmänner erregten schon nach Erscheinen der Erstausgabe erheblichen Anstoß, bilden aber nur einen schmalen Teil der Dialogszenen. Seemännisches Vokabular, hautnahe Einschränkungen der Zwangsgemeinschaft, Geräusche und Gerüche, Jargon, Kraftausdrücke, Dienstränge, Wetterlagen, Strategie-Gedankenspiele, U‑Bootsprache und technische Kennzahlen füllen viele der über 600 Druckseiten der Taschenbuchausgabe. Dazwischen Erinnerungsfetzen, Lektüren der Koje und expressive Traumsequenzen.
Der Spannungsbogen der Buchkapitel folgt dem Verlauf einer Feindfahrt, die nach dem Auslaufen erst in Langeweile (Gammel), danach aber rasch in heftigem Sturm und abrupten Angriffen auf feindliche Geleitzüge mündet, was wiederum Gegen-Angriffe auslöst, die eine Wasserbombenverfolgung und Todesangst bedeuten. Nach einem Versorgungsstopp (Treibstoff und Torpedos) soll die Meerenge von Gibraltar durchfahren werden, um ins Mittelmeer zu gelangen. Ein gegnerischer Treffer lässt das U‑Boot bedrohlich absinken. Nur durch Geschick und Glück gelingt der rettende Aufstieg aus tödlicher Tiefe. Der Rückmarsch zum französischen Kriegshafen gelingt unbeschadet. Doch während des erhofft triumphalen Einlaufens wird »das Boot« doch noch zum Ziel von Fliegerangriffen, die es versenken und viele U‑Bootmänner töten. Der Roman endet im Chaos der Bunkeranlagen am Hafenkai. In den Armen der (autobiographischen) Erzählerfigur kämpft der U‑Bootkommandant mit dem Tod.
Die Veröffentlichung des Buches löste 1973 eine erste, die Kinofassung Anfang der 1980er Jahre eine zweite und die geschichtspolitische Grundsatzdebatte Mitte der 1990er Jahre schließlich eine dritte heftige Diskussion über die literarische Darstellung des Kriegsgeschehens (1939 bis 1945) aus. Buchheim war dabei Streitfigur, Moderator und Teilnehmer zugleich. Dem großen Buch- und Kino-Erfolg folgten weitere Romane. So entstand eine Trilogie aus Kriegs-Büchern, zu der ferner »Die Festung« (1995) und »Der Abschied« (2000) gehören. Daneben erschienen mehrere dem U‑Bootkrieg gewidmete Sachbücher, Bild- und Erinnerungsbände. Buchheim starb 2007 in seiner Wahlheimat am Starnberger See. Neben seiner Rolle als Romancier erwarb er sich Ansehen und Anerkennung als Kunsthistoriker und Sammler. Ein von ihm begründetes Museum (Schwerpunkt: Expressionismus) trägt seinen Namen.
Wer den Film schon zig mal im Nachtprogramm an sich vorbeiziehen sah, der nehme sich doch bei Gelegenheit das zugrundeliegende Buch zur Hand und beginne damit eine ganz andere Fahrt.
»Das Boot« ist weiterhin als Taschenbuch (Piper Verlag) sowie in diversen Ausgaben antiquarisch erhältlich. Zur Diskussion um die damalige Buchveröffentlichung sei die kleine Schrift des Historikers Michael Salewski (Von der Wirklichkeit des Krieges. Analysen und Kontroversen zu Buchheims »Boot«, München 1976) empfohlen.
Bucheinband Lothar Günther Buchheim, Das Boot, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1990.
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