Debattieren verlangt eindeutige Positionen, ein Denken, das sich in Grenzen zwingen muss: These / Antithese, hell / dunkel, gut / böse. Die Argumente werden sortiert, der Zweck formuliert das Ziel: ein Gewinn auf Recht. Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld? Insofern ist Debattieren auch ein kompetitiver Sport, ein wichtiger, gewiss, gerade jetzt wünscht man sich allerlanden Debattierathleten, die sich auf die kluge Lese der Argumente noch verstehen, aber es bleibt Sport und ich bin bekennende Unsportlerin. Debattieren ist meine Sache nicht, auch oder gerade weil die Debatte ihrer Definition nach nicht auf das Girlandendenken dialektischer Prägung hoffen darf, das ungern zwischen hell und dunkel scheidet. Ich lebe gerne im helldunkel, weil mir auch die Welt dunkelhell scheint. Nun geht es aber ums Buch, ums Lesen und beides geht mich an, von Berufungswegen hat man mich also berufen, eine kleine Girlande zu knüpfen. Ich verstehe wenig vom digitalen Buch, denn ich besitze keines, das ist kein Protest, ich habe schlicht keine Verwendung dafür, ich lese analog. Ich verstehe aber sehr wohl die Nervosität, die die gesamte Buch- & Schreibwelt durchzittert, denn es formulieren sich neue, teils beängstigende, teils existentielle Fragen, auf die es wenige oder nur unbefriedigende Antworten gibt, geben kann. Ich verstehe vor allem die Verunsicherung in den Verlagen, denn ich liebe meinen Verlag und was ihn angeht, geht mich an. Mein Verlag ist mein Verleger und mein Verleger glaubt wie die Verlegte emphatisch an Literatur und somit selbstredend ans Buch, das er deshalb besonders hübsch ausstattet. Jedes Papier wird lange mit den Buchgestaltern auf seine kosenden Qualitäten hin befühlt, erst wenn es sich an Lesehand und Text schmiegt, darf es sich zwischen zwei Pappen gebunden wissen. Es wird ein zartes Zwiegespräch zwischen Innen und Außen gestiftet, das ist digital weder vonnöten, noch zu leisten. Sowie binden & gestalten, allerlei Handwerk verbirgt sich dahinter, nicht nur seitens der Schreiberlinge, allerlei Arbeit, die einen bezahlten Platz hat, noch. Diese Arbeit (die sich selten bis nie amortisiert, also immer mit einem großen finanziellen Risiko einhergeht, das nur mit Leidenschaft zu rechtfertigen ist) macht aus Büchern kleine zaubrische Artefakte, die schnell zu Liebesobjekten werden, man liebt Eselsohren, Zeichnungen, Ausrufungszeichen hinein oder man doppelt die Liebe & widmet das Objekt dem oder der Liebsten, handschriftlich, versteht sich. Haben Sie schon einmal versucht ein eReader zu widmen? Es verschenken sich Gedichte weitaus schöner analog als digital und ist es nicht befremdlich, Gedichte unter „besonderer Lesekomfort“ beworben zu wissen, ausgerechnet diese kleinen Zellen widerständigen, magischen Denkens?
Gelesen, nun ja, gelesen wurde schon immer zu wenig und wo viel gelesen wird, ehedem meist das Triviale, gerade für das Triviale hegt die digitale Welt eine besondere Vorliebe, das Triviale hat Anrecht, schließlich ist die Welt den meisten nur mit weltferner Unterhaltung tragbar, wer kann, wer will es verdenken: die Welt ist schließlich schwer. Nichts Neues unter der Sonne, gewiss. Gut also, dass die Bäume nicht mehr aus den nahen Wäldern abwandern müssen, dass man ihnen weniger auf die Borke schindet. Gut, dass meine kleine, zarte krimihungrige Mutter auf Reisen nicht so viel schleppen muss. Gut auch, dass Gedichte durch den Äther vagabundieren, sich Foren bilden, kleine digitale Wohnzimmer, da man sich aus den weitesten Fernen noch Metaphern zujubeln kann. Die Welt verwohnzimmert, schnurrt zusammen, das ahnen wir schon lange. Gut, gut, gut ist alles, wir wollen keine Bocksgesänge anstimmen, wir wollen herzfrisch optimistische Fortschrittisten sein, denn alles geht weiter, auch das Buch geht natürlich weiter, ob mit oder ohne digital. Fraglich nur, was drinnen steht …
Wir wollen aber auch einmal über den Tellerrand linsen, der ja ein Teich ist und zwar der bekanntlich große. Da müssen wir aber aufpassen, dass unsere kleinen Buchherzen nicht bei allem digitalen Optimismus einen kleinen analogen Aussetzer haben. Dort hat der schlaue Monopolist nämlich schon Buchläden eröffnet, da gibt es Monopolisten-Bücher zu erwerben, Bücher, die nur noch auf Mono-Listen stehen, auch Mono-Lesegeräte. Nur hier, lieber Endbuchverbraucher, nur hier, sagt der Monopolist, darfst du dein Wie-ein-Buch-Lesegefühl genießen, so frei bist du, ganz frei ist auch das Buch überm Teich, vogelfrei, vom Preis entbunden, kann es auf dem Markt frei flatternd flottieren. Auch ein Klopstock ist nur Handels-Ware! Klop-Was? Ach, egal. Was dem Vogelfreien blüht, das weiß Frau ja. Der Monopolist wagt nun auch den umgekehrten Schritt: vom digital ins analog und druckt fleißig Bücher von eifrigen, unermüdlichen Wortsetzern, denn es ist dies ein erstaunlich lukratives Geschäft. Wer wollte nicht einmal Schriftsteller genannt sein? Schreiben ist ja nun wirklich nicht schwer und ein kleines Geschichtchen hat jeder noch auf Tasche. Die warholsche Losung (die eigentlich von Marshall McLuhan stammt, Schwamm drüber) des „15 minutes of fame« ist dem Monopolisten ein finanzieller Brandbeschleuniger, ach, Buchbeschleuniger. Wollen mal sehen, wie viele waschechte Schriftsteller dabei über den Wannenrand schwappen, denn es gilt nach wie vor das Archimedische Prinzip: Heureka!
