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Thüringen im Nationalsozialismus
Wulf Kirsten
Thüringer Literaturrat e.V. / Erstdruck Weimar Kultur Journal Nr. 4/2001
Im Sommer 1979 beobachtete der Schüler Hans-Udo Wittkowski, wie aus einer Oberweimarer Villa Altpapier entsorgt wurde. Er interessierte sich für den Inhalt der Kartons, der dem Reißwolf überantwortet werden sollte. Bei näherer Betrachtung entdeckte er in den Hinterlassenschaften der Entrümpelungsaktion einen Stapel Briefschaften. Unter Rechnungen, Schriftverkehr mit dem Finanzamt und dergleichen Geschäftlichem stieß er auf eine private Brieffolge.
Mit großem Spürsinn identifizierte dann der Betriebswirt die Schreiberin als Christiane von Hofmannsthal, die Tochter des Dichters. Am Adressaten gab es keinen Zweifel: Thankmar Freiherr von Münchhausen, belegt durch zahlreiche Briefumschläge. Bedachtsam hütete Hans-Udo Wittkowski seinen Schatz (Claudia Mertz-Rychner).
Auf diesem Fund basiert die Brief-Edition Ein nettes kleines Welttheater. Briefe an Thankmar Freiherr von Münchhausen, die 1995 im S. Fischer Verlag Frankfurt a.M. erschien, herausgegeben von Claudia Mertz-Rychner in Zusammenarbeit mit Maya Rauch. In diesem Band wird u.a. auch der Verleger Erich Lichtenstein (1888–1967) erwähnt.
Offensichtlich weckte dieser Fund eine Passion. Eben die, beharrlich zu recherchieren, auch noch, wenn und wo alles aussichtslos erscheint, nicht so leicht aufzustecken, Bücher zu achten und zu sammeln, eine Leidenschaft zu entwickeln, die sich zur profunden Bibliophilie auswuchs. Ich weiß nicht mehr, wann Hans-Udo Wittkowski bei mir auftauchte und mich nach dem Verleger Erich Lichtenstein befragte, von dem ich nur recht umrisshaft wusste. Weit größer als die Kenntnis war immer die Verwunderung gewesen, dass es diesen Lichtenstein (der nicht mit Alfred, dem Expressionisten, verwandt ist, wohl aber wie dieser jüdischer Herkunft) einmal in Weimar gegeben hat und, dies vor allem, dass er es so lange in dem rechtslastigen Städtchen ausgehalten hat. Wie er sich wohl hier gefühlt haben mag neben Fink, neben Kellermann, unter Frick und Konsorten? Abgesehen von einer kleinen Ausstellung in der Stadtbücherei im Herbst 1999 und der ausnahmslos verdienstvollen TLZ-Folge Villen in Weimar Christiane Webers (Nr. 153, 25.9.1999), ist, zumindest soweit ich sehen kann, dieses Verlegers in Weimar nach 1945 nicht wieder öffentlich gedacht worden, von einem Erinnerungszeichen ganz zu schweigen, so dass ich auch bei dieser Namensnennung darauf verfallen muss, schon wieder zu sagen: Weimar weiß nichts von sich! Der Satz Weimar will nichts von sich wissen stammt nicht von mir, jedenfalls beanspruche ich dafür keine Urheberrechte.
Abb. 1: Foto: Jens Kirsten / Abb. 2: Männerschwarm Verlag, Hamburg 2013.
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