Jan Röhnert – »Erdtagzeit«

Personen

Jan Volker Röhnert

Wilhelm Bartsch

Ort

Gera

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Wilhelm Bartsch

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erstdruck in: »Palmbaum«, Heft 2/2024.

Wil­helm Bartsch

Nur im Freien zu lösen

 

Jan Röh­nert ist schon vie­len Spu­ren als welt­kun­di­ger Wort­gän­ger gefolgt. Dem »Rand­gän­ger« Wulf Kirs­ten ähn­lich, liebt er die Spon­deen, oder wie in sei­nem Titel Erd­tag­zeit auch drei­tei­lige Hebun­gen, wie sie Ding­wör­ter her­vor­brin­gen. Schaut man, ja atmet man dann aber in Röh­nerts Gedich­ten, merkt man schnell, dass man sich in Oden­stro­phen, meist neue­rer Bau­art, bewegt. Was wei­ter­hin auf­fällt, ist das Kon­ti­nuum der Vogel­kunde, das so aus­ge­prägt sonst wohl nur noch im Vogel­werk von Hen­ning Ziebritzki, bei Jan Wag­ner oder eben auch bei Kirs­ten erscheint, auf den er sich in sei­nem schö­nen Gedicht Der Rede wert bezieht. Röh­nert, der es meist mit ein­fachs­tem Voka­bu­lar schafft, See­len- und Geis­tes­land­schaf­ten samt ihren Rät­seln und Ver­schlos­sen­hei­ten vor und in uns ent­ste­hen zu las­sen, erreicht bei den Vögeln oft nur mit Name­drop­ping, dass sie uns prä­sent wer­den. Sie sind vor­zu­fin­den in 35 Gedich­ten des Ban­des, dar­un­ter seine Favo­ri­ten Eis­vo­gel, Wie­de­hopf und Mau­er­seg­ler, beson­ders jedoch der Bie­nen­fres­ser. Man hört ihn nur: »aus wei­ter Ferne / ihre vagen, wan­dern­den Stim­men / das viel­keh­lige Schwär­men / ver­hal­ten ange­täuscht gedimmt / und ein­fach da / vibrie­ren­der Tep­pich aus Klang / in der Sommerluft/ im Mit­tag überhelles / zer­flie­ßen­des Mus­ter / sich knüpfend schon wie­der gelöst«.

Wenn ein Kos­mo­po­lit wie Raoul Schrott Jan Röh­nert zu den »welt­hal­tigs­ten und welt­läu­figs­ten deut­schen Dich­tern« zählt, dann ist zwar auch der Karst­wan­de­rer mit sei­nen zwei Büchern aus jüngster Zeit zu die­sem Thema gemeint, vor allem aber der Lyri­ker Röh­nert. Da ist es denn auch kein Wun­der, dass die­ser Wan­de­rer auf den see­len­ver­wand­ten Mit­rei­sen­den Jan Wag­ner traf. Beide kann man als Team auf Lesun­gen erle­ben. Sie las­sen uns nicht nur mit­rei­sen, wir bekom­men da auch das Gefühl, an den ent­spann­ten Gesprä­chen teil­neh­men zu dürfen, wie sie wäh­rend einer Rast geführt wer­den. Das klingt ein wenig nach Roman­tik, aber Nature Wri­ting im Stil von Robert Mac­far­lane und überhaupt die gesamte Erd­tag­zeit sind natürlich auch »roman­tisch«.

Alle bis­he­ri­gen Reise- und Land­schafts­es­says und die fünf Gedicht­bände von Jan Röh­nert könnte man als eine Fort­schrei­bung des natur­schrei­bend-mensch­heit­li­chen Gedich­tes Lob des Kalk­steins von Wystan Hugh Auden lesen. Ste­phen Spen­der nannte es ein­mal »eines Wil­helm Bartsch über Gedichte von Jan Röh­nert der größ­ten Gedichte des Jahr­hun­derts«. Die eigent­li­che Initialzündung für den geo­phi­lo­so­phi­schen Welt­wan­de­rer und, so Wag­ner, »Augenkünstler« Röh­nert war und ist bis heute aber ein »pro­vin­zi­el­ler« Ort, ein Stein­bruch im ostthüringischen Obern­dorf, seine Hei­mat und Refu­gium: »das höchste Gut / sperr­an­gel­weit offen / für Stille / und Gril­len­ge­zirp«, so lau­ten Verse aus dem Gedicht Land­mitt­wochs­land, viel­leicht, oder: »über Spin­nen­fä­den im Gras/ tanzt sein Licht / auf der Wiese duf­tet / der Him­mel nach Heu«. Him­mel, vor allem Som­mer­him­mel gewin­nen bei ihm einen fast schon reli­giö­sen Wert.

Röh­nert geht in die Welt und in der Welt, und bringt nicht nur geschaute Land­schaf­ten davon mit, auch Por­träts, His­to­ri­sches, Zeit­po­li­ti­sches oder einem nach- und nahe­ge­hende Lie­bes­ge­dichte wie Sand­bank: »Weder deine / noch meine Pro­vinz erreich­ten wir je.« Dort­hin geht Röh­nert oft, um das beson­ders sinn­ge­sät­tigte Licht auf­zu­tan­ken. Das Höl­der­lin­sche »Ins Offne« kann eben auch eine Rückkehr unter einen Ursprungs­him­mel bedeu­ten. Dort schon begann ja alles: »Die Welt hat mir ein Geheim­nis hin­ter­las­sen, / das ich nur im Freien lösen kann«.

Röh­nerts Gedicht Die Nach­rich­ten von nebenan bezieht sich auf Inger Chris­ten­sens berühmtes Alpha­bet und wird inzwi­schen viel zitiert, es endet mit einer Quint­essenz des Ban­des: »Zum Was­ser will alles, der Stein wäscht es aus. Die Geschich­ten machen wei­ter, die Trä­nen, die Sedi­mente der Tage, die ein­mal ein Erd­zeit­al­ter sind.«

  • Jan Röh­nert: Erd­tag­zeit, Edi­tion Faust, Frank­furt a.M. 2023, 160 S., 19 EUR.
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