Linsen wir noch ein wenig über die Linsen oder sind es Woyzecks Erbsen? Überm Teich hat nämlich das große Fressen bereits begonnen. Immer zu! Immner zu! Hisch, hasch! Eigentlich ist alles bereits ratzeputze leer gefuttert und daut im Magen eines Buchkonzerns, richtig gelesen, ein megalomanischer Buchkonzernriese hat die kleinen und mittleren und mittelmittelgroßen Verlage einfach verschluckt. Jetzt erwartet man mit Spannung wie er mit dem Monopolisten zurechtkommt (also Mono gegen Pol). Mit dem Markt könnte man halbe-halbe machen, aber das ist nicht nach kreditistischem Gesetz. Und ja, ja, feiern wir ruhig, denn es ist die Stunde der Kleinen und Schwachen, die zu unbedeutend oder unappetitlich sind oder waren für des Riesens Magen. Schau an, es gründen sich kleine, unabhängige Verlage, alles durchweht ein nostalgischer Hauch von Samisdat. Das hat aber gedauert, Freunde des Buches, bis die Bückdichware wieder über den Tresen geschoben werden konnte, das dauert noch an. Der gute Gärtner weiß, nach dem Vertikutieren darf man erst einmal ein langes Weilchen auf die neuen Graswurzeln warten.
Weg aber ist das Mittel, vorerst dahin. Unser Mittel ist noch, sind noch immer Hanser & C.H. Beck & Suhrkamp und wie sie alle heißen mögen. Erinnern wir uns ruhig noch einmal an Siegfried, der auch einem Schriftsteller ohne Werk, wie der gute Koeppen einer war, stets die Treue und Finanzen hielt, der sich einer Marianne Fritz ermutigte, der einen Bernhard ertrug, kaum vorstellbar heute, immer seltener auch, weil unsere verlegerischen Dickhäuter nun auch mit Knall & Hart kalkulieren lernen müssen, gar bangen müssen, die nächsten semierotischen Memoiren vernachlässigter Hausfrauen wirtschaftlich fehlzudeuten. Geld, Geld! Wer kein Geld hat – Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in der Welt! Verlegen hieß den Dickhäutern nämlich immer auch mischkalkulieren: Mit dem leichtverkäuflich Profanen dem schwerverkäuflich Erhabenen zwischen die Buchdeckel zu helfen, um den Luftkutschern des Erhabenen wenigstens ein paar warme Erbsen zu zahlen. Den Rest können die Milchmädchen addieren oder besser subtrahieren, denn unterem Strich wirds wohl weniger, da unterm Strich bekanntlich nur das Haben zählt, was immer auch das kulturelle Sollen uns allen bedeuten mag. Nun aber genug über den Tellerrand geschielt, wenn da auch noch recht unberührt Urheberrecht, Nachlass und Buchpreisbindung liegen, wir haben ja schon Erbsen in den Augen, die geben wir lieber gleich den Luftkutschern, damit sie uns nicht über den Wannenrand schwappen und noch ein bisschen Erhabenes in die schwere Welt flüstern. Auf, auf, flüstert um eure Erbsen …
Die Antworten auf unsere Fragen weiß freilich allein die Zukunft, sobald sie zur Geschichte geronnen ist, ganz analog geht das, wie – falls wir nicht dereinst digitale Augen haben – das Lesen, das von seiner Zukunft nichts weiß, das wissen nur die zukünftigen Kinder, die bekanntlich unsere Zukunft und wohl auch des Lesens Zukunft geheißen werden können, falls sie belesen sind (mit ihren kleinen digitalen Kullerchen). Wer das liest, der kann es zumindest heute noch und wer trotz allem Lesens nichts versteht und sagt, lesen nützt da auch nix, hat auch recht und sollte lieber Erbsen zählen.
Ja, die Erbsen, meine Herren!
